Deconstructing Israel

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Die Theorien der US-Philosophin Judith Butler sorgen seit geraumer Zeit für Aufregung. Butlers antizionistisches Programm ist eindeutig: die Abschaffung Israels.

Als der Literaturwissenschaftlerin und Philosophin Judith Butler 2012 der Adorno-Preis der Stadt Frankfurt verliehen wurde, war die Aufregung groß. Im Zuge der durch die Preisverleihung ausgelösten Diskussionen über ihre israelfeindlichen Aussagen versuchten das Preiskomitee und viele Anhänger der Gender-Theoretikerin, Butler mit der Behauptung in Schutz zu nehmen, sie kritisiere lediglich den fortgesetzten Siedlungsbau und konkretes Regierungshandeln in Israel. Das war zwar angesichts der Verlautbarungen der Starphilosophin schon damals kaum haltbar, spätestens mit ihrem im selben Jahr veröffentlichten Buch Parting Ways dürfte diese Verteidigungsstrategie aber kaum durchzuhalten sein. 

Unter dem deutschen Titel Am Scheideweg erschienen, beginnt das Buch der 1956 in Cleveland als Tochter jüdischer Eltern geborenen Autorin mit der Lieblingslüge aller sich als Opfer gerierender Antizionisten. Sie stützen sich auf die fantastische These, dass jegliche Kritik an Israel von einer als allmächtig halluzinierten Internationale der Israel-Verteidiger reflexhaft als antisemitisch gebrandmarkt werde. Butler gibt die banale Tatsache, dass es schon immer auch jüdische Kritiker des Zionismus gegeben hat, als bahnbrechende Neuigkeit aus, deren Thematisierung einem ausgesprochen mutigen Tabubruch gleichkomme. Die jüdischen Kritiker des Zionismus wie Hermann Cohen, Franz Rosenzweig und Hannah Arendt dienen ihr als Rückversicherung, um ihrer Wut auf einen „ausbeuterischen Siedlerkolonialismus“ der jüdischen Israelis, der bei ihr jenseits aller realen Ereignisse im Nahen Osten existiert, freien Lauf zu lassen und ihn mit höheren philosophischen Weihen auszustatten. Durch Bezugnahme auf die Kritik des Schoah-Überlebenden Primo Levi am Libanon-Krieg von 1982 versucht sie, ihrer grundsätzlichen Ablehnung des zionistischen Projekts selbst den Koscher-Stempel aufzudrücken. So gerüstet, kann sie sich vollends ihrer politischen Programmatik widmen, die ganz wie bei ihrem Stichwortgeber Edward Said auf nichts anderes hinausläuft als die Abschaffung Israels. So findet Butler ihre jüdischen Kronzeugen denn auch nicht radikal genug: Die Vorschläge von Hannah Arendt, Martin Buber und Judah Magnes zum Binationalismus gehen ihr noch längst „nicht weit genug“. Sie will die endgültige Aufgabe des „politischen Zionismus“ und streitet für eine klare Absage an jede Form „jüdischer Souveränität“.

Eindeutiges Programm 

Butler fordert die Abschaffung des israelischen Rückkehrgesetzes, das allen Juden die Einwanderung nach Israel garantiert, und die Verwirklichung des Rückkehrrechts der Palästinenser, womit das Ende Israels als jüdischer Staat besiegelt wäre. Angesichts von Butlers Einschätzung, dass der „Verlust der demografischen Überlegenheit der jüdischen Bevölkerung in Israel“ mit „Sicherheit die Aussichten für die Demokratie in dieser Region verbessern“ würde, ist es nur eine minimale Übertreibung, von einem „Erlösungsantizionismus“ zu sprechen. Ihre leidenschaftlich betriebene Desavouierung der Legitimität Israels versucht sie in dem Buch durch ihre bereits seit Jahren proklamierte, von vielen ihrer deutschsprachigen Fans verharmloste oder relativierte Unterstützung des „Boycott/Divestment/Sanctions-Movement“ (BDS) voranzubringen, von dem sich mittlerweile selbst Noam Chomsky und Norman Finkelstein distanziert haben. 

Butler betont, dass es ihr keineswegs nur um den Boykott von Waren aus Siedlungen im Westjordanlang geht, sondern um einen umfassenden Boykott des Staats der Schoah-Überlebenden und ihrer Nachkommen, da sonst die palästinensischen „Ansprüche von 1948“ und das „Recht auf Rückkehr“ aufgegeben würden. Butlers Programm ist eindeutig: Es geht ihr um die „Befreiung“ ganz „Palästinas“, weshalb sie sich auch explizit gegen linke Spielarten des Zionismus ausspricht. Ginge es mit rechten Dingen zu, bliebe für all jene Butler-Fans, die noch bei der Verleihung des Adorno-Preises meinten, der Autorin gehe es nur um die israelische Präsenz im Westjordanland, nicht viel Spielraum. Die Professorin für Rhetorik und Komparatistik betont: „Festzuhalten ist, dass der Binationalismus (…) in meiner eigenen Argumentation nicht in eine Zweistaatenlösung mündet, sondern in einen einzigen Staat.“

Gesinnungsethik

Butler abstrahiert nicht nur vom gegenwärtigen Antisemitismus, sondern von der gesamten Vorgeschichte der israelischen Staatsgründung. Die Vertreibungen von Palästinensern 1948 sind bei ihr kein Resultat eines bereits jahrzehntelang währenden Konflikts, der maßgeblich durch den arabischen Antisemitismus befeuert wurde, und keine Konsequenz aus dem von arabisch-palästinensischer Seite provozierten Krieg, sondern im Wesen des Zionismus begründet. Die Vertreibungen von hunderttausenden Juden aus den arabischen Ländern, an die zuletzt der französische Historiker Georges Bensoussan in seinem Buch Die Juden der arabischen Welt erinnert hat, finden bei ihr keine Erwähnung. Von der Geschichte des arabischen Antisemitismus und den gegenwärtigen Bedrohungen Israels durch das iranische Regime ist auf 280 Seiten ebenso wenig die Rede wie vom Judenhass der Hamas oder der Hisbollah, die Butler für „fortschrittlich“ hält und als „Teil der globalen Linken“ betrachtet.

Über hundert Jahre Nahostkonflikt stülpt sie ihre faktenresistente universalistische Gesinnungsethik, in der jihadistische Mörderbanden problemlos als Verbündete im Kampf gegen Israel Platz finden.

Butlers zentrales Argument ist die Mobilisierung eines abstrakten und geschichtslosen Universalismus gegen den Partikularismus des Zionismus. Zur Unterfütterung ihrer universalistischen Pseudomoral, die jederzeit durch krudesten Kulturrelativismus ersetzt werden kann, verweist sie auf Walter Benjamins Messianismus und Emmanuel Lévinas’ Ethik. Sie verkennt nicht nur das in den unterschiedlichen Ausprägungen des Judentums stets präsente Spannungsverhältnis von Partikularismus und Universalismus, sondern ignoriert die seit Jahrzehnten in den diversen zionistischen Strömungen existierende Diskussion über Separatismus und Kosmopolitismus, über universalen Anspruch und notwendigerweise partikulare Praxis. Butler und ihre Fans wollen nichts davon wissen, dass der Partikularismus des Zionismus ein aufgezwungener, kein frei gewählter ist. Wer sich an ihm stört, sollte etwas gegen seine Ursache unternehmen: den Antisemitismus. Den jedoch befeuert Butler allein schon dadurch, dass sie selbst eine Art von „jüdischem Exzeptionalismus“ betreibt, den sie und Kronzeugen am Zionismus kritisieren, und sich für ihre Kritik ausgerechnet den jüdischen Staat herausgreift. Was an Israel kritisiert wird – seine Staatsgewalt, sein Nationalismus, die Absicherung eines Territoriums –, wünscht Butler sich ihrem postnationalen Konzept zum Trotz für die palästinensischen Brüder und Schwestern. Über den Inhalt deren politischer Projekte und deren Nationalismus verliert sie kein Wort und stellt sie außerhalb jeder Kritik. In ihrer Parteinahme für die Sache „Palästinas“ entpuppt sich die politische Theorie der postsouveränen Denkerin des Antinationalismus endgültig als Kumpanei mit der Barbarisierung.

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