„Die Stadt, die mich erniedrigt hatte!“

Aristokratische Fantasie als Abschied von Wien: Zweigs Salzburger Villa am Kapuzinerberg. Foto: Stefan Zweig Zentrum Salzburg

Für Stefan Zweig hatte Salzburg zwar „etwas Abstoßendes“, es waren aber auch Jahre eines eminenten Erfolgs. Die Versöhnung mit den Festspielen hingegen erfolgte spät.

Im März 1919 bezog Stefan Zweig mit seiner Lebensgefährtin Friderike von Winternitz in Salzburg das Haus am Kapuzinerberg Nr. 5. Bereits im Oktober 1917, noch mitten im Krieg, hatte er das fürsterzbischöfliche Jagdschlösschen gekauft. Für den Umzug von Wien nach Salzburg spielten mehrere Motive eine Rolle: Flucht aus der politischen und intellektuellen Nachkriegs-Depression Wiens; Abschied vom Wiener Literaturbetrieb, in dem es einige leidenschaftliche Gegner gab; das Haus als Geldanlage gegen die zu erwartende Inflation nach dem Krieg; Rückzug aus dem Trubel der Großstadt, entweder als Sommerresidenz für intensive Arbeitswochen in der Provinz, oder vielleicht doch als fester Wohnsitz?

Erstaunlich, die Monarchie war zerstört, aber die Schriftsteller hatten aristokratische Fantasien: Hofmannsthal residierte in einer Villa in Rodaun, Hermann Bahr, der Salzburg-Enthusiast der ersten Stunde, hatte sich im Salzburger Schloss Arenberg eine Etage gesichert, Max Reinhardt würde bald auf Schloss Leopoldskron zu glamourösen Festen laden. Nun also auch Zweig in einer schönbrunnergelben Villa am Kapuzinerberg. Der Krieg war verloren, aber die Künstler sehnten sich nach dem großzügigen Leben der Welt von Gestern.   

Zweig konnte nicht ahnen, dass das durch Krieg und Inflation verarmte Städtchen bald ein begehrter Treffpunkt von zugereisten Musikliebhabern und Theaterfreunden werden sollte. Schon am 7. April 1919 schrieb er an seinen französischen Freund Romain Rolland: „Strauss und Reinhardt wollen ein großes Theater gründen – unseligerweise in Salzburg. Die bezaubernde kleine Stadt, meine Zuflucht, würde dann ein Bayreuth werden! Ich bin ein wenig in Sorge, denn ich verabscheue diese Massen von Snobs für mein stilles Leben. Immerhin, es wird bis dahin ja noch Jahre dauern.“

Zweig sollte sich irren. Bereits im August 1920 wird Hofmannsthals Jedermann in Salzburg aufgeführt. Eigentlich handelte es sich dabei um eine Berliner Tournee-Produktion aus dem Jahr 1911, die schon in vielen Städten Deutschlands zu sehen war, sogar auf Gastspielen in Ungarn und in der Tschechoslowakei gezeigt wurde. Zweig beklagte sich in Briefen über die „Teufelswoche Jedermann“, die ihm ungebetene Gäste ins Haus brachte. Auch im Jahr darauf ärgerte er sich über den Festspielrummel, der seine Arbeit störte: „Eine Springflut von Menschen, 5 bis 10 jeden Tag … Ich habe seit 20. Juli keine Zeile arbeiten können“, schrieb er seinem Freund Viktor Fleischer in einem Brief vom August 1921.

Die Festspiele haben für ihn „etwas Abstoßendes“, Zweig erträumte sich ein höheres Künstlertum: „Alle Wirklichkeiten entbehren der Reinheit: Ich fühle das in Salzburg am besten, wo ich in die Kulissen der weltberühmten Festspiele Reinhardts zu sehen Gelegenheit hatte. Es ist zu viel Kulisse dabei, zu viel Betrieb und vor allem das verfluchte Geld, das alles vergiftet und zerstört, was von einer Idee Wirklichkeit werden will. Ich glaube, das Theater ist irgendetwas, womit wir nicht rechnen dürfen, wenn wir von Kunst reden.“ Das schreibt Zweig an Otto Heuschele am 24. Jänner 1924.

Lieber nach Thumersbach

Wer heute auf Stefan Zweigs Lebensjahre in Salzburg (1919–1934) blickt, sieht vor allem dies: Es sind die Jahre seines eminenten Erfolgs. Dank hoher Auflagen und zahlreicher Übersetzungen wird Zweig Ende der 1920er Jahre mit seinen erotischen Novellen und historischen Biografien zu einer Figur der Weltliteratur.

Über die Festspiele wird er auch in den folgenden Jahren nichts Gutes sagen. Meistens verlässt er Salzburg während der Sommerwochen demonstrativ und zieht sich nach Zell am See oder nach Thumersbach zurück. Zweig hatte also kein Interesse, an diesem Festival mitzuwirken, obwohl er ja mit Hofmannsthal und Reinhardt aus den Jahren vor dem Krieg in Verbindung stand. Aber er wäre für die Festspiele als Dramatiker zu haben gewesen. Auf deutschen Bühnen und in Wien hatte er sich einen Namen gemacht. Viele seiner insgesamt zehn Theaterstücke wurden auch von anderen Bühnen nachgespielt und übersetzt. Keines seiner Dramen fand jedoch Eingang in das Festspiel-Programm. Erst 2010 kam es zur ersten Aufführung eines Werks von Zweig bei den Salzburger Festspielen: Jossi Wieler inszenierte im Landestheater eine Dramatisierung der Novelle Angst.

Späte Versöhnung

Am 15. Juli 1929, zwei Tage, nachdem sich sein älterer Sohn Franz erschossen hatte, starb Hugo von Hofmannsthal in seinem Schlösschen in Rodaun. Zweig berichtete wiederholt, er sei in der Oberstufe des Gymnasiums auch so eine Art „Loris“ gewesen. Hofmannsthal war für Zweig schon früh eine Projektionsfläche genialischer Fantasien. Die beiden schrieben sich höfliche Briefe, schätzten einander aber wenig. Bei der Trauerfeier für Hofmannsthal im Wiener Burgtheater am 13. Oktober 1929 hielt Zweig die Rede. Er drückte darin seine Bewunderung für das Frühwerk Hofmannsthals aus, betonte aber, dass viele der späteren Projekte nur Fragment geblieben seien. Die Salzburger Festspiele werden mit keinem Wort erwähnt.

An seinen französischen Freund Romain Rolland schrieb Zweig am 20. Juli 1929 eine Postkarte. Hier klingt es unverstellt: „Hofmannsthals Leben war eine lange Tragödie – Vollendung mit 20 Jahren, und dann entzogen ihm die Götter ihre Stimmen. Ich mochte ihn persönlich wenig, aber ich war sein Schüler, und sein Tod hat mich sehr bewegt.“

1926 konnte Stefan Zweig mit seiner Komödie Volpone, der Bearbeitung eines Stückes des englischen Dramatikers Ben Jonson, im Burgtheater einen Triumph feiern. Es sollte das erfolgreichste, in aller Welt gespielte Stück Zweigs werden. Auch das war ein Spiel vom Leben und Sterben des reichen Mannes, diesmal jedoch entfesseltes Volkstheater, im Gegensatz zum weihevollen Mysterienspiel von Hofmannsthals Jedermann. Zweig hätte seine Komödie gern auch in Salzburg auf der Bühne gesehen, und der berühmte deutsche Schauspieler Emil Jannings, der nach 1933 eine große Filmkarriere machen sollte, hätte sehr gerne die Titelrolle gespielt. Aber Reinhardt lehnte ab.

Stefan Zweigs Verhältnis zu den Festspielen entspannte sich erst nach Hofmannsthals Tod. Sein Interesse galt jetzt ganz der Musik. Er schloss Freundschaft mit den beiden wichtigsten Dirigenten jener Jahre, Arturo Toscanini und Bruno Walter, besuchte Konzerte und Oper, und so gelang eine späte Versöhnung mit dem Festival, über das er später nur das Beste sagen sollte. Als ihn Richard Strauss 1931 einlädt, ein Libretto für eine Oper zu schreiben, ein Privileg, das bisher Hofmannsthal vorbehalten war, könnte das Salzburger Leben im letzten Moment doch noch richtig gut werden. Aber die jungen Demokratien in Österreich und Deutschland werden vom Faschismus zerstört, Europa steuert auf einen neuen Krieg zu, der Hass gegen die Juden wird immer aggressiver. Zweig verlässt Österreich im Februar 1934. Die Strauss-Oper Die schweigsame Frau kommt 1935 in Dresden zur Uraufführung, sie wird nach vier Vorstellungen abgesetzt, der Direktor der Oper verliert seine Stelle, und Richard Strauss muss in der Folge als Präsident der Reichsmusikkammer zurücktreten.

Österreich am Ende

Es war Zweig nicht entgangen, dass die Nazi-Sympathisanten in Salzburg enormen Zulauf hatten. Die antisemitischen Pöbeleien, etwa in der Zeitung Der eiserne Besen, die es schon seit Anfang der 1920er Jahre gab, versuchte Zweig zu ignorieren. Das war nicht leicht, denn sie betrafen ja nicht nur ihn, sondern auch alle jüdischen Künstler der Festspiele, darunter auch Max Reinhardt, Bruno Walter, sogar Alexander Moissi, der zwar Albaner, aber kein Jude war. Über das antisemitische Klima in Salzburg sprach Zweig erst, nachdem er die Stadt verlassen hatte. „Man jagte mich mit Spitzelberichten“ schrieb er im Mai 1934 an Joseph Roth und berichtet, er habe in Salzburg eine „maßlose Beschimpfung und Missachtung“ über sich ergehen lassen müssen.

Am 30. April 1938 gab es, nach deutschem Vorbild, auch in Salzburg eine Bücherverbrennung. Am Tag darauf schrieb Zweig seinem Freund Romain Rolland, was vorgefallen war: Salzburg sei die „größte Nazi-Stadt, die Stadt, die mich erniedrigt hatte – und die Stadt, die gestern als erste in Österreich unsere Bücher verbrannt hat. Ich wusste es, ich litt unter dieser Atmosphäre. Ich war angewidert von diesen Männern, die man feierte, Innitzer, Dollfuß, selbst Schuschnigg … Mit dem Niederschlagen der Sozialisten war Österreich am Ende, und ich bin stolz, dem Kardinal Innitzer, diesem Verräter, und allen anderen nicht die Stiefel geleckt zu haben.“

Von 1934 bis 1940 lebte Stefan Zweig im Exil in England. Die letzten eineinhalb Jahre seines Lebens hielt er sich in den USA und in Brasilien auf. Im Februar 1942 nahm er sich in Petrópolis, nahe Rio de Janeiro, das Leben. Eineinhalb Jahre später, im Oktober 1943, starb Max Reinhardt verarmt in New York.

Sommer 1933, Café Bazar vor dem Festspielhaus: Stefan Zweig mit seiner italienischen Übersetzerin Lavinia Mazzucchetti. Foto: Stefan Zweig Zentrum Salzburg
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