Eins, zwei, drei

Gebetsräume für Juden, Christen und Muslime unter einem Dach: Pfarrer Gregor Hohberg, Rabbiner Andreas Nachama und Imam Kadir Sanci (v.l.) bei der Grundsteinlegung. ©René Arnold

In Berlin entsteht ein Haus für den einen Gott in dreierlei religiöser Gestalt: das House of One.

Von Bert Rebhandl

Dass man von Gott in der Einzahl spricht, ist heute fast selbstverständlich, in der Geschichte der Religionen aber eigentlich eine Ausnahme. Schon der jüdische Dekalog stellt mit dem ersten seiner Zehn Gebote eine Ordnung her, die noch aus Konkurrenz kommt: Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Für die Christen ist es klar, dass sie an den Gott glauben, den sie von den Juden (und vielfach ursprünglich als Juden) kennenlernten, von dem sie dann aber ganz neue Ideen entwickelten: eine Dreifaltigkeit, ein ständiges Dreipersonenstück im Inneren göttlicher Einzigartigkeit.

Der besonders strenge Monotheismus im Islam ist auch eine Korrektur dieser christlich-theologischen mutmaßlichen Verirrungen, wie sie den Propheten Mohammed am arabischen Rand der antiken Welt eher gerüchteweise erreichten. Mit Allah kehrten die Weltreligionen zu der Exklusivität des einen Gottes zurück, zu der Konzentration auf das Wesentliche. Aber die Spannung bleibt: Welcher Gott ist der Eine? Ist HaSchem (der Name des namenlosen Gottes der Juden) im Grunde identisch mit Allah und wird nur anders verehrt, weil das Volk Israel die Geschichte eines besonderen Bundes mit Gott erzählt? Ist der Gott, der für die Christen in Gestalt eines Propheten aus Galiläa Mensch wurde, derselbe, der das Volk Israel aus Ägypten herausführte? Hat der Gott des Philosophen Hegel, ein zugleich radikal abstrakter und höchst geschichtlicher Geist, mit dem Gott zu tun, der eine Schöpfung aus dem Nichts durch eine radikal transzendente Offenbarung heiligte?

Vielfalt und Einheit

Man kann diesen Gedanken nachhängen, wenn man in Berlin auf einer der meistbefahrenen Straßen der Stadt vom Alexanderplatz in Richtung des Potsdamer Platzes fährt, und auf der Spreeinsel, dem südlichen Ausläufer der Museumsinsel, auf ein im Entstehen begriffenes Gebäude stößt, das dem Monotheismus ein Heiligtum schaffen soll. Seit Mai 2021 wird gebaut, die Fertigstellung ist für 2024 oder 2025 ins Auge gefasst. Ein 42 Meter hoher Turm soll dann den Unterschied zwischen Kirchturm, Minarett oder Kuppel gegenstandslos machen oder in einer ökumenischen Architektur aufheben. Im House of One, so der Name und das Programm des designierten Bet- und Lehrhauses, sollen künftig die drei großen Weltreligionen unter einem Dach mit ihrem Gott Gemeinschaft halten, es sollen aber auch die Menschen in der notorisch weltlichen Stadt Berlin eine Anlaufstelle finden, wenn sie einmal über die höheren Dinge nachdenken wollen oder einfach einen Ort der Ruhe suchen. Das House of One wird de facto Gebetsräume für Juden, Christen und Muslime enthalten, getrennt, aber unter einem Dach. Es soll also keineswegs Unterschiede verwischen oder gar mit Schiebewänden oder verstellbaren Ornamenten so tun, als könnte man für die Verehrung des höchsten Wesens eine Art Mehrzweckarchitektur erfinden. Vielfalt und Einheit sollen sich im Idealfall auseinander ergeben und ineinander verschränken.

Vieldimensionalität

Bis 2011 reicht die Idee für das House of One zurück, es verdankt sich konkretem Engagement zuerst einmal von Christen, die darüber nachdachten, was man an die Stelle der ehemaligen Petrikirche setzen könnte, die im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt und schließlich von den Behörden der DDR zum endgültigen Abriss bestimmt wurde. Nach der Wende wurde beschlossen, den Petriplatz einerseits archäologisch zu erschließen, andererseits wieder als religiösen Ort zu widmen. Damals kam die Idee auf, man könnte eine Kirche für das höchste Wesen schaffen, für den Einen oder die Eine oder die Idee des Einen, für den Gott der Juden, Christen und Muslime in seiner Vieldimensionalität wie in seiner prinzipiellen Identität. An anderen Stellen der Welt wurden in den letzten Jahren zunehmend wieder einigende historische Wurzeln der praktisch natürlich konkurrierenden abrahamitischen Religionen hervorgehoben – auf den Patriarchen Abraham, eine legendäre Figur aus der mythischen Zeit vor der jüdischen Gründungsfigur Mose, beziehen sich alle heiligen Texte und viele Heilszusagen. Im Nahen Osten wird die politische Entspannung zwischen Israel und einigen arabischen Ländern unter dem programmatischen Label der „Abraham Accords“ vermarktet, und der legendäre Wandersmann, der zwischen Mesopotamien und der heutigen Türkei viel herumkam, dient heute als Patron von Direktflügen zwischen Tel Aviv und Dubai.

Einigungsbemühung

In Berlin soll das House of One noch ein bisschen grundsätzlicher einer Einigungsbemühung dienen. Denn mit der Betonung der Einsheit oder der Einheit geht eine theologische Herausforderung einher. Einheit lässt sich nicht so einfach als Einigkeit verordnen, sie muss, wenn, dann erarbeitet werden. Für den Architekturentwurf des Büros Kuehn Malvezzi hat sich auch gleich eine prägnante Formulierung herumgesprochen: Lessings Ringparabel wird als Bauwerk konkret. Im Mittelpunkt steht dabei allerdings ein Raum, der ausdrücklich nicht einer der drei Religionen zugeordnet wird, sondern der Stadt Berlin als einem weltanschaulich neutralen oder wohlwollend interessierten gastgebenden Ort: Synagoge, Kirche und Moschee im House of One gehen alle von einer sogenannten Stadtloggia ab. Zudem werden ein Beinhaus und ein Archäologisches Fenster an die Besiedelungsgeschichte Berlins erinnern, also einen Horizont eröffnen, der noch einmal ganz anders von den historischen Zeiträumen und von einer Landnahme erzählt. Die heutige deutsche Bundeshauptstadt war ja auch irgendwann einmal ein Kaff am Rande der europäischen Zivilisation, und Gott musste hier mit Vorstellungen von Natur und mit dem, was man früher Heidentum nannte, in Auseinandersetzung treten. Heute ist es die neue Mitte einer einst geteilten Stadt, die mit dem House of One ein neues Wahrzeichen bekommen wird – nach dem Anspruch seiner Stifter ist das wahrscheinlich sogar das Wort, das es am ehesten trifft: Die abendländische Religiosität, die an der Transzendenz festhält, setzt in die weltlichen Machtzeichen ein gegenläufiges Zeichen. So wird man vom Fernsehturm am Alexanderplatz bis zu dem Architektur-Potpourri am Potsdamer Platz künftig nicht einfach an Prestige-Hochhäusern der ehemaligen DDR in der Leipziger Straße entlangfahren, sondern auch an einem Hochhaus, das auf die Idee des Höchsten zielt – des Wesens, das größer nicht gedacht werden kann als durch die Bezeichnung „one“.

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