Das kleine Wörtchen „von“

Erich von Stroheim (re., mit Pierre Fresnay) wie er sich selbst am liebsten inszenierte: Aufnahme aus Jean Renoirs Klassiker „La Grande Illusion“ (1937). FOTO: WIKIMEDIA COMMONS

In Österreich wurde der Adel gesetzlich abgeschafft, während in Hollywood aufwändige Filme über die Kaiserzeit entstanden. Zwei Regisseure aus Wien standen im Mittelpunkt: Josef von Sternberg und Erich von Stroheim.

Von Michael John

In den Nachschlagewerken werden die beiden Regisseure Erich von Stroheim und Josef von Sternberg gerne in einem Atemzug genannt. Zu Recht, sie hatten einiges gemeinsam: Stroheim (1885–1957) und Sternberg (1895–1969) waren Zeitgenossen, sie waren noch zu Zeiten der Monarchie ausgewandert, sie legten sich in den USA ihre Adelstitel zu, sie waren enorm erfolgreich und wurden mitunter zu den besten Filmemachern ihrer Zeit gezählt. Sie galten aber auch als schwierige Genies: Sie entstammten jüdischen Familien in Wien und hatten Schwierigkeiten mit ihrer jüdischen Herkunft. Der Griff nach dem Adelstitel, nach der „Selbstadelung“, geschah rein aus Prestige. Oder verbarg sich mehr dahinter?

Selbsternannter Kriegsheld

Das Matrikenbuch der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien weist aus, dass Erich Stroheim als Sohn des aus Gleiwitz stammenden jüdischen Hutfabrikanten Benno Stroheim und Johanna, ehemaliger Bondy und aus Prag stammend, in Wien VII, Lindengasse 17a geboren wurde. Er lebte im jüdischen Umfeld seiner Familie, besuchte in Wien die Schule und meldete sich danach freiwillig zum Militär. Anstelle des erhofften raschen Aufstiegs berief man ihn zu keiner karrierefördernden Einheit, sondern zu einem Trainregiment ein, zu den despektierlich sogenannten „Mosesdragonern“ – eine übliche Praxis bei jüdischen Rekruten. 1908 muss etwas passiert sein: Stroheim trat aus der Israelitischen Kultusgemeinde mit einem offiziellen Schreiben aus, im Jahr darauf emigrierte er in die USA. Diese Eckdaten sind alle eindeutig belegbar. Stroheim erfand in der Folge in Amerika seine Identität neu.

Die Eintragung in die Matrikel der Kultusgemeinde war nach Stroheim eine Fälschung der Nationalsozialisten (blanker Unsinn). Seine Version war: Er sei Erich Oswald Hans Carl Maria von Stroheim, Graf von Nordwall, Sohn des Friedrich von Nordwall, Major im 6. Dragonerregiment und dann Geschäftsmann, und der Johanna, geborene Baronesse Bondy, einst Hoffräulein der Kaiserin Elisabeth und Schwester des Kaiserlichen Rats Emil Bondy. Und Katholik (ein Beleg für eine Konversion liegt nicht vor) sei er auch. Stroheim stilisierte sich auch zum Kriegshelden: In den Jahren 1902 bis 1909 habe er als k.u.k. Offizier bei den Husaren gedient, 1908 sei er aktiv an Kämpfen in Bosnien und Herzegowina beteiligt gewesen. (Dies ist frei erfunden).

Bärtiges Ungeheuer

Etwas weniger gebrochen stellt sich die Präsentation der Herkunft bei Josef von Sternberg dar, der als Jonas Sternberg im zweiten Wiener Gemeindebezirk als Sohn des orthodox-jüdischen Ehepaars Moses und Serafina Sternberg geboren wurde. Als Siebenjähriger wurde Sternberg von seinem bereits ausgewanderten Vater nach Amerika geholt, 1904 kehrte die Familie nach Wien zurück, weil der Vater in den USA wirtschaftlich erfolglos blieb. Doch in Wien wiederholte sich die Erfolglosigkeit des Geschäftsmannes Moses Sternberg: 1909 wanderte die Familie wiederum nach Amerika aus, wo sie in weiterer Folge auch verblieb. Josef von Sternberg schrieb in seiner Autobiografie über seine Kindheit: „Ein großer Teil des Dramas in meinem Leben … ereignete sich in Wien. Als Kind habe ich gehungert. Ich wurde als Kind (von meinem Vater) geschlagen, bis ich wie ein Hund heulte. Nach jeder Tracht Prügel streckte er gnädig die strafende Hand zum Kuss aus – zu jener Zeit eine weit verbreitete Tradition. Als Sechsjähriger kam ich in die Schule. Das Klassenzimmer war die Höhle eines schrecklichen Ungeheuers mit Bart und stechenden Augen … Der Religionsunterricht war Pflicht. Wir lernten hebräisch lesen und schreiben.“ Sternberg distanzierte sich Zeit seines Lebens in keiner Weise von seinem jüdischen Familienhintergrund.

Keine Majestätsbeleidigungen

Altösterreich war ab den 1880er Jahren zunehmend geprägt von nationalen Auseinandersetzungen. Überschäumender Nationalismus seitens der Ethnien und starrer Konservatismus alter Eliten, die eine deutsche Vorherrschaft behaupten wollten, gingen hier Hand in Hand. Bastionen des staatspolitischen Österreichertums waren bis zuletzt die Bürokratie, das Militär, hier vor allem die Offiziere, ein Teil des Adels, der Hof und die Krone – und, da sie unter anderem damals national nicht eindeutig zuordenbar waren und sich wirtschaftlich entfalten konnten – ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung. Spätestens seit Joseph II. wurde seitens der Jüdinnen und Juden den Habsburgern und einem Großteil des Adels eine Schutzfunktion zugesprochen. Viele waren bis zum Ende der Monarchie loyal, in den Wohnungen des jüdischen Bürgertums hing meist ein Kaiserbild. Stefan Zweig hat dieses Milieu eindringlich in Die Welt von Gestern dargestellt. Felix Salten, ungarisch-jüdischer Herkunft, passt hervorragend zu Stroheim und Sternberg; er hatte später ebenfalls mit Hollywood zu tun. Er schrieb 1905 eine kleine Monografie Der Wiener Adel. Ironie mischte sich hier mit Affinität und Beobachtergabe, lange vor Pierre Bourdieu erläuterte er den Habitus: jenen der Wiener Adeligen.

Ein kurioses Indiz für Kaisertreue und Staatstreue: Das Delikt der Majestätsbeleidigung war bei Juden sehr selten und absolut unterrepräsentiert: Waren 1894 insgesamt 220 Anzeigen gegen Christen in Hinblick auf Majestätsbeleidigungen eingegangen, so waren es bei den Juden keine einzige; 1894 stand es 273 zu 2. Der Anteil bei Majestätsbeleidigungen seitens der Jüdinnen und Juden lag zwischen 0 und 0,7 Prozent, der Bevölkerungsanteil der jüdischen Bevölkerung Altösterreichs hatte insgesamt hingegen rund 4,5 Prozent betragen.

Korrektes österreichisches Salutieren

Das Image des Adels war nach 1918 in Österreich stark in Mitleidenschaft gezogen, ein Adelsaufhebungsgesetz eingeführt worden. Die Habsburger mussten das Land verlassen. Adelskritik war weit verbreitet. Das war nicht überall so. In England, Frankreich, vor allem in den USA standen Adelige aus der Habsburgermonarchie bald hoch im Kurs. In Hollywood drehte man teure Produktionen über die Kaiserzeit – und die genannten zwei Herren aus Wien standen im Mittelpunkt: Josef von Sternberg und Erich von Stroheim, der überhaupt nur „Von“ genannt wurde. Beide waren, wie erwähnt, keine Aristokraten, sondern hatten sich das klingende Prädikat in den USA als Künstlernamen zugelegt. Zeit ihres Lebens hingen Erich von Stroheim und Josef von Sternberg nostalgisch an Wien.

Sternberg sprach von der „Stadt meiner Träume“, vom „Zauber Wiens“, der sich nicht so leicht abschütteln lasse. „Kaum ein Winter kann schöner sein als die Winter in Wien“, schrieb Sternberg ebenso wie „Österreich ist ein so schönes Land wie kaum ein zweites auf der Welt.“ Stroheim war in diesem Punkt noch viel extremer, in seinen Arbeiten thematisierte er Wien und die Habsburgermonarchie, drehte mit Wedding March (1928) einen Film über die Kaiserstadt der Jahrhundertwende; weil überlang, ließ ihn Paramount von Sternberg schneiden, der ihn schonend kürzte. In seinen späten Jahren stilisierte sich Stroheim privat samt Kammerdiener, Salon und Schloss wie ein adeliger Offizier des Fin de Siècle, in den 1920er Jahren sagte er in einem Interview: „One day when I was homesick I felt physically ill. It is not because I do not love my adopted land – it is the natural feeling of one far from home. How beautiful were the Viennese women and the flowers and music and perfume, and uniforms covered with gold braid.“ Stroheim bezog sich hier auf das Wien der Kaiserzeit.

Stroheims Stärke als Regisseur lag im realistischen Perfektionismus. Im bigott-puritanischen Amerika der 1920er Jahre zeigte er beispielsweise lüsterne, verfügungsbereite, stark an Geld interessierte Amerikanerinnen. Sein anderes Lieblingsthema, die Habsburgermonarchie, handelte er einerseits melodramatisch ab, andererseits zeichnet er seine brutalen Offiziere als autoritätsgläubige Geschöpfe einer rigiden Klassengesellschaft. Was letzten Endes zur Verbannung aus dem Kreis der Hollywoodregisseure führte, war Stroheims überbordende Detailverliebtheit, die sich in seiner Produktionsweise niederschlug und mehrmals schon während der Dreharbeiten seine Entlassung provozierte. Etwa bei Merry-Go-Round (1923), nachdem er angeblich drei Produktionstage damit verbracht hatte, Hollywoodstatisten, die kaiserliche Gardesoldaten spielten, für eine Aufnahme von nur wenigen Sekunden korrektes österreichisches Salutieren beizubringen.

Rebell im Trachtenanzug

Josef Sternberg übersiedelte von New York nach Hollywood und drehte dort 1924 seinen ersten Film Salvation Hunters, der ihn über Nacht zu einer Berühmtheit machte. Charlie Chaplin war damals so etwas wie der Mentor Sternbergs. 1927 drehte Sternberg mit Underworld den ersten Gangsterfilm Hollywoods. 1929 akzeptierte er ein Angebot der Ufa in Berlin und drehte Der blaue Engel nach dem Roman Professor Unrat von Heinrich Mann. Marlene Dietrich hatte er in einem kleinen Theater entdeckt und die Hauptrolle mit ihr besetzt. Es begann eine mehrjährige private und berufliche Verbindung. Sternberg holte die Dietrich nach Amerika, wo er Morocco (1930) und Shanghai Express (1932) mit ihr drehte – um hier zwei der insgesamt sechs gemeinsamen Hollywoodfilme zu nennen.

1937 begab er sich in Kontinentaleuropa auf die Suche nach Talenten in den Theaterhäusern. Während seines Wien-Aufenthalts, Marlene Dietrich war auch dabei, wurde ihm die Position eines österreichischen Filmbeauftragten angeboten; er sollte auch einen eigenen Film drehen: „Im alten Hotel Imperial sagte ich den Vertretern der europäischen Presse (im Jänner 1938), unser Projekt versuche, Österreich mit Kunst zu bewaffnen, während andere Nationen auf Stahl setzen.“ Sternberg als österreichischer Filmbeauftragter wäre ein Vorhaben gewesen, das an das Konzept der Salzburger Festspiele – mit Arturo Toscanini via kulturpolitischer Internationalität die Unabhängigkeit Österreichs zu unterstützen – erinnert hätte. Doch es kam anders: Sternberg erlitt einen gesundheitlichen Zusammenbruch und Österreich wurde an Hitler-Deutschland „angeschlossen“. In seiner Autobiografie sah er sich vor allem als „Rebell“ und auch als Opfer der Filmindustrie. Vor seinem Tod posierte er in seinem Haus in Westwood/Los Angeles im österreichischen Trachtenanzug. Sternberg starb 1969 in Kalifornien an Herzversagen.

Epilog: Reiz der Ambivalenz

In den 1980er Jahren führte ich ein Interview mit einem Herrn, der etwas später geboren wurde als Josef Sternberg und Erich Stroheim: jüdisches Bürgertum, etwas dandyhaft, manchmal ironisch, ausgestattet mit einer Royal Air Force-Krawatte. Er zeigte mir ein Foto einer jüdischen Weihnachtsfeier nach dem Zweiten Weltkrieg, vermutlich aus den späten 1950er Jahren. Ein Christbaum, obendrauf der Rote Stern, der Baum geschmückt mit Lametta und Weihnachtskugeln, im Hintergrund ein Bild von Kaiser Franz Joseph. Danben ein Chanukkaleuchter, auch das Wort „Weihnukka“ fiel. Ich sprach ihn auf die Widersprüchlichkeit dieser Inszenierung an. „Widersprüchlich, ach was“, er leiste sich diese „kognitive Dissonanz“. Ambivalenzen gehörten bei Assimilation und Integration einfach zum Leben dazu.

Josef von Sternberg, berühmt durch sieben Filme mit Marlene Dietrich, hier mit Hauptdarsteller Emil Jannings am Set von „Der blaue Engel“ (1930). FOTO: WIKIMEDIA COMMONS
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