Ein Postzionist auf der Wiener Couch

Das Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog lud gemeinsam mit NU zu einem intimen Diskussionsabend mit Avraham Burg, Autor des umstrittenen Buches „Hitler besiegen“.
Von Barbara Tóth

Die Juden sind besessen vom Holocaust, der Zionismus ist eine Lebenslüge und der Staat Israel lässt sich mit der Weimarer Republik vor der Machtergreifung Hitlers vergleichen. Das sind nur drei der Kernthesen Avraham Burgs. Würde diese Sätze ein anderer sagen, müsste er sich wohl einen Antisemiten schimpfen lassen. Burg, prominenter israelischer Ex-Politiker, rührt an Tabus, und das mit großer Lust am Formulieren. Seitdem sein Buch „Hitler besiegen. Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss“ vor zwei Jahren in Israel erschienen ist, gilt er den meisten in seiner Heimat als Persona non grata, einigen wenigen jedoch als Prophet für ein neues israelisches Selbstverständnis, das sich nicht mehr ausschließlich durch die Shoah definiert. Was anstelle dieses Vermächtnisses treten soll, bleibt bei ihm allerdings im Unklaren, weswegen Burg auch mit dem Attribut „Post-Zionist“ versehen wurde – einer, der das herrschende Regime verteufelt, aber das kommende noch nicht benennen kann.

Burg polarisiert, Burg läuft natürlich auch Gefahr, Applaus von der falschen Seite zu bekommen. Und aus diesen Gründen war die Präsentation der deutschen Ausgabe seines Werkes in Deutschland schon delikat genug. Für Österreich entschied sich der Verlag, den Autor und seine Thesen im Rahmen eines Kamingesprächs in Kooperation mit dem Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog und NU vorzustellen. Eine Entscheidung, die es rund dreißig geladenen Gästen ermöglichte, einen der kontroversiellsten und gleichzeitig einnehmendsten Denker Israels an einem symbolischen Ort kennenzulernen: im Salon jener Villa, die einst von Bundeskanzler Bruno Kreisky bewohnt wurde.

Burg ist ein athletischer Mann mit großer Körperspannung, der seinen Kopf auch schon einmal in beide Hände nimmt und sich ein paar Sekunden Zeit gibt, bevor er seine Antwort beginnt. NU-Chefredakteur Peter Menasse und NU-Mitbegründer Martin Engelberg führten das Gespräch, das sich im Wesentlichen um die Hauptthesen seines Buches drehte.

„Hier mein Buch vorzustellen, ist anders als in Frankreich oder England“, versuchte Burg einleitend zu erklären, warum dieser Abend in Wien kein einfacher für ihn ist. Die letzten zehn Tage seien eine sehr schwierige Phase gewesen. In Berlin hatte Burg nicht nur sein Buch präsentiert, sondern war zwei Monate davor auch den Berlin Marathon gelaufen. Burgs Vater emigrierte 1938 von Dresden nach Palästina und gründete in den fünfziger Jahren die Nationalreligiöse Partei. Er war Minister in 19 Regierungen – von David Ben Gurion bis zu Schimon Peres. „Ich weinte während des Laufens. Erstens wegen des Verlustes, als ich an den Orten vorbeikam, die mein Vater gekannt hatte. Zweitens, weil das Laufen wehtat. Und ich weinte drittens, weil ich hier sein konnte. Als Jude, der den Marathon läuft wie ein Goi. Ich rannte wie die Deutschen und Holländer.“

Diese Einleitung legte den selbstbewussten Grundton von Burgs Argumentation fest: Es ist hoch an der Zeit, dass sich Israel als Nation wie jede andere auch begreift. Als eine Nation, die das Gedenken an den Holocaust nicht für sich gepachtet hat, die nicht jeden aktuellen Konflikt in den Kontext der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie stellt. „Der Holocaust ist Teil der menschlichen Natur. Das ,niemals wieder‘ gilt für alle Menschen, nicht nur für Juden. Israel ist heute eine Nation, die sich auf das Ius Sanguinis gründet. Auch wenn das für Wiener Ohren fürchterlich klingt. Es macht eben einen großen Unterschied, ob man heute ein Jude in Wien oder in Israel ist. Jüdisch-Sein darf sich nicht mehr über Gene, sondern muss sich über Werte definieren.“

Wie er es als Sohn eines tiefreligiösen Juden mit der Religion halte, wollte NU-Redakteur Engelberg wissen, der auch Psychoanalytiker ist. „Legen Sie mich jetzt auf die Couch?“, scherzte Burg, bevor er eine ernst gemeinte Antwort gab: „Judaismus ist meine Kinderstube, aber nicht im Sinne einer Identität, sondern als Teil eines Universums, das für mich Kommunikation bedeutet.“ Sein Vater, der im Übrigen als eines von zwei Mitgliedern gegen die Hinrichtung Adolf Eichmanns im israelischen Kabinett gestimmt hatte, habe seine Kippa während politischer Sitzungen etwa nicht getragen. „Ich fragte meine Mutter, wie das möglich sein konnte“, erzählt Burg. „,Damals fühlte er sich noch als Deutscher‘ war ihre Antwort.“

Ari Rath, ehemaliger Chefredakteur der Jerusalem Post und engster Kenner der israelischen Politik, stellte dann die Frage, die sich vielen Zuhörern nach Burgs Einleitung aufdrängte. Wenn Burg so überzeugend von seinen Ideen für ein besseres Israel sprechen kann, warum hatte er sich dann aus der Politik zurückgezogen? Immerhin war Burg mehrere Jahre Chef der Jewish Agency gewesen, die, wie es die Neue Zürcher Zeitung formuliert, so etwas wie der „operative Arm des Zionismus“ ist. Er war Sprecher der Knesset, des israelischen Parlaments. 2001 kandidierte er für den Vorsitz der Arbeiterpartei, scheiterte aber. 2004 zog er sich aus der Politik zurück. Schon davor hatte er im britischen Guardian mit einem Artikel über sein neues Lebensthema „The End of Zionism“ Aufsehen erregt. „Ich zog mich zurück, weil ich nachdenken und schreiben wollte. Ich hatte realisiert, dass Israel ein sehr effizient verwaltetes Reich ist, dem aber die Perspektiven fehlen. Ich will eine neue Vision entwickeln, einen Spirit. Ich will das aktuelle Koma, intellektuell wie gesellschaftlich, in Israel herausfordern. Vielleicht werden mir einige folgen“, lautet Burgs Antwort.

Für alle, für die Burgs Aussagen schwer verdaulich waren, hatte er eine versöhnliche Erklärung parat: „Ich liebe eben Polemiken. Nicht die Wiener Art davon, die richtigen.“

Avraham Burg
Hitler besiegen. Warum sich Israel endlich vom Holocaust lösen muss
22,90 Euro / 280 Seiten.
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2009

„Avraham Burgs Buch, das dem Autor auch in der Diaspora den Widerwillen und die Abneigung vieler mit Israel verbundener Menschen eintragen wird, ist eine unumgängliche Lektüre – nicht zuletzt für alle jene, die nach wie vor der Meinung sind, dass der zionistische Staat Israel der einzig legitime Erbe der jüdischen Geschichte sei.“ Neue Zürcher Zeitung

Der Autor:
Avraham Burg, 54, wuchs in Rehavia, dem „Kleindeutschland“ Jerusalems, auf. Sein Vater Shlomo Yosef flüchtete 1938 aus Dresden nach Palästina und brachte es zum längstdienenden und beliebtesten Minister des israelischen Kabinetts. Anfang der achtziger Jahre trat Burg selbst erstmals in die Öffentlichkeit – als Aktivist von Peace Now. Religiös und weltoffen galt er über Jahre als kommender Mann der Arbeiterpartei. Nachdem er 2001 vergeblich um den Vorsitz seiner Partei kandidiert hatte, zog sich der glücklich verheiratete Vater von sechs Kindern aus

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