Glanz und Elend

Von Anfang an die Hoffnung auf Erlösung: Alexander Moissi und Dagny Servaes in der „Jedermann“-Inszenierung von 1920. Foto: ©Salzburger Festspiele / Ellinger

Währende der ersten Jahrzehnte durchliefen die Salzburger Festspiele eine massive Politisierung. Der Verlust jüdischer Künstler und die schwerwiegenden Kompromisse nach 1945 sollten noch lange nachwirken.

Die Mozartstadt Salzburg als Gegenpol zu Richard Wagners Bayreuth zu positionieren – solche Pläne gab es schon im 19. Jahrhundert. Doch es musste erst die Donaumonarchie untergehen, damit der überstaatliche „Österreich-Gedanke“ auf der Bühne wieder auferstehen konnte. Da sie in der Donaumonarchie größere Rechtssicherheit genossen hatten als in der jungen Republik, wirkten zahlreiche Protagonisten jüdischer Herkunft daran mit. Letztendlich setzte sich das Konzept eines „nationalen Kosmopolitismus“ Hugo von Hofmannsthals durch, der in seiner Selbstwahrnehmung ein deutschnationaler Katholik war.

Max Reinhardt hieß ursprünglich Goldmann und beging sowohl jüdische als auch katholische Feiertage. 1918 erwarb er Schloss Leopoldskron und baute es liebevoll aus. Mit labyrinthischem Garten, Teich und Menagerie wurde es zum Mittelpunkt rauschender Sommerfeste, doch es brachte ihm auch viele Neider ein. So schrieb Hofmannsthal 1922 an Richard Strauss: „Reinhardt zum Präsidenten nehmen diese Spießbürger nie; sie hassen ihn, hassen ihn drei- und vierfach, als Juden, als Schlossherrn, als Künstler und einsamen Menschen, den sie nicht begreifen.“

Keine Begeisterung

1921 votierte das Bundesland Salzburg in einer inoffiziellen Abstimmung mit 99 Prozent für den „Anschluss“ an Deutschland, nationalistische Kräfte hetzten gegen die „Theaterjuden“ aus der Großstadt und beriefen sich dabei auf eine ideologisierte „Volkskultur“. Obwohl der Jedermann-Darsteller Alexander Moissi albanischer Herkunft war, geriet er ins Zentrum antisemitischer Kampagnen.

Die erste Phase der Salzburger Festspiele von 1920 bis 1925 prägte Hofmannsthal mit seinen „Erlösungsdramen“ Jedermann (am Domplatz) und Das Salzburger große Welttheater (in der Kollegienkirche). Beides wurde Reinhardt nicht nur von der lokalen Presse als Entweihung des Sakralraums angekreidet. Auch der Zuzug von Fremden und die internationale Aufmerksamkeit stieß vor Ort auf wenig Begeisterung.

Ihre Blütezeit erlebten die Festspiele von 1926 bis 1933: Für ein breiteres Publikum inszenierte Reinhardt nun Komödien wie Shakespeares Sommernachtstraum, die spielerisch Musik und Tanz integrierten.

Im Architekten Oscar Strnad fand sich ein visionärer Bühnenbildner für Oper und Theater, doch das Festspielhaus baute sein nichtjüdischer Konkurrent Clemens Holzmeister. Bei Opernaufführungen kamen etliche jüdische Stars zum Einsatz, darunter Bruno Walter, ein Dirigent von Weltrang, der seine Karriere bei Gustav Mahler begonnen hatte. Dessen Schwager wiederum war Arnold Rosé, seines Zeichens Konzertmeister der alljährlich in Salzburg aufspielenden Wiener Philharmoniker. Von der Wiener Staatsoper kamen nicht nur die Kostüme und die Kulissen, sondern auch die Protagonisten: der Regisseur Lothar Wallerstein, die Choreografin Margarete Wallmann, die Tänzerin Tilly Losch, zudem Sängerinnen wie Rosette Anday, Margit Bokor, Claire Born oder Elisabeth Schumann.

Wut gegen Weltstars

Nach der „Machtergreifung“ des NS-Regimes in Deutschland erließ dieses Berufsverbote gegen die jüdische Bevölkerung. Speziell gegen die Salzburger Festspiele wurde mit der „1000-Mark-Sperre“ eine enorm hohe Ausreisesteuer nach Österreich etabliert. Der Zustrom deutscher Besucher kam fast zum Erliegen, der Prozentsatz jüdischer Künstler – die aus Bayreuth und von anderen deutschen Bühnen vertrieben wurden – erhöhte sich. Eine verstärkte Werbetätigkeit bei den Westmächten brachte neue Gäste. Somit durchliefen die Festspiele eine massive Politisierung: Mit Arturo Toscanini kam ein Weltstar am Dirigentenpult nach Salzburg, der sich zuvor geweigert hatte, vor Mussolini oder Hitler zu aufzutreten. Er brachte aus Bayreuth erstmals Opern von Richard Wagner in das Salzburger Repertoire, was für das NS-Regime einen Affront bedeutete. Der „Ständestaat“ wollte zeigen, dass er sich das „Deutschsein“ nicht vom großen Nachbarn verbieten lassen werde.

Die Plakate für 1938 mit den Stars Toscanini und Reinhardt waren schon gedruckt, doch nach dem Einmarsch deutscher Truppen entlud sich die lange aufgestaute Wut der lokalen Nazis in brutalen Gewaltakten: Die Synagoge und die wenigen Geschäfte jüdischer Inhaber wurden verwüstet. Am 30. April 1938 fand am Salzburger Residenzplatz sogar eine Bücherverbrennung statt. Joseph Goebbels ging daran, eine Institution zu übernehmen und neu zu gestalten, die er jahrelang mit allen Mitteln bekämpft hatte. Katholische Programmpunkte wie der Jedermann und die Kirchenmusik wurden abgesetzt. Nach Kriegsbeginn büßten die Inszenierungen zusehends an Opulenz ein, zuletzt wurde fast nur noch vor Soldaten auf Heimaturlaub gespielt.

Rückkehr der Belasteten

Die amerikanische Besatzungsmacht schlug 1945 ihr Hauptquartier in Salzburg auf und erstrebte eine rasche Normalisierung des zivilen Lebens. Einmal mehr boten die Festspiele eine internationale Kulisse. Um den künstlerischen Betrieb auf höchstem Niveau zu gewährleisten, wurden durch ihre Tätigkeit für das NS-Regime schwer belastete Dirigenten wie Karl Böhm, Wilhelm Furtwängler, Herbert von Karajan und Clemens Krauss, aber auch Schauspielerinnen wie Paula Wessely und Darsteller wie Attila Hörbiger und Richard Eybner – nach einem kurzen Auftrittsverbot – wieder langfristig engagiert. Sie prägten die Festspiele bis weit in die Nachkriegszeit.

Zu den wenigen jüdischen Protagonisten gehörten nun Schauspieler wie Ernst Deutsch, der 15 Jahre lang ausgerechnet den Tod im Jedermann gab. Der Regisseur Ernst Lothar kam als US-Offizier nach Salzburg und setzte sich für andere Schicksalsgenossen ein: So kamen Regisseure wie Berthold Viertel und Leopold Lindtberg sowie die Schauspieler Ernst Jaray, Oskar Homolka, Oskar Karlweis oder auch die Opernsängerin Hilde Zadek zum Einsatz, aber immer nur für eine oder zwei Saisonen. Einzig Opernregisseur Herbert Graf feierte etliche gelungene Inszenierungen und war an den Entwürfen Clemens Holzmeisters für das Große Festspielhaus beteiligt. Ab 1960 kamen jüdische Stars aus den USA und Israel nach Salzburg, die ums Überleben ringende Post-Schoah-Gemeinde der auch geistig geschrumpften „Alpenrepublik“ konnte keine mehr beisteuern.

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