Importierter Hass

Der Islam war nicht immer judenfeindlich, im Gegenteil. Wie der Antisemitismus zum Islam fand und welche Rolle Europa dabei spielte. Ein historischer Essay.
Von Herbert Voglmayr

Die Tatsache, dass Antisemitismus heute in der arabischen Welt weit verbreitet ist, steht in einem auffallenden Widerspruch dazu, dass er in der klassischen islamischen Tradition kaum eine Rolle spielte, jedenfalls nicht so wie in der christlichen Tradition. Erst mit der Übernahme nationalistischer Ideologien aus dem Westen hat der europäische Antisemitismus im 19. Jahrhundert Eingang in den Nahen Osten gefunden und sich durch die Palästinafrage im 20. Jahrhundert verstärkt. Lange Zeit hinter dem Begriff „Antizionismus“ versteckt, hat der Antisemitismus inzwischen in der arabischen Welt feste Wurzeln geschlagen, was nicht zuletzt eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts erschwert.

Es empfiehlt sich daher vielleicht, auf bessere Tage der jüdisch-islamischen Geschichte zu blicken, etwa auf die jüdisch-islamische Blütezeit des von den Mauren regierten mittelalterlichen Spanien, in dem islamische, jüdische und christliche Gelehrte und Theologen aus denselben antiken Quellen schöpften und eine Hochkultur entstand, die von großen jüdischen und islamischen Philosophen wie Maimonides und Averroes verkörpert wurde.

Da das Interesse an maurischer Gelehrsamkeit nördlich der Pyrenäen sehr groß war, gaben die christlichen Klöster Übersetzungen arabischer Schriften in die europäische Wissenschaftssprache Latein in Auftrag. Als Übersetzer fungierten in der Regel sprachkundige Juden, die seit dem frühen Mittelalter als Händler durch Europa zogen und polyglott gebildet waren. Da die Juden aus religiösen Gründen den Gebrauch der lateinischen Sprache zu vermeiden suchten, ließen die christlichen Auftraggeber einen arabischen Text in zwei Schritten übersetzen. Ein Jude übertrug die arabische Vorlage in die kastilische Sprache, von der anschließend ein christlicher Übersetzer eine Fassung in Latein erstellte. Es bildeten sich Übersetzerteams, die sich zu Übersetzerschulen entwickelten, die wiederum als Vorläufer der später gegründeten europäischen Universitäten gelten. Wenn man also heute von der jüdisch-christlichen Tradition des Abendlandes spricht, dann muss man hinzufügen, dass es – quasi als Seitenlinie – auch eine jüdisch-islamische Tradition des Abendlandes gibt.

Diese Tradition bezieht sich allerdings auf den sunnitisch- arabischen, nicht auf den schiitisch-iranischen Islam mit seiner fanatischen Unterscheidung zwischen Reinheit und Unreinheit. Diese Unterscheidung findet man zwar auch bei den Sunniten, aber sie bleibt bei ihnen auf Gegenstände und Tiere beschränkt, während sie im schiitischen Islam auf die Juden übertragen wird und somit die Grundlage bietet für eine schiitische Spielart des Antisemitismus, die wir seit Chomeini von den Äußerungen iranischer Ajatollahs und besonders Ahmadinedschads kennen.

Im späten Mittelalter war es die ebenfalls islamisch (jedoch nicht arabisch) geprägte Epoche der osmanischen Herrschaft, in der die Juden eine bedeutende gesellschaftliche Rolle spielten. Im 15. und 16. Jahrhundert wanderten viele sephardische Juden, die von den katholischen Königen aus Spanien vertrieben wurden, ins Osmanische Reich ein. Auch aus Europa kamen in dieser Zeit viele Juden, die durch Berichte über die größere Toleranz angelockt wurden, die hier im Unterschied zu Europa herrschte. Sie bekleideten wichtige Stellungen in Handel und Gewerbe, auch im Staatsdienst, blieben aber kulturell – verglichen mit der „arabisch-jüdischen Symbiose“ im maurischen Spanien des frühen Mittelalters – stets Fremde.

Mit dem Niedergang des Osmanischen Reiches und der Entstehung nationalistischer Strömungen wie Panturkismus und Politischer Islam im 19. Jahrhundert gewann auch der Antisemitismus an Boden. Der sprichwörtlich gewordene „kranke Mann am Bosporus“ richtete den Hass türkischer Muslime auf ethnische und religiöse Minderheiten wie Armenier und Juden. Die ersten antisemitischen Pamphlete in arabischer Sprache erschienen gegen Ende des 19. Jahrhunderts und wurden aus den französischen Originalen übersetzt, wo die Belle Epoque den antisemitischen Exzess der Dreyfus-Affäre hervorgebracht hatte. Letzteres thematisiert übrigens Umberto Eco in seinem neuen Buch „Der Friedhof in Prag“, ebenso die um diese Zeit fabrizierte Fälschung der „Protokolle der Weisen von Zion“, die wahrscheinlich in Frankreich, im Auftrag der zaristischen Geheimpolizei Ochrana, entstanden und zur wichtigsten „Legitimationsschrift“ des europäischen Antisemitismus im 20. Jahrhundert wurden. Sie fanden ebenfalls den Weg in den arabischen Raum, wo sie heute Teil der Hamas- Charta sind.

Die meisten Übersetzungen stammten von arabischen Katholiken, Maroniten und anderen Unierten, also Angehörigen von mit Rom verbundenen christlichen Gemeinschaften. Später folgten Übersetzungen nationalsozialistischer Propagandaschriften. Sayyid Qutb, der theoretische Vordenker der ägyptischen Muslimbruderschaft, konstruierte eine jüdische Verschwörung gegen den Islam, er nahm die Stereotype des europäischen Antisemitismus auf und transformierte sie in einen islamisch begründeten Antisemitismus, der zunächst nur in unbedeutenden, ideologisch verblendeten Minoritäten vorkam. Wie fremd das antisemitische Denken der arabisch-islamischen Kultur anfangs war, zeigte sich an den judenfeindlichen Karikaturen, die mit den antisemitischen Schmähschriften in arabischen Ländern auftauchten. Erst nach einigen „pädagogischen Anstrengungen“ waren arabische Zeitungsleser imstande, die in solchen Karikaturen verwendeten Symbole des „Jüdischen“ überhaupt zu verstehen. Heute gibt es in dieser Hinsicht keine Probleme mehr. Nach der Unabhängigkeit etablierten sich in den arabischen Staaten nationalistisch-autoritäre Regimes, die auch dem Antisemitismus zu größerer Bedeutung im Islam verhalfen, mit offensichtlichen Parallelen zur NS-Ideologie, was etwa Matthias Küntzel in seinem Buch Djihad und Judenhass darlegte. Mit dem Palästinakonflikt verstärkte sich der Antisemitismus weiter und ist heute nicht nur im Islamismus, sondern auch in muslimischen Bevölkerungskreisen eine weitverbreitete Erscheinung.

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