Hayas Markt

Der Naschmarkt, ein Einheitsbrei von identisch wirkenden Ständen mit immer gleichem Angebot? Von wegen. Es gibt auch den jüdischen Naschmarkt. Gastronomin Haya Molcho führte NU zu den besten Plätzen abseits der Touristenpfade.
Von Rainer Nowak (Text) und Verena Malgarejo (Fotos)

„Du machst eine Geschichte über den jüdischen Naschmarkt?“ Haya Molcho schaut kurz ein wenig verwundert.

Kein Wunder, die Senkrechtstarterin in Wiens Gastronomie- Szene hat auch andere Probleme. Bis zuletzt, also mindestens bis zum NU-Redaktionsschluss, kämpfte sie um ihr zweites Lokal: Neben dem stets gut besuchten Neni am Wiener Naschmarkt soll der Tel Aviv Beach wie im Vorjahr am Wiener Donaukanal einen Hauch Partyleben aus der Mittelmeermetropole nach Wien bringen. Allein ein Anrainer zog alle Register und leistete Widerstand. Molcho hatte zwar alle Genehmigungen, doch Bürokratie und Fristenläufe kennen keine Gnade, auch wenn sie bereits im Mai beginnen wollte.

Da kommt ihr das Thema Juden am Naschmarkt gerade recht, oder besser: das Thema Naschmarkt- Skepsis. Es gibt doch gar keinen jüdischen Naschmarkt mehr, oder? Das ist doch alles einheitlich hier, nicht? Haya Molcho antwortet mit einer charmant empörten Geste, die ihren Mann, den Pantomimen Samy Molcho, sicher auch beeindruckt: „Was sagt Du da? Natürlich gibt es einen jüdischen Naschmarkt. Da vorne sind Juden, da drüben sind Juden. Der halbe Markt ist jüdisch. Auf diesem Markt sind alle Religionen vertreten, das ist wirklich multi-kulti.“ Sie sitzt an diesem sonnigen Nachmittag im Nebenzimmer ihres Restaurants und schaut ihre Söhne auffordernd an, mit ihr den Naschmarkt zu verteidigen. „Das ist sehr wohl authentisch hier! Das ist echt. Hier arbeiten Araber, Juden, Türken, Asiaten und Österreicher. Es gibt keinen Streit wegen der unterschiedlichen Kulturen. Es gibt nur unterschiedliche wunderbare Lebensmittel, Gemüse und Gewürze. Ich kaufe fast alles hier.“

Und was ist mit diesen anderen einheitlichen Angeboten, die es bei vielen Ständen gibt? Den immer gleichen Körben mit Wasabi-Nüssen etwa? Molcho nickt kurz und sagt: „Das stimmt, das ist nicht gut, das verstehe ich auch nicht.“ Ihr Sohn Elior widerspricht nicht weniger leidenschaftlich: „Aber die verkaufen das eben, weil viele Menschen offenbar genau das wollen. Die Händler kämpfen wirklich hart, wir haben es mit unserem Lokal einfach leichter.“

Um was ging es gleich? Genau, um den jüdischen Naschmarkt! Haya Molcho will darüber nicht lange herum diskutieren, sondern lieber gleich von einem Freund zum nächsten gehen. Wobei sie genau so über den Naschmarkt geht, wie es die alten Veteranen am Markt machen: schnell und geschickt im Ausweichen von Touristen und Schaulustigen.

Schon beim ersten Gemüsestand ergibt sich eine Szene, die einen das bunte Klischee-Treiben vergessen lassen. Händler Arie Amoni sitzt hinter seinen Obst- und Gemüse- Bergen und prüft Salatblätter. Er kam 1991 aus einem der Nachfolgestaaten, die von der UDSSR übrig geblieben waren, aus Georgien, nach Wien. Gelernt hatte er den Bau von Klimaanlagen, heute verkauft er Obst. Haya dachte sogar, er hätte Medizin studiert, sagt sie lachend. Und weiter geht es zu „Dr. Falafel“, am Markt besser bekannt als Emanuel. Er verweist stolz darauf, dass sowohl Bundespräsident Heinz Fischer als auch Kabarettist Dirk Stermann bei ihm einkaufen. Emanuel führt ein kleines Imperium von mehreren Ständen am Markt, deren Produkte den gesamten Nahen Osten abdecken. Ja, er ist auch Jude, nein, koscher ist hier nicht alles.

Spielt die Religion überhaupt eine Rolle hier? Natürlich schon, aber die Zeichen sind durchaus profan: Die muslimischen Händler und ihre Angestellten haben ihre Plätze, um zu beten. Bei den jüdischen Unternehmern sind kaum bis überhaupt keine Orthodoxen beschäftigt, da der Samstag der umsatzstärkste Tag am Markt ist. An den Feiertagen, da merke man das Jüdische am Naschmarkt, sagt Haya. Da haben einige Stände dann geschlossen.

Am liebsten geht sie auf einen Kaffee und/oder Tee zum winzigen Laden auf der Höhe Schleifmühlgasse, wo die syrischen Gewürz-Händler Hayas Herz gewannen. Nicht nur, weil sie unglaublich freundlich sind und die besten Gewürze am Markt haben, sondern weil sie – zufällig – ein Foto des von ihnen geschätzten Samy Molcho aufgehängt hatten. Dummerweise hängt das Foto nicht mehr, „kleine Renovierungsarbeiten, Sie verstehen“, sagt Hussein fast entschuldigend. „Können wir ein Neues bekommen, aber diesmal auch mit dir, Haya?“ Sollte sich machen lassen. So freundlich wurde und wird Haya nicht überall in Wien begrüßt. Von den Anrainer-Problemen am an sich Anrainer-losen Donaukanal einmal abgesehen, geht es ihr wie vielen erfolgreichen Frauen, die plötzlich viel Beachtung in den Medien finden: Das schürt Neid und führt zur immergleichen Argumentation.

Die Person sei mediengeil und Seitenblicke-nah. Dass das nicht stimmt, spielt dann leider keine Rolle mehr. „Ja, wir merken das schon, wir werden z.B. genauer geprüft als andere, die nicht so prominent in den Medien sind, aber das ist eben so“, sagt Haya gelassen.

Von Anfang an stand sie im Zentrum der Aufmerksamkeit: „Als wir begannen, haben alle geglaubt, wir seien naiv. Eine Frau mit zwei Söhnen am Naschmarkt. Da haben viele gelacht.“ Zumal ihre Entscheidung, am Ende der Gastronomie- Meile das Wickerl zu übernehmen, viele für einen schweren Fehler hielten. „Das war hier das letzte Eck, und nebenan war der Müll. Alle sagten mir, dass das der falsche Standort ist, und jetzt schauen Sie sich um und sehen, es gibt keinen besseren.“ An dieser Stelle lächeln auch die Söhne stolz: Elior, der für die Buchhaltung zuständig ist, und Nuriel, der sich um das Personal und die Werbung kümmert. Dass das Neni und der Tel Aviv Beach so erfolgreich sind, hätte kaum jemand erwartet.

Die beiden Projekte sind völlig unterschiedlich und haben doch eines gemeinsam: eine sehr authentische, israelische Lässigkeit, die man bei der Gestaltung, der Speisekarte, dem Service und den Gästen bemerkt. Wobei letzteres nicht zuletzt auch das Verdienst der beiden Söhne, beziehungsweise ihres großen Bekanntenkreises ist. Blickt man nur auf die benachbarten Tische und die Kellnerin, und vergisst Markt sowie Wienzeile, kann man sich auch in Tel Aviv, Berlin oder Williamsburg in New York wähnen.

Und das ist eben das wahre Geheimrezept Hayas, das unter der Eigenschaft „authentisch“ firmiert. Schon seit ihrer Kindheit in Tel Aviv, in den Jahren später im kalten Deutschland und mit ihrem Mann auf den Tourneen galt: Zu Hause ist und war immer dort, wo sie gekocht hat. Das funktioniert heute noch am Naschmarkt so. Pläne für den Karmelitermarkt hätte sie auch – doch das ist eine andere Geschichte, die sie später erzählen will.

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