„Der jüdische Witz ist angstlos“

Für Markus Kupferblum hat Humor dann den richtigen Wert, wenn er eine existenzielle Wahrheit trifft. ©Meinrad Hofer

Der Wiener Theatermensch Markus Kupferblum ist Experte für die Commedia dell’arte und bekannt für seine multidisziplinären Regiearbeiten aus Oper, Zirkus, Theater und Film. Für ihn ist das Alleinstellungsmerkmal des jüdischen Humors die Angstfreiheit.

Von Michael J. Reinprecht

NU: Als Regisseur, aber auch durch Ihre intensive Beschäftigung mit der Commedia dell’arte, sind Sie in ständiger Berührung mit Humor. Gibt es den typisch jüdischen Humor?

Kupferblum: Der jüdische Humor ist davon geprägt, dass es keine unfehlbare Autorität gibt im Judentum. Wir sind es gewohnt, Fragen zu stellen. Eine echte Autorität manifestiert sich erst über die Qualität der Antworten, aber so etwas wie einen unfehlbaren Papst haben wir nicht. Und diese Lust am In-Frage-Stellen, das auch Gewohnheit ist, bildet die geistige Existenzgrundlage des jüdischen Kabaretts. Das politische jüdische Kabarett kennt keine Angst vor der Obrigkeit.

Das heißt, diese Abwesenheit von Hierarchie ist …

… einfach eine Art von positiver Respektlosigkeit. Es geht um Angstlosigkeit. Dabei handelt es sich um Abwesenheit von Angst und nicht um die Überwindung von Angst. Das ist die Welthaltung der Juden. Daraus entsteht das In-Frage-Stellen. Nicht: „Es ist so, das war schon immer so, da kann man nichts machen.“ Sondern: „Warum ist das so, muss das so sein, wie geht es besser?“ Das prägt das jüdische Denken, die Wissenschaft und eben auch den jüdischen Humor.

Hat das jüdische Verständnis von Gott etwas mit dem jüdischen Humor zu tun?

Nicht unbedingt. Eher das jüdische Verständnis vom Menschen, dass wir alle fehlbar sind und nur allzu oft gegen eines der zahlreichen Gesetze verstoßen. Aber die jüdische Religion ist eine Religion des Verzeihens, und so können wir vielleicht eher über unsere Fehlbarkeit lachen. Und jedes Jahr wird zu Jom Kippur eine neue Seite aufgeschlagen.

Bei jüdischem Kabarett denke ich vor allem an die Generation von Karl Farkas, Hugo Wiener, Ernst Waldbrunn oder Georg Kreisler. Sie sind nach 1945 zurückgekommen und haben Erfolge gefeiert. Dieselben Leute, die sie zur Flucht zwangen, haben nun über die Witze der Kabarettisten gelacht. Wie erklären Sie sich das?

Für diese großen Künstler war ihre Sprache Heimat. Es waren, wie man heute sagen würde, Ur-Wiener. Die konnten woanders gar nicht arbeiten. Und ihre grauenhaften Erfahrungen haben ihnen eine unglaubliche Weisheit und auch Widersprüchlichkeit im Humor gegeben. Ich kann gut nachvollziehen, dass sie bei der ersten Gelegenheit zurückkamen. Sie haben Wien ja geliebt. Wenn Sie das verstehen wollen, lege ich Ihnen meine persönliche Bundeshymne ans Herz. Sie stammt von Georg Kreisler und heißt „Ich fühl mich nicht zu Hause“. Und die Wiener im Publikum? Die waren damals ja noch die ersten Opfer…
Aber heute gibt es fast keine jüdischen Kabarettisten mehr; sie sind gewissermaßen ausgestorben. Das jüdische Kabarett ist Geschichte. Die heutigen Kabarettisten sind ganz anders. Es sind Stand-up-Comedians, das sind auch im positiven Sinne meistens „Gschichtl-Drucker“, die Pointen aus ihrem Alltag erzählen.

Das heißt?

Humor hat für mich nur dann einen richtigen Wert, wenn er eine existentielle Wahrheit trifft. Und diese Wahrheit muss man zuerst erkennen, vielleicht auch persönlich erleben; und man muss sie ansprechen, selbst wenn sie einem weh tut. Anders gesagt, man muss dorthin schießen, wo der Feind steht, und nicht, wo es bequem ist, hinzuschießen. Das machen die Juden – und zwar natürlich in erster Linie auch gegen sich selbst. Das ist unglaublich mutig und großzügig, wenn sich diese Leute zuerst über sich selbst lustig machen, über ihre eigenen Schwächen, Erfahrungen und Verletzungen. Und aufgrund ihrer Schmerzerfahrung bekommt das eine besondere, einzigartige und wertvolle Qualität. Erst dann lachen sie über andere.

Kann das nicht gefährlich sein? Schüren jüdische Witze nicht auch antisemitische Vorurteile wie beispielsweise das Klischee von der Geschäftstüchtigkeit der Juden?

Nein, das denke ich überhaupt nicht. Wenn mit einem Witzchen Vorurteile bekräftigt werden, ist das für mich vollkommen wertlos, bloß ein rassistisches Instrument. Komik kann viel mehr. Da geht es um existenzielle, menschliche Wahrheiten. Wenn sich die Juden über sich selbst lustig machen, dann entspricht das vielmehr einer tiefen, gelebten Wahrheit. Das kann ein Publikum schon unterscheiden. Dafür hat es ein untrügliches Sensorium.

Muss Humor immer mit einer existenziellen Wahrheit zu tun haben?

John Vorhaus, ein holländischer Humorforscher und Autor, sagt: Humor ist Wahrheit und Schmerz. Ich bin zwar mit dieser Formel nicht ganz einverstanden, aber wenn man dem folgt, dann erkennen die Juden die Wahrheit und haben sozusagen keine Angst, ihren Schmerz zu artikulieren, auch wenn sie ihn sehr wohl empfinden.

Georg Kreisler etwa, der einen schonungslosen Blick auf die Gesellschaft hatte, in der er lebte, litt auch wirklich mit und unter ihr. So wie Qualtinger, Bronner oder Wehle ja auch gelitten haben – wie alle anständigen Menschen unter Wien leiden. Und aus dieser Erfahrung des täglich empfundenen Schmerzes können sie mit ihrem Finger genau dorthin zeigen, wo es tatsächlich weh tut. Es scheint eine jüdische Eigenschaft zu sein, genau das zu thematisieren.

Als Qualität, sich selbst auf die Schaufel zu nehmen?

Ja, genau. Das sind dann die Witze, die sich über religiöse Vorschriften lustig machen, über die Eitelkeit, rechthaberisch zu sein. Sich über sich selbst und über seinesgleichen lustig zu machen, gehört wohl zum Besten des jüdischen Humors.

So wie mein Lieblingswitz, den ich Ihnen zum Abschluss gerne erzählen möchte: Kommt der Mojschele zum Rabbi und klagt: „Rabbi, ich bin untröstlich. Mein einziger Sohn ist geworden ein Goj. Was soll ich tun?“ Sagt der Rabbi: „Mojschele. Weißt du, vor kurzem ist mein einziger Sohn auch geworden ein Goj.“ – „Was? Was hast du gemacht?“ – „Da habe ich Gott gefragt: Was soll ich jetzt machen? Und Gott hat mir geantwortet: Was willst du, Rabbi, auch mein einziger Sohn ist geworden ein Goj. Da frag ich: Was hast du gemacht? Da antwortet mir Gott: Was hätt’ ich machen sollen, hab ich geschrieben ein neues Testament.“ Diesen Witz finde ich sehr lustig, weil die Wahrheit drinnen steckt, dass niemand vor einer Katastrophe gefeit ist – und in unserer menschlichen Phantasie nicht einmal Gott selbst.

„Die jüdische Religion ist eine Religion des Verzeihens“, so Markus Kupferblum, „und so können wir vielleicht eher über unsere Fehlbarkeit lachen.“ ©Franzi Kreis
Sich über die eigenen Schwächen und Verletzungen lustig machen zu können, dazu gehören Mut und Großzügigkeit. ©Franzi Kreis
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