Das „I“-Wort

Von Martin Engelberg

Was bewegte den österreichischen Verteidigungsminister Darabos, den israelischen Außenminister als „unerträglich“ zu bezeichnen und die ziemlich schräge Behauptung aufzustellen, Israel würde die Pläne Irans dramatisieren, um von seinen innenpolitischen Problemen abzulenken? Nach zahlreichen Gesprächen mit Politikern der Sozialdemokratie zu urteilen, machte Darabos diese Aussagen ohne jegliche Absprache in der SPÖ. Diese Aussage fiel also mit Sicherheit nicht im Rahmen einer neuen Strategie der Bundesregierung oder auch nur der SPÖ.

Einige Stimmen in Österreich vermuteten, dass sich Darabos mit diesen Aussagen – er äußerte sich ja auch zur US-Raketenabwehr in Europa usw. – als Außenpolitiker in der SPÖ profilieren wollte, zumal auf diesem Gebiet die Personalreserve ohnehin nicht besonders groß ist. Dazu waren seine Aussagen jedoch viel zu emotional, sodass er sich als möglicher zukünftiger Außenminister damit eher disqualifizierte.

Noch komplizierter wird die Sache angesichts der Tatsache, dass sich Darabos bisher immer als überzeugter Antifaschist hervortat und gegen jede Form von Antisemitismus und Rassismus auftrat sowie zahlreiche Projekte zur Aufarbeitung der Nazizeit in Österreich unterstützte.

Woher, fragt man sich, kommt dann diese Emotionalität, diese Unausgewogenheit, diese besonders harsche Kritik gegenüber Israel aus dem Mund eines Politikers, von dem bisher niemandem ein Wort des Unmuts, geschweige denn Verurteilung, gegenüber den schweren staatlichen Verbrechen, dem tausendfachen Morden in Syrien, dem Iran oder Nordkorea gehört hat?

Norbert Darabos deshalb einfach als modernen Antisemiten zu bezeichnen oder ihm vorzuwerfen, er hätte ein Problem mit den lebenden Juden, wie dies von jüdischer Seite im In- und Ausland geschah, ist Unfug, ist unangemessen und undifferenziert. Vielmehr scheint bei Darabos ein Phänomen beobachtbar, das bei dogmatischen, ideologischen Politikern oft beschrieben wird. Es wird Spaltung genannt. Solche Politiker neigen dazu alles und alle in ein Freund-Feind-Schema einzuordnen, bei dem alles entweder schwarz oder weiß ist.

In diesem Fall heißt das: hier die Juden, die das volle Mitgefühl für das erlittene Leid der Schoah verdienen, der Kampf für die Aufarbeitung der Naziverbrechen und das Auftreten gegen jede Form von Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Doch solche hehren Gefühle und Engagements sind nie ohne Ambivalenz. Was tun mit den eigenen Ressentiments, negativen Gefühlen wie Hass und Neid und dergleichen mehr? Diese haben in der Beschäftigung mit Juden, der Nazizeit und dem heutigen Kampf gegen die Rechte keinen Platz.

Eine Verurteilung der Massenmorde in Syrien oder von Folter und Missachtung der grundlegenden Menschenrechte im Iran bietet für diese abgespaltenen Gefühle keine Erleichterung. Hier hilft nur eines: Israel, israelischen Politikern vom Schlage eines Lieberman können alle diese negativen Gefühle zugeschrieben werden, die hier in Europa gegenüber den hier lebenden Juden und Überlebenden der Schoah nicht ins Spiel kommen dürfen.

Israel ist als das „I“-Wort für so manchen Politiker hier in Europa zu einem roten Tuch geworden. Einmal mit dem „I“-Wort angesprochen brennen die Sicherungen durch, geht jede ministerielle Etikette, jede Haltung verloren. Dementsprechend groß ist dann das Befremden auf beiden Seiten, innerhalb der jüdischen Gemeinde und bei Norbert Darabos, nachdem man sich über viele Jahre als Freunde und Kämpfer für die gemeinsame Sache wähnte. Die Irritation und das Unverständnis sind auf beiden Seiten so groß, dass es bis jetzt, über mehrere Wochen, nicht einmal zu einem klärenden Gespräch zwischen Darabos und Vertretern der jüdischen Gemeinschaft kam, um die zunehmende Vergrößerung des Schadens hintanzuhalten. Hier wäre von beiden Seiten mehr Klugheit und Besonnenheit gefordert.

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