Ich möchte den Dialog suchen

Vom Newsroom ins Museum: Danielle Spera erzählt, warum ihr neuer Job als Direktorin des Jüdischen Museums die Krönung ihrer persönlichen Geschichte des Jüdisch-Seins ist und wie sie dem Wiener Judentum ein neues Gesicht geben möchte.
Von Rainer Nowak, Barbara Tóth (Interview) und Peter Rigaud (Fotos)

NU: Wir sind zwar nicht die „Bild“- Zeitung, aber dennoch würden wir gerne mit der Schlagzeile „Wir sind Direktor“ titeln. Welche Rolle spielt NU für die künftige Direktorin des Jüdischen Museums?

Spera: Ich sehe meine Bestellung natürlich als persönlichen Erfolg, aber auch als Bestätigung für NU. Ich habe NU in meiner Bewerbung erwähnt. Es war insofern eine Inspiration, als ich über die Arbeit an dieser Zeitung gemerkt habe, wie viel Interesse man an jüdischen Themen wecken kann – bei Juden und bei Nichtjuden, die viele Fragen haben, diese sich aber nicht zu stellen trauen.

Gibt es so etwas wie eine jüdische Renaissance in Wien?

Ich hoffe es. Oder besser: Vielleicht beginnt sie. In denke, im Jüdischen Museum kann man wirklich viel bewegen. Es kann zu einer Art Kompetenzzentrum für die Auseinandersetzung mit jüdischen Fragen werden. Auch das passiert kaum anderswo. Da müssen wir ein Vakuum füllen.

Sie haben angekündigt, Ihre Prominenz bewusst für das Museum einzusetzen. Sie werden wohl bald als eine der Sprecherinnen für das Wiener Judentum wahrgenommen werden. Wie wollen Sie damit umgehen?

Es gibt ein gewähltes Gremium der Kultusgemeinde, einen Präsidenten, Vizepräsidenten, Generalsekretäre – und die haben natürlich in erster Linie Stellung zu nehmen. Aber auch ich möchte mich durchaus einbringen, wenn ich gefragt werde.

Ariel Muzicant hat den Juden ein sehr selbstbewusstes, kämpferisches, auch polarisierendes Gesicht gegeben. Und Sie?

Auch ich bin selbstbewusst, keine Frage. Natürlich werde ich gegen Antisemitismus und jede Form von Fremdenhass auftreten. Kämpferisch, ja, aber nicht aggressiv. Ich habe eine sehr verbindliche Art, und die werde ich beibehalten. Ich möchte nicht auf Konfrontation gehen, sondern den Dialog suchen.

An Ihrer Bestellung gab es auch Kritik: Sie seien eine „VIP“-Direktorin ohne museumsspezifische Erfahrung.

Der ehemalige Journalist Wolfgang Kos hat aus dem Wien Museum ein fantastisches Haus gemacht. Das Berliner Jüdische Museum hat Michael Blumenthal als Direktor, einen prominenten US-Journalisten und Politiker. Er wurde bewusst dafür ausgesucht, weil er blendende Kontakte hat. Man sieht also, dass Journalisten sich sehr wohl etwas zutrauen können. Daher verstehe ich diese Kritik nicht. Damit machen wir uns selber klein und trauen uns nichts zu.

Dennoch: Ihre Konkurrenten hatten wohl von Anfang an das Gefühl, aufgrund Ihrer Prominenz keine Chance zu haben – Qualifikation hin oder her.

Ich habe ein konkretes Konzept vorgelegt, das die Findungskommission ganz offensichtlich überzeugt hat. Und schließlich glaubt man mir, dass ich dem Haus mehr Öffentlichkeit werde geben können.

Für Sie ist es jetzt keine einfache Situation im Museum: die Chefkuratorin des Hauses, Felicitas Heimann-Jelinek, hatte sich beworben, auch Werner Hanak, ebenfalls Kurator. Sie müssen nun mit beiden zusammenarbeiten.

Sie sind beide wissenschaftlich hervorragend qualifizierte Fachleute mit einem forschungsorientierten, akademischen Ansatz. Ich möchte natürlich das Museum öffnen, es populärer machen. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Das kann eine wunderbare Verbindung werden. Gerade sie sind prädestiniert, das Museum durch ihre Forschungsarbeit, durch Tagungen, Workshops und ihre kuratorische Arbeit international zu positionieren. Ich werde dafür sorgen, dass wir in den Ausstellungen mehr Publikum bekommen

Besteht nicht die Gefahr, dass das Haus dann zu einer Art jüdischem Volkskundemuseum wird?

Das glaube ich nicht. Ich möchte etwa versuchen, die Ausstellung „Koscheres & Co“ nach Wien holen. In Berlin wurde sie gezeigt, sie ist auf höchstem Niveau, auch wenn sie breitenwirksam ist. Etwa weil sie Querverbindungen zu anderen Religionen darstellt. Rund um dieses Thema kann man so vieles machen: Kochkurse, Abendessen, Snackboxen mit koscherem Essen an Schulen. Oder Themen aus der jüdischen Lebenswelt darstellen. Ich möchte auch zeigen, wie breit das Spektrum jüdischen Lebens in Wien ist.

Welche Rolle sollen das Buchgeschäft und das Museumscafé dabei spielen?

Das Buchgeschäft erfüllt seine Nischenfunktion sehr gut, vielleicht kann man noch ein bisschen mehr in Richtung Museumsshop gehen. Für das Kaffeehaus wünsche ich mir mehr Leben. Es ist ideal gelegen, rundherum gibt es funktionierende Kaffeehäuser. Da kann man Publikum anziehen.

Die Entscheidungsträger der Stadt wollen das Museum zu einer größeren Touristenattraktion machen. In Prag, Budapest gehen Touristen logischerweise ins Jüdische Museum, bei uns nicht. Das ist komisch…

… und dann doch wieder nicht. Es spiegelt den Umgang Österreichs mit seiner Geschichte wider. Wir haben zwar ein Museum, verstecken es aber ein bisschen. Das soll sich jetzt ändern. Ich möchte jüdische Pfade einrichten. Das Museum soll im Ausland bekannt gemacht werden. Migranten und ihre Nachkommen sollen sich einen virtuellen Stadtplan erstellen können, auf Spurensuche gehen. Oder prominente, jüdische Persönlichkeiten sollen virtuell durch die Stadt führen. Ich möchte auch junge Kuratoren einladen. Auch der Raum des Jüdischen Museums am Judenplatz, hinter dem Rachel Witheread-Mahnmal, ist praktisch nicht bekannt. Auch das möchte ich ändern.

Stichwort Spurensuche: Auch im Archiv der Kultusgemeinde könnten Wien-Besucher das Schicksal ihrer Vorfahren nachvollziehen. Das Jüdische Museum sitzt im Vorstand des Simon-Wiesenthal-Instituts, das diese Akten aufarbeiten soll.

Es ist mein Ziel, Menschen, die nach Wien kommen, bei der Spurensuche zu helfen, Dazu werden wir alle vorhandenen Quellen brauchen. Und ich möchte unbedingt Schulprojekte initiieren, damit Schüler Fragen stellen.

Ist das nicht traurig? Wir sprechen über Juden in Wien wie über Exoten, mit denen man sich doch bitte einmal beschäftigen soll.

Natürlich ist das traurig. Es gibt so viele Berührungsängste. Man muss bei den Basics beginnen, auch hier kann das Museum eine wichtige Funktion erfüllen.

Wie soll die Gewichtung zwischen Gedenken an die Shoah und jüdische Lebenswelt heute ausschauen?

Die Shoah muss im Bewusstsein bleiben, aber das ist nicht, worüber sich das Judentum alleine definiert. Judentum war vor allem immer das Leben vielfältiger religiöser Traditionen, die Auseinandersetzung mit geistigen Inhalten, mit Kultur und Wissenschaften, und das im Spannungsfeld der jüdisch-christlichen Kultur Europas, die so großartige Persönlichkeiten und Werke hervorgebracht hat. Ich möchte den Österreichern bewusst machen, welchen großen Verlust das Land durch die Vertreibung und Ermordung der Juden erlitten hat. Wenn es in Boulevardblättern heißt, ein „Altösterreicher“ hat einen Nobelpreis bekommen, weiß man, was es geschlagen hat. Da reklamiert man die nicht heimgekehrten Juden dann gerne für sich.

Aber es wird schon auch zu diesem Thema Ausstellungen geben?

Ich möchte die Rückkehr, oder besser die Nicht-Rückkehr der Juden nach 1945 beleuchten. Wie erging es denen, die nach Wien heimkamen? In welche Richtungen gingen sie? Das muss man bald machen, weil diese Generation demnächst leider nicht mehr da sein wird.

Sie haben eine neue permanente Ausstellung angekündigt, wie wird die ausschauen?

Das ist mir ein ganz großes Anliegen. Eine permanente Ausstellung gehört alle 12 bis 14 Jahren erneuert, das ist also im Jüdischen Museum Wien schon überfällig. Derzeit gibt es die Hologramme. Das war vor circa 20 Jahren State oft the Art, inzwischen ist es überholt. Da wir nicht viel Platz haben, denke ich an eine Multi-Media-Ausstellung. Die kann man auch schnell erneuern. Das ist für mich ein sehr dringendes Projekt.

Als Jüdin und Museumsdirektorin werden Sie exponierter sein als zuletzt. Haben Sie Sorge vor antisemitischen Untergriffen?

Mittlerweile habe ich mir eine dicke Haut zugelegt. Es war ja kein Geheimnis, dass ich Jüdin bin. Bei meiner allerersten Moderation im Juli 1988, damals noch gemeinsam mit Josef Broukal, dokumentierte der ORF den Anruf eines Sehers, der meinte, „der rote Broukal und die Saujüdin Spera sollen vom Bildschirm verschwinden“.

Wird Ihnen das Star-Dasein nicht abgehen?

Nein, dafür bin ich zu sehr am Boden.

Sie haben lange in Washington gelebt, dort gibt es ein selbstverständliches, weltoffenes, auch sehr schickes Judentum. Ist das ihre jüdische Heimat?

In den USA gibt es eine wirklich große Bandbreite. Das hat mich fasziniert, dort habe ich einen großen Freundeskreis. In Wien gibt es das nur in einer Miniaturform, und das geht mir manchmal schon ab.

Dennoch verstehen Sie sich als traditionelle Jüdin.

Ja. Wir feiern Schabbat, die jüdischen Feiertage Meine Familie geht traditionellerweise in das Bethaus Misrachi am Judenplatz. Ich besuche wöchentlich einen Schiur (= religiöser Vortrag, Anmerkung d. Red.) bei Oberrabbiner Eisenberg.

Sie sind übergetreten. Wann begann der Wunsch, jüdisch zu sein?

Eigentlich schon sehr früh, mein Vater ist Jude, meine Mutter nicht. Ich war in einer katholischen Schule, auch weil meine Eltern nicht wollten, dass wir als Juden wahrgenommen werden. Das war dort aber nicht wirklich meine Welt. Ich wusste immer, dass das Jüdische meine Wurzeln sind, die ich ergründen möchte. Ich wusste fast nichts darüber und habe sehr früh viel darüber gelesen und dabei ist der Entschluss entstanden überzutreten.

Ist diese Sozialisierung vielleicht sogar von Vorteil für Ihre neue Aufgabe?

Ich bringe in jedem Fall das erforderliche Wissen mit.

Ihr Vater war Kommunist. Wo stehen Sie politisch?

Links-Rechts-Begriffe sind überholt. Als Journalistin habe ich Äquidistanz zu allen Parteien gehalten, das ist klar. Meine Eltern haben mich sozial geprägt. Menschen helfen, den Schwächeren helfen, Solidarität zeigen.

Letzte Frage: Werden Sie NU als Autorin erhalten bleiben?

Sehr gerne. Es macht mir nämlich ungemein großen Spaß.

Danielle Spera (geb. am 10. August 1957 in Wien) arbeitet seit 1978 für den ORF. Seit 1988 moderiert sie die „Zeit im Bild 1“. Die studierte Politologin (Thema ihrer Dissertation waren die Wahlkämpfe der Sozialdemokratischen Partei in der Zwischenkriegszeit) war von 1990 bis 2002 Lehrbeauftragte am Institut für Publizistik der Universität Wien. 1999 erschien die von ihr verfasste Biographie „Hermann Nitsch – Leben und Arbeit“, die 2005 in aktualisierter Form neu aufgelegt wurde. Seit 2000 schreibt sie für das jüdische Kulturmagazin „NU“, dessen Mitbegründerin sie ist. Spera ist seit 1994 mit dem Psychoanalytiker Martin Engelberg verheiratet und hat drei Kinder.

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