Ein Monument der Vertreibung und der Rückkehr

Nach Jahrhunderten der zweckentfremdeten Nutzung und des Vergessens wurde die Antiga Sinagoga Mayor de Barcelona, eine der ältesten Synagogen Europas, wiederentdeckt, restauriert und nun als kleines, aber feines jüdisches Museum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Von Mary Kreutzer und Thomas Schmiedinger

Der 5. August 1391 war der wohl finsterste Tag in der Geschichte der katalanischen Juden. Bereits hundert Jahre vor ihrer endgültigen Vertreibung aus Spanien erreichte eine Welle antijüdischer Pogrome von Sevilla ausgehend das katalanische Barcelona. Katholische Priester hetzten mit antisemitischen Predigten gegen die Juden der Stadt und spornten die folgenden Übergriffe an. Wie viele Juden von den fanatisierten Massen erschlagen, wie viele zur christlichen Konversion oder in die Flucht getrieben wurden, dazu gibt es bis heute keine Zahlen. Unbestritten ist hingegen, dass die blühende jüdische Gemeinschaft Barcelonas mit einer Geschichte, die bis in die Römerzeit rückverfolgbar ist, für Jahrhunderte vernichtet wurde. Das Pogrom von 1391 läutete den Anfang des Endes jüdischer Präsenz in Spanien ein.

Spaziert man heute durch die mittelalterlichen Gässchen des Barri Gòtic in der Altstadt Barcelonas, sind nur wenige Spuren des Jüdischen Viertels, Call genannt, sichtbar. Die ersten Juden sollen sich hier bereits nach der Zerstörung des Zweiten Tempels in Jerusalem im Jahr 70 CE angesiedelt haben. Im 13. Jahrhundert machte ihr Anteil an der Stadtbevölkerung 15 Prozent aus, insgesamt rund 4.000 Menschen. Auch wenn Diskriminierungen und antisemitische Übergriffe der Katholiken sich seit der Jahrtausendwende mehrten, erlebte die Gemeinschaft des Call auch wirtschaftlich und wissenschaftlich erfolgreiche Zeiten. Viele Juden taten sich mit ihren Sprachkenntnissen in Latein, Griechisch, Hebräisch, Katalanisch, Spanisch und Arabisch als Vermittler zwischen Orient und Okzident und als Übersetzer philosophischer Werke arabischer Schriftsteller und als Ärzte hervor.

Die Existenz der „Antiga Sinagoga Mayor de Barcelona“ wurde erst 1995 durch Studien eines Historikers bekannt. In der Synagoge erzählt uns der junge Israeli mit polnischen und argentinischen Wurzeln, der uns durch das Museum führt, dass sich damals der liberale jüdische Verein „Call de Barcelona“ entschloss Gelder zu sammeln um das Gebäude, das ein Elektrofachgeschäft beherbergte, zu kaufen. Man stellte rasch fest, dass im Keller des Gebäudes tatsächlich Überreste einer Synagoge vorhanden waren. Bei den Ausgrabungen wurden die nach Jerusalem ausgerichtete Originalfassade sowie römische Fundamente mit Steinen aus Karthago freigelegt.

Das Museum selbst beherbergt eine kleine Synagoge, Vitrinen mit Ritualgegenständen, aber auch einige Alltagsgegenstände von Jüdinnen und Juden aus Barcelona aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Synagogenraum wird durch eine große Menora dominiert. Der wichtigste „Ausstellungsgegenstand“ ist jedoch mit Sicherheit der Ort selbst, der als letzter Rest des alten Call heute weit unter Straßenniveau liegt und nur über eine steile Treppe hinunter in den Keller erreichbar ist. Der Betrachter taucht mit jeder Stufe geradezu in die Welt des mittelalterlichen jüdischen Viertels von Barcelona ein. Die Gewölbe und der durch Glasplatten geschützte, aber sichtbare Boden gehören zu den wichtigsten Ausstellungsstücken.

Sie bilden die Reste dieser uralten Synagoge. Die Zulassung zu einem Synagogenbau in Barcelona datiert aus dem Jahr 212, was die Sinagoga Mayor zu einer der ältesten Synagogen Europas macht. Nach dem Pogrom von 1391 wurde das Gebäude enteignet und bis Ende des 20. Jahrhunderts vergessen und zweckentfremdet verwendet. 2002 wurde die Synagoge als Museum wiedereröffnet. Der hintere Raum ist auch als Synagoge voll funktionstüchtig. Gefeiert wird hier heute u.a. Bar Mitzwá, Bat Mitzwá, Jupá und Kadish.

Vor einer Gruppe spanischer Touristen im zweiten Raum der Synagoge hält ein älterer Herr einen Vortrag über die Geschichte des Call. Mighuel Iaffa ist die treibende Kraft im Verein Call de Barcelona und er war es, der vor 13 Jahren den Kauf des Gebäudes maßgeblich vorantrieb. „Es war mir wichtig, dass die Juden Barcelonas ihr Erbe und ihre Kultur wiedererwerben. Dass sie ein Mittel besitzen, sich ihre eigene Geschichte, die geraubt und vergessen wurde, wieder anzueignen.“ Sein Vater, Fernando Iaffa, war einer jener 500 ArgentinierInnen, unter ihnen etliche Juden und Jüdinnen, die im Spanischen Bürgerkrieg an der Seite der Republikaner den Faschismus bekämpften. Nach dem Sieg der Franquistas verbrachte er einige Monate in Internierungslagern und konnte 1940 mit der Hilfe des argentinischen Konsulats zurück in seine Heimat gebracht werden. Bei Kilometer 2,5 der Straße, die die Ortschaften Marçà und La Torre de Fontaubella verbindet, ist heute eine Gedenktafel für Fernando Iaffa angebracht.

Die Jahrzehnte der Franco-Diktatur fasst der Autor Pere Bonnín in seinem Buch „Sangre Judía“ (Jüdisches Blut) als „antisemitisch und antizionistisch“ zusammen. Bonnín beschreibt darin auch ausführlich, wie bis heute, 500 Jahre nach der massenhaften Zwangskonversion tausender spanischer Juden, die Nachfahren eben jener Familien unter dem Antisemitismus der „reinen Spanier“ – oft genug selbst Konvertiten – leiden müssen. Er recherchierte über 3.000 Nachnamen von Conversos in den Protokollen der Inquisition und in den Archiven der mittelalterlichen jüdischen Gemeinden, die im Anhang des Buches aufgelistet werden. Unter ihnen finden sich die Nachnamen prominenter spanischer Antisemiten, die nicht müde werden zu betonen, dass sie „reinen Blutes“ seien.

Manche Nachfahren dieser Conversos wissen bis heute, dass ihre Vorfahren Jüdinnen und Juden waren. Andere ahnen allenfalls, dass seltsame Familienbräuche möglicherweise etwas mit dieser Geschichte zu tun haben könnten. Der junge Israeli, der Gäste durch das Museum führt, berichtet von Katalanen, die seit Generationen katholisch sind und im Museum nachfragen, ob der in ihrer Familie überlieferte Brauch am Freitag Abend Kerzen anzuzünden oder am Samstag kein Feuer zu entfachen möglicherweise jüdischen Ursprungs sein könnte. Für einiges Aufsehen sorgte vor einigen Monaten eine Gruppe von Wissenschaftern rund um Mark Jobling, deren genanalytische Untersuchungen ergaben, dass 19,8 Prozent der heutigen Bevölkerung Spaniens von sephardischen Juden aus dem Nahen Osten abstammen. (The Genetic Legacy of Religious Diversity and Intolerance: Paternal Lineages of Christians, Jews, and Muslims in the Iberian Peninsula, American Journal of Human Genetics, 4.12.2008) Die heute bestehende jüdische Gemeinde Barcelonas hat ihre Ursprünge jedoch kaum in Reconversos, die Jahrhunderte nach ihrer Zwangskonversion wieder ihre jüdischen Wurzeln entdeckt hätten. Nach der endgültigen Vertreibung der Sephardim aus Spanien 1492 hatte ein Rabbinatsgericht einen Cherem (Herem), einen Bannfluch, über Spanien gesprochen, der eine Rückkehr religionsgesetzlich verbot. Als sich Ende des 19. Jahrhunderts erstmals wieder Jüdinnen und Juden in Spanien niederließen, entwickelte sich in der Folge unter streng religiösen Gruppen auch eine Debatte darüber, ob dies denn aufgrund des Cherem überhaupt religiös zulässig sei. Für die jüdischen Neueinwanderer waren solche Fragen jedoch zweitrangig. Schließlich hatten sie unter dem gegenwärtigen Antisemitismus der katholischen Kirche und nach dem Spanischen Bürgerkrieg auch unter dem Antisemitismus des Franco-Faschismus zu leiden und zu kämpfen. In Barcelona stand die Mehrheit der jüdischen – wie auch der nichtjüdischen – Bevölkerung auf Seiten der Republik.

Heute leben ca. 10 Prozent der rund 40.000 spanischen Juden in Barcelona. Hier gibt es neben der Synagoge im Museum zwei neuere Synagogen, eine sephardische und eine aschkenasische, in denen Gottesdienste stattfinden. Daneben gibt es eine jüdische Schule, ein Altersheim und ein Zentrum der Chabad-Bewegung. Und Barcelona beherbergt eben auch das einzige jüdische Museum Kataloniens. Das kleine Museum in der Antiga Sinagoga Mayor de Barcelona wird ausschließlich von privaten Betreibern mit Spenden und Eintrittsgeldern finanziert. Stadt, Autonome Region und Staat unterstützen den Museumsverein bislang nicht. Die Möglichkeiten für einen Ausbau des Museums sind damit äußerst beschränkt. Es stellt sich damit in vielerlei Hinsicht eher als Gedenkstätte denn als Museum im engeren Sinne dar. Der Besuch lohnt allerdings allein schon wegen des historischen Ortes und des Gespräches mit den MuseumsmitarbeiterInnen.

JÜDISCHES MUSEUM
Barcelona
Synagoge und Museum “Antiga
Sinagoga Mayor de Barcelona”:
Adresse: Marlet 5, Barcelona
Tel. (+34) 93 317 07 90

Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von
10:30 bis 14:30 und 16:00 bis 19:00.
Samstag und Sonntag von
10:30 bis 15:00.
www.calldebarcelona.org

Führungen durch das Jüdische
Katalonien und Barcelona mit der
Architektin Dominique Tomasov
Blinder zu buchen unter
www.urbancultours.com

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