Die Ideologie des Massenmordes

Wahlkampfveranstaltung der Hamas im Jahr 2007 in Ramallah: Ahmad Yasin war geistiger Führer, Abd al-Aziz ar-Rantisi „Generalkommandant“ der Terrororganisation. ©HOHEIT_CREATIVE COMMONS 20

Von Jeffrey Herf

Die terroristische Invasion Israels durch die Hamas am 7. Oktober 2023 ist das schlimmste Massaker an jüdischen Zivilisten seit dem Holocaust. Die Barbarei mag viele Beobachter schockiert haben, nicht aber jene, die mit der Ideologie der Täter vertraut sind, denn dieser jüngste Gewaltausbruch ist nur die logische Folge des Judenhasses, den die Hamas seit 1988 offen äußert. Islamischer Antisemitismus kam zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf und war auch ausschlaggebend für den Sechstagekrieg im Jahr 1948. Die Ideologie der Hamas-Führung basiert auf der Verschmelzung von Nationalsozialismus und Islamismus in den 1930er und 1940er Jahren, aufgrund dessen die Legitimität eines jüdischen Staates (oder überhaupt eines anderen Gemeinwesens, das nicht ausdrücklich islamistisch ist) in jenem Gebiet, das vor 1948 das britische Mandatsgebiet Palästina war, kategorisch abgelehnt wird.
Das Blutbad vom 7. Oktober erinnert an frühere Terrorakte, mit denen – manchmal mit Erfolg – diplomatische Bemühungen, die zu einer Verhandlungslösung hätten führen können, sabotiert wurden. Doch die jüngsten Grausamkeiten beweisen, wie sehr der Judenhass die Hirne der Terroristen bereits zerfressen hat. Kurzfristige politische Überlegungen mögen hilfreich sein, um den Zeitpunkt einzelner Angriffe zu erklären. Aber die Geschichte des islamistischen Antisemitismus ist entscheidend für das Verständnis dieses völkermörderischen Rassismus der Hamas.
Es ist Aufgabe eines Kulturhistorikers, auf jene ideologischen Leidenschaften hinzuweisen, die islamistischem Tun zugrunde liegen. Die Hamas betrachtet Judenhass als Tugend und hat in den von ihr gegen Israel geführten Kriegen wiederholt Ideologie und Politik vereint. Über mehrere Jahrzehnte hinweg hat das Middle East Media Research Institute (MEMRI) ein umfangreiches Archiv an Texten, Fernsehprogrammen, Radiosendungen und Social-Media-Inhalten gesammelt, das den Judenhass der Hamas belegt. Auch das von Daniel Pipes geleitete Middle East Forum hat die Hamas jahrelang beobachtet. Obwohl diese Quellen jedem Internet-User leicht zugänglich sind, schenk(t)en
vor allem liberale und progressive Medienkreisen den Aussagen von Hamas-Funktionären keine oder zu wenig Aufmerksamkeit.

Tod um Allahs willen

Hamas wurde Ende 1987 als palästinensischer Flügel der Muslimbruderschaft gegründet, ihre im Jahr darauf proklamierte Charta, deren englische Übersetzung seit mehreren Jahrzehnten auf der Website des Avalon Project an der Yale Law School verfügbar ist, bringt die Grundsätze der Hamas unmissverständlich zum Ausdruck. Im August 2014 schrieb ich in der Zeitschrift American Interest: „Hamas verzichtete – wie alle Spielarten islamistischer Politik – auf die zweifelhafte Behauptung der PLO, Antizionismus sei nicht identisch mit Hass auf Juden. Im Gegenteil, so erklärte man, ‚ist unser Kampf gegen die Juden sehr groß und sehr ernst‘ – das Endziel also, nicht bloß Taktik. Für die Hamas ist dieser Kampf ausdrücklich religiöser Natur. Die Charta ist ein manichäisches Dokument; sie unterteilt die Politik in wahre oder falsche, gerechte oder ungerechte Alternativen. Sie verspricht, die Welt im Namen des Islam neu zu gestalten, der zu ihrem Bedauern aus dem öffentlichen Leben verdrängt worden sei. Ihr Slogan: ‚Allah ist ihr Ziel, der Prophet ist ihr Vorbild und der Koran ist ihre Verfassung: Dschihad ist der Weg und der Tod um Allahs willen der größte aller Wünsche‘.“ Die Charta ist unverzichtbar für jeden, der den Antisemitismus und die Verschwörungsparanoia der Hamas verstehen möchte. Ein Auszug aus Artikel 22:
„Die Feinde haben das, was sie erreicht haben, äußerst präzise geplant. Sie berücksichtigten die Ursachen, die den Verlauf der Ereignisse beeinflussen. Sie strebten nach großem materiellem Reichtum […] Mit ihrem Geld beherrschten sie die Weltmedien, Nachrichtenagenturen, die Presse, Verlage, Rundfunkanstalten und anderes mehr, sie finanzierten in verschiedenen Teilen der Welt Revolutionen, mit dem Ziel, ihre Interessen durchzusetzen und die Früchte zu ernten. Sie standen hinter der Französischen Revolution, der Kommunistischen Revolution und den meisten Revolutionen, von denen wir hier und da gehört haben. Mit ihrem Geld gründeten sie weltweite Geheimbünde wie etwa Freimaurer, Rotary oder Lions Clubs, um Gesellschaften zu sabotieren und zionistische Interessen durchzusetzen. Mit ihrem Geld kontrollierten sie imperialistische Länder und stifteten diese dazu an, andere Länder zu kolonisieren, um ihre Ressourcen und Korruption zu ermöglichen. [..] Sie steckten hinter dem Ersten Weltkrieg, im Zuge dessen sie das islamische Kalifat zerstörten, um finanzielle Gewinne zu erzielen und deren Bodenschätze zu kontrollieren. Sie drängten auf die Balfour-Erklärung und gründeten den Völkerbund, um mit dessen Hilfe die Welt zu beherrschen. Im Zweiten Weltkrieg erzielten sie durch den Handel mit Rüstungsgütern enorme finanzielle Gewinne und ebneten den Weg für die Gründung ihres Staates. Sie waren es, die den Völkerbund durch die Vereinten Nationen sowie den Sicherheitsrat ersetzten, um die Weltherrschaft zu erlangen. Es gibt nirgendwo einen Krieg, an dem sie nicht beteiligt sind.“

Der Mufti und die Nazis

Vor und während des Zweiten Weltkriegs wurden die palästinensischen Araber von dem Nazi-Kollaborateur Haj Amin al-Husseini (auch bekannt als „Großmufti von Jerusalem“) angeführt, der sich im Dezember 1942 mit Hitler traf, mit dem deutschen Geheimdienst zusammenarbeitete und am Aufbau einer muslimischen SS-Division in Jugoslawien beteiligt war. Die Araber, versicherte al-Husseini dem deutschen Außenminister Joachim von Ribbentrop, seien die „natürlichen Freunde Deutschlands, weil beide im Kampf gegen ihre drei gemeinsamen Feinde engagiert seien: die Engländer, die Juden und den Bolschewismus“. Der Krieg, sagte er, sei „vom Weltjudentum entfesselt worden“, das die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion kontrollieren würde.
In meinem 2009 erschienenen Buch Nazi Propaganda for the Arab World habe ich die Allianz zwischen Nazis und Islamisten in den Jahren zwischen 1941 und 1945 untersucht. Auch der deutsche Historiker und Politologe Matthias Küntzel hat sich mit Djihad und Judenhaß sowie mit seinem aktuellen Werk Nazis und der Nahe Osten der Geschichte des islamischen Antisemitismus vor und während des Holocaust gewidmet. Ich habe dessen Erkenntnisse vergangenes Jahr im Tablet-Magazin zusammengefasst:
„In den letzten dreißig Jahren haben historische Studien bestätigt, was US-amerikanische Liberale und Linke, französische Sozialisten, Kommunisten und Gaullisten ebenso wie Kommunisten in der Sowjetunion, Polen und Tschechoslowakei längst aufgezeigt hatten: Die Kollaboration palästinensischer Nationalisten mit den Nazis war in den Nachkriegsjahren allgemein bekannt. Der US-Senator Robert F. Wagner, der Kongress-Abgeordnete Emanuel Celler, die Herausgeber von The Nation, der linken Tageszeitungen PM und New York Post, führende Persönlichkeiten des American Zionist Emergency Council sowie das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Wien haben Dokumente aus dem Dritten Reich veröffentlicht, die al-Husseins Begeisterung für die Nazis und seinen tiefen Hass auf Judentum, Juden und den Zionismus beweisen. Die Zusammenarbeit zwischen Palästinensern und Nationalsozialisten war unmittelbar nach dem Krieg kein Geheimnis. Der Druck auf Großbritannien, Frankreich und die Vereinigten Staaten war groß, den Mufti wegen Kriegsverbrechen anzuklagen, aber die drei Regierungen lehnten einen Prozess aus Rücksicht auf arabische Empfindlichkeiten ab.“ Al-Husseini entkam im Juni 1946 dem Hausarrest in Frankreich und wurde in Kairo vom Gründer der Muslimbruderschaft, Hasan al-Banna, wie ein Held empfangen: „Die Niederlage Hitlers und Mussolinis hat dich nicht erschreckt. Deine Haare sind vor Angst nicht grau geworden und du bist immer noch voller Leben und Kampfesgeist. Was für ein Held, was für ein Wunder von einem Mann. Wir möchten wissen, was die arabische Jugend, Kabinettsminister, reiche Männer und Prinzen von Palästina, Syrien, Irak, Tunis, Marokko und Tripolis tun werden, um sich dieses Helden würdig zu erweisen. Ja, dieser Held, der mit Hilfe Hitlers und Deutschlands ein Imperium herausforderte und den Zionismus bekämpfte. Deutschland und Hitler sind Geschichte, aber Amin Al-Husseini wird den Kampf fortsetzen.“
Als Vorsitzender des Höheren Arabischen Komitees in Palästina lehnte al-Husseini den UN-Teilungsplan für das Mandatsgebiet Palästina ab und machte sich daran, die nationalistische Bewegung zu islamisieren.
Vierzig Jahre später entfachte die Hamas den islamisch begründeten Judenhass von al-Banna und al-Husseini erneut. Das Argument von der Muslimbruderschaft in Ägypten und Gaza bis zur Islamischen Republik Iran: Es sei den säkularen Nationalisten, den Linken in der PLO und den arabischen Staaten nicht gelungen, Israel in den Kriegen von 1967 und 1973 zu zerstören. Aus ihrer Sicht erfüllten auch das Camp-David-Abkommen von 1978 nicht ihre Hoffnungen auf eine Kompromisslösung. Der religiöse Fundamentalismus stelle die Grundlage für die Ablehnung eines Kompromisses mit Israel dar, weil er den säkulären Konflikt um Land und Grenzen zu einem Religionskrieg mache und somit jede Verhandlungslösung ausschließe.
Meir Litvak, Vorsitzender der Abteilung für Nahost- und Afrikastudien an der Universität Tel Aviv, hat in Fachzeitschriften ausführlich zur Islamisierung des arabisch-israelischen Konflikts publiziert, wobei er den arabisch- und persischsprachigen Quellen besondere Aufmerksamkeit widmete. Im Palestine-Israel Journal schreibt Litvak:

Totalitäre Ideologie

„Hamas betont den ‚islamischen Charakter‘ der palästinensischen Sache. Daher wird der Kampf als eine unüberbrückbare Dichotomie zwischen zwei Absolutheiten dargestellt: ein ‚Krieg der Religion und des Glaubens‘ zwischen Islam und Judentum sowie zwischen Muslimen und Juden, und nicht als einer zwischen Palästinensern und Israelis oder Zionisten. Es handelt sich um einen historischen, religiösen, kulturellen und existenziellen Konflikt zwischen der wahren Religion, die alle bisherigen Religionen ersetzt, also dem Islam, und der abgeschafften, abgelösten Religion, dem Judentum.“ Wie Küntzel interpretiert auch Litvak Ideologie und Handeln der Hamas als Religionskrieg und damit als absolutistisches Überbleibsel vormoderner Politik, die im völligen Widerspruch zu den Kompromissen der politischen und kulturellen Moderne steht. Auch Paul Berman erachtet in seinen zwei wichtigen Bücher Terror and Liberalism (2003) und Flight of the Intellectuals (2010) die Anschläge vom 11. September 2001 und die Zweite Intifada als Ausdruck dieser totalitären Ideologie. Die meisten dieser wissenschaftlichen und intellektuellen Kommentare stehen in einer liberalen Tradition, werden jedoch oft von jenen ignoriert, die sich ungern mit der Natur islamistischer Doktrinen und Politik befassen. Stattdessen versuchen liberale und fortschrittliche Medien, den palästinensischen Terror als Instrument postkolonialen Denkens und antiimperialistischen Widerstands zu erklären und damit eine Ideologie der reaktionären extremen Rechten in eine Ideologie der revolutionären Linken zu verwandeln.
Diese eklatanten Interpretationsfehler bestimmten das Verständnis einer breiten Öffentlichkeit über den Nahen Osten. Der Massenmord vom 7. Oktober war das jüngste Kapitel im langen Krieg der Islamisten gegen die Juden, gegen Israel und gegen die Werte und Institutionen westlicher Demokratie. Es ist wichtig, dass Intellektuelle, Analysten, Journalisten, Politiker, Politikexperten und Regierungsbeamte die Wahrheit über den Zusammenhang von antisemitischer Ideologie der Hamas und ihrer mörderischen Praxis des wahllosen Blutvergießens sagen. Um zu begreifen, warum Hamas-Kämpfer das Blutbad an israelischen Bürgern verübt haben, müssen wir nur aufmerksam zuhören, was die Führer, Geistlichen und Kader der Hamas seit Jahren sagen.

Jeffrey Herf ist emeritierter Professor an der University of Maryland, College Park, und Autor des kürzlich erschienenen Buches „Israel’s Moment“ (Cambridge University Press, 2022). Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des australischen Onlinemagazins „Quillette“, wo der Artikel unter dem Titel „The Ideology of Mass Murder“ erstmals erschienen ist. www.quilette.com
Deutsche Übersetzung: Andrea Schurian

Die mobile Version verlassen