Auf dem Weg ins Jenseits

Knapp siebzig jüdische Friedhöfe und Gedenkstätten gibt es in Österreich: der alte jüdische Friedhof am Wiener Zentralfriedhof. © DIETMAR RABICH/WIKIMEDIA COMMONS/CC BY-SA 4.0

Begräbnisrituale spielen in allen Religionen eine bedeutende Rolle. Über Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Christentum, Judentum und Islam.

Von Savanka Schwarz

 Religionen unterscheiden sich stark in der Vorstellung über das richtige irdische Leben. Aber auch in der Frage, was danach passiert, ist man sich bekanntlich nicht einig. Fest steht allerdings, dass religiöse Gemeinschaften und altbekannte Riten Trost spenden, gerade wenn es darum geht, das Unbegreifliche etwas greifbarer zu machen.

Christentum

Mit dem Eintreten des Todes ist im Christentum zwar das irdische Leben beendet, die Seele gilt jedoch als unsterblich. Nach dem Tod ist es üblich, dass die Angehörigen privat oder mit einem Priester Abschied von dem Verstorbenen nehmen. Traditionell findet eine Erdbestattung statt, damit der Tote am Tag des Jüngsten Gerichts leibhaftig auferstehen kann. Feuerbestattungen sind bei den Protestanten seit 1920, bei den Katholiken erst seit 1963 akzeptiert. Davor galten sie als Sünde und als Strafe für Sündige. Eine christliche Bestattung kann in drei Phasen eingeteilt werden: Die Aussegnung, die heutzutage nicht mehr zwingend vor der Aufbahrung des Verstorbenen stattfindet, ist eine Art Verabschiedung. Der Trauergottesdienst, der meist in der Friedhofskirche stattfindet, wird musikalisch umrahmt, es wird gebetet, und bei katholischen Begräbnissen besprengt ein Geistlicher den Sarg mit Weihwasser. Der letzte Teil der Zeremonie findet am offenen Grab statt. Als Zeichen, dass der Mensch aus der Erde kommt und zur Erde zurückkehrt, wird mit den Worten: „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub“ dreimal Erde auf den Sarg geworfen. Es folgt ein Vaterunser-Gebet. Früher war es üblich, dass die Trauernden zum Abschied eine Schaufel Erde ins Grab warfen. Da dies als bedrückend wahrgenommen werden kann, werden heutzutage Blumen zum Nachwerfen bereitgestellt. Christliche Bestattungsriten in Europa und den USA gelten im Unterschied zu Beerdigungen in Lateinamerika oder afrikanischen Ländern als streng und starr. Das Trauern wird hierzulande als etwas Privates wahrgenommen. Dasselbe gilt für den Tod per se, der in christlich geprägten westlichen Gesellschaften eher selten öffentlich thematisiert wird. So spielt der Tod auch für den Glauben eine geringere Rolle als früher: Das Besinnen auf die Jetztzeit und auf die Frage, wie einem Gott während des Lebens helfen kann, wird relevanter. Traditionell wird nach christlichen Begräbnissen noch zum Leichenschmaus geladen. Dieser diente ursprünglich zur Stärkung für die Grabträger sowie für jene Gäste, die eine lange Anreise hatten. Sechs Wochen nach dem Tod wird bei den Katholiken eine heilige Messe zum Gedenken des Verstorbenen gefeiert. Sie soll das Ende der ersten Trauerphase markieren.

Judentum

Auch im Judentum gilt die Seele als unsterblich. Nach dem Tod kommt die Begräbnisbruderschaft, Chewra Kadischa, zusammen, wäscht den Toten und kleidet ihn in das Totengewand aus weißem Leinen oder Baumwollstoff. Ein männlicher Verstorbener wird zudem in den Gebetsschal, den Tallit, gehüllt und bekommt eine weiße Kippa aufgesetzt. Die Schaufäden des Tallit erinnern den Träger zu Lebzeiten daran, seine religiösen Pflichten zu erfüllen; da sie ein Toter nicht mehr ausüben kann, werden diese Zizit gekappt. Wie im Christentum ist auch im Judentum ein unversehrter Leichnam Voraussetzung für die Auferstehung, weshalb die Feuerbestattung verboten ist. Das Judentum kennt keine Aufbahrung oder Einbalsamierung. Die Toten werden traditionell möglichst innerhalb von 24 Stunden beigesetzt, Ausnahmen sind Schabbat und Feiertage. Allerdings schreibt Österreichs Gesetzgebung eine Frist von mindestens 48 Stunden zwischen Tod und Begräbnis vor, weshalb auch jüdische Bestattungen bis zu drei Tage nach Eintritt des Todes stattfinden. In Österreich gibt es knapp siebzig jüdische Friedhöfe und Gedenkstätten.

Das Besondere an jüdischen Friedhöfen ist, dass sie nicht verbaut oder verlegt werden dürfen: Die Ruhefrist auf jüdischen Friedhöfen ist nicht zeitlich begrenzt, weshalb ein Grab nicht erneut vergeben werden darf. Die Bestattungszeremonie beginnt mit einer Trauerfeier am Friedhof. Nach dem Gesang des Kantors hält der Rabbiner eine Trauerrede, und es wird das Kaddisch („Heiligung“) gesprochen. Als Ausdruck ihres Schmerzes um den Verlust kommen die Trauernden mit eingerissener Kleidung – für einen Elternteil wird die linke Seite, für Ehepartner, Kinder oder Geschwister die rechte Seite auf Brusthöhe ein Stück eingerissen. Die engsten Angehörigen bleiben anschließend eine Woche zuhause. In dieser ersten Trauerphase, die Schiwa („sieben“) genannt wird, sind sie auch von religiösen Verpflichtungen befreit. Beim „Schiwa-Sitzen“ wird auf niedrigen Stühlen sitzend gemeinsam getrauert, Verwandte, Freunde und Nachbarn besuchen die Trauernden zuhause und bringen ihnen Essen. Besuch ist während des Schiwa-Sitzens ausdrücklich erwünscht, um die Trauernden weiterhin so gut wie möglich ins soziale Geschehen einzubinden. Die Trauerphase hat im Judentum eine Dauer von dreißig Tagen („Schloschim“), nur für die Eltern von Verstorbenen endet die Trauer erst ein Jahr nach dem Todestag (nach jüdischem Kalender) und heißt „Jahrzeit“. Zur ersten Wiederkehr des Todestages wird das Kaddisch gesprochen und das Grab besucht.

Jüdische Friedhöfe (Bet Hachajim – Ort des Lebens oder Bet Haolam – Ort der Ewigkeit) sind meist sehr schlicht, denn vor Gott sind alle gleich. Statt aufwendiger Blumengestecke werden bei jüdischen Beerdigungen Steine als Symbole für Ewigkeit und Unvergänglichkeit aufs Grab gelegt.

Islam

Muslime und Musliminnen werden möglichst noch am selben Todestag beerdigt. Nach der rituellen Waschung wird der Leichnam in ein weißes Leintuch gewickelt, wie es auch die Pilger während der Wallfahrt tragen. Die Beisetzung erfolgt ohne Sarg. Da in Österreich eine Sargpflicht für Erdbestattungen herrscht und Verstorbene erst nach 48 Stunden beigesetzt werden dürfen, veranlassen Muslime häufig eine Beisetzung in ihren jeweiligen Herkunftsländern. Bei der zwingend erforderlichen Erdbestattung wird der Leichnam auf die rechte Seite gelegt, denn er soll in Richtung der heiligen Stadt Mekka blicken. Anschließend werden Holzbretter wie ein Dach über den Toten gelegt, das Grab wird mit Erde aufgefüllt und die Trauernden sprechen Koranverse. Mit dem Tod verblassen soziale Unterschiede, denn vor Gott sind alle gleich. Dementsprechend schlicht sind auch die Gräber. Getrauert wird getrennt: Männer trauern öffentlich in sogenannten Trauerzelten, Frauen meist zuhause. Ein längerfristiger Rückzug zum Trauern ist nicht vorgesehen, denn das Leben gilt als Vorgarten zum Paradies. Wer offenkundig viel und lange trauert, könnte daher den gottgegebenen Weg ins Paradies in Frage stellen. Beileid sollte somit in den ersten drei Tagen ausgedrückt werden. Nach vierzig Tagen findet ein erneutes Zusammentreffen statt, um dem Toten sowie den Trauernden unterstützend Respekt zu zollen. Nach 120 Tagen ist die Trauerzeit offiziell beendet. Der Besuch von Gräbern soll im Islam besonders an die Vergänglichkeit erinnern und kann somit als Appell verstanden werden, das Leben als eine Prüfung zu sehen, bei der nach den muslimischen Werten gehandelt werden soll.

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