In der Höhle des Feindes

Fernsehtauglich in der iranischen Metropole gestrandet: Niv Sultan als israelische Agentin in „Tehran“. © Apple TV+

Seit dem Erfolg von „Fauda“ gilt Moshe Zonder als einer der wichtigsten Drehbuchautoren und Produzenten des israelischen Serienfernsehens. Mit der Agentenserie „Tehran“ hat der Showrunner neuerlich einen Coup gelandet.

Von Michael Pekler

Sich als israelische Agentin am Flughafen von Teheran in eine iranische Flugbegleiterin zu verwandeln, ist keine einfache Angelegenheit. Doch wofür sonst bildet der Mossad seine Einsatzkräfte aus? Wenn Tamar Rabinyan (Niv Sultan) zu Beginn von Tehran in der iranischen Metropole landet, treffen jedenfalls Welten aufeinander: nicht nur religiöse, kulturelle und ideologische, sondern auch jene der verfeindeten Geheimdienste. Tamar soll das iranische Raketenabwehrsystem hacken, damit die israelische Luftwaffe ihren Angriff auf einen Atomreaktor fliegen kann. Israel setzt auf den Präventivschlag gegen den Erzfeind, während die Bevölkerung hier wie dort natürlich wieder einmal keine Ahnung vom Treiben hinter den Kulissen hat.

Dass die iranischstämmige Tamar ihren Job nicht von Tel Aviv aus erledigen kann, bietet Showrunner Moshe Zonder (dessen Erfolgsserie Fauda nach wie vor auf Netflix zu sehen ist), seinem Co-Autor Omri Shenhar sowie Regisseur Daniel Syrkin jedenfalls eine perfekte Ausgangslage: Die spannungsreiche Camouflage, die praktisch die gesamte erste Episode beansprucht, führt zum genretauglichen Wettlauf gegen die Zeit sowie Tamar, endlich den Überwachungskameras und Flughafenpolizisten entkommen, zu undurchsichtigen iranischen Kontaktmännern. Bis die Undercover-Spionin – der Einsatz wird mit Rücksicht auf die folgenden sieben Episoden selbstverständlich vermasselt – auf sich allein gestellt in Teheran strandet.

Normalerweise ist es kein gutes Zeichen, wenn die erste Episode zu den spannendsten einer Thrillerserie zählt, und auch Tehran läuft Gefahr, sich in der Folge in Nebenschauplätzen und -charakteren zu verlieren. Andererseits hat das Qualitätsfernsehen der vergangenen Jahre gezeigt, dass auch viele Stunden dauernde Erzählungen keineswegs stromlinienförmig auf ein großes Finale zusteuern müssen. Tehran setzt auf das Prinzip der Abwechslung von Spannungsaufbau und Entschleunigung, wird zwischendurch zum Identitätsdrama und kehrt am Ende, wenn es Spitz auf Knopf steht, wieder zum eigentlichem Grund für Tamars Auslandsengagement zurück.

Erstaunlich ist jedenfalls das Bild, das Tehran – gedreht wurde in Athen, gesprochen wird neben Farsi auch Hebräisch und Englisch – als israelische Serie auf den jahrzehntelangen Feind wirft. Natürlich ist mit den iranischen Agenten in ihren schwarzen Lederjacken und ihrem Chef Faraz Kamali (Homeland-Charaktergesicht Shaun Toub), den Tehran als Antagonisten aufbaut und der seine krebskranke Frau in Paris behandeln lässt, nicht zu spaßen. Das Hauptaugenmerk ist aber auf das „andere“ Teheran gerichtet: auf die protestierenden Studenten, denen sich Tamar zwischenzeitlich anschließt; auf die Dissidenten, denen sie begegnet; auf eine Liebe, die möglicherweise doch nur einem politischen Zweck untergeordnet ist; auf Doppelagenten, Maulwürfe und immer wieder auf Tamars eigene, durch die Revolution zerrissene Familie.

„Wir wollten auch eine andere, freundliche Seite des Iran zeigen“, so Moshe Zonder. Ob das aus guter Absicht geschieht, um das eindimensionale Bild des „Schurkenstaates“ sanft zu revidieren und zu zeigen, dass nicht die gesamte iranische Zivilbevölkerung aus religiösen Fanatikern besteht, oder ob mit gewieftem Kalkül, indem man die innere Schwachstelle des Feindes fernsehtauglich unterstützt – der Schattenkrieg wird jedenfalls hochgradig spannend inszeniert. Wobei Tehran nicht umhin kommt, die technische Überlegenheit des Mossad auf den ersten Blick erkennen zu lassen: In kühles Blau getaucht, leuchten die Monitore in der israelischen High-Tech-Kommandozentrale, während die Leitung des iranischen Geheimdienstes in ihren braunen Polstermöbeln versinkt.

Dass der Mossad derzeit der wohl beliebteste Geheimdienst des Serienfernsehens ist – zuletzt wurde Sacha Baron Cohen in The Spy nach Syrien entsandt – ist nicht verwunderlich. Der Nahe Osten eignet sich dieser Tage wie kaum eine andere Konflikt- und Kriegsregion für das Ersinnen von geheimen Missionen und vereitelten Anschlägen. Wer im Fernsehen davon profitiert, ist jedenfalls schon entschieden: Apple TV hat die Fortsetzung von Tehran bereits in Auftrag gegeben.

„Tehran“ (Staffel 1) ist auf Apple TV+ zu sehen.

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