Alte Römer und der Papst

Rom ist die Hauptstadt des Katholizismus, aber Juden leben schon länger hier. Das Jüdische Museum in Rom richtet sich stark an Jugendliche.
Museumskritik: Natasa Konopitzky

„Et Ecce Gaudium, et Laetitia“ – „Und siehe, welch Glück und Freude“: Mit diesen und ähnlichen Worten – geschrieben auf Pergamenttafeln – haben die Juden Roms vor 200 Jahren die neugewählten Päpste begrüßt. Die Straßen, auf denen der neue Machthaber durch die Stadt zog, wurden von den Römern pompös geschmückt. Die Juden waren für den Straßenabschnitt rund um den Titusbogen verantwortlich – ausgerechnet jenem Bauwerk, das die Römer zur Feier über die Niederschlagung des jüdischen Aufstands und die Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahre 70 errichtet haben. Auf der Innenseite dieses Triumphbogens zeigt ein Relief, wie die besiegten Juden als Sklaven nach Rom verschleppt werden. Mit dem erbeuteten Tempelschatz errichteten die Römer das Kolosseum.

Die jüdische Gemeinde im 18. Jahrhundert sei tatsächlich bei jedem neuen Papst voller Hoffnung gewesen, erzählt Ursula Dattilo, verantwortlich für die Führungen im Museo Ebraico di Roma. Sie zeigt auf die 14 im Museum ausgestellten Tafeln voller Psalmen und guter Wünsche. Denn vielleicht würden sie nun doch endlich aus ihrem Ghetto am Ufer des Tiber befreit werden. Die Hoffnung war jedes Mal vergebens. Keiner der Päpste hat die dicken Mauern, deren Tore bei Einbruch der Dunkelheit geschlossen wurden, niedergerissen. 300 Jahre lang waren die Juden Roms im Ghetto eingesperrt. Papst Paul IV. ließ das Ghetto 1555 erbauen, damit die Christen nicht neben den damals als „Gottesmörder“ geltenden Juden leben mussten. Er folgte damit dem Beispiel Venedigs, das zwanzig Jahre davor das erste Ghetto errichtet hatte. Das Wort „Ghetto“ stammt aus dieser Zeit: Die Juden von Venedig steckte man in das Viertel der Eisengießer; ein italienischer Ausdruck für Gießerei lautete Geto. In Rom drängten sich hinter den Mauern im düstersten Viertel am Tiber bis zu 5000 Juden unter schlechten hygienischen Bedingungen. Alte Bilder im Museum zeigen enge, dunkle Gassen, in denen ärmlich wirkende Gestalten kauern. Jeden Winter wateten die Bewohner – wenn sie Glück hatten – „nur“ durch kniehohes Wasser, denn das Ghetto lag unter dem Niveau des Flusses. Die Juden hatten keine Rechte, waren keine römischen Bürger, mussten sich christliche Zwangspredigten anhören und durften nur zwei Berufe ausüben: Geldverleiher und Lumpenhändler. Das Museum hat eine Sammlung von 800 dieser opulenten „Lumpen“. Gebrauchte Stoffe wurden aufwendig aufgewertet. Im Eingangsbereich hängt ein mit Goldfäden bestickter Vorhang für einen Thoraschrank.

Um möglichst wenig Zeit in den feuchten Gemäuern zu verbringen, machten die Bewohner die Synagoge zu ihrem Wohnzimmer und schmückten sie mit kostbaren Stoffen und Gegenständen. Viele Exponate im Museum zeugen davon: goldene Thora-Kronen, Chanukka- Leuchter und kunstvoll gestaltete Gebetsbücher. Auch Teile der alten Ghettosynagoge, ein Thoraschrein und ein Silberleuchter sind ausgestellt. Diese alte Synagoge, die Ende des 19. Jahrhunderts abgerissen wurde, war mehr als nur ein einziges Bethaus. In der so genannten „Cinque Scole“ waren fünf verschiedene Synagogen untergebracht. So umging die jüdische Gemeinde das päpstliche Verbot, mehr als nur einen Tempel zu errichten. Innerhalb der Gemeinde wurden Gottesdienste auf fünf verschiede Arten gefeiert, je nachdem, ob man einer der drei italienischen oder einer der zwei spanischen Traditionen angehörte. Erst die Bildung der italienischen Nation im Jahr 1870 machte die Juden zu gleichberechtigten Bürgern, denn damit hatte der Papst seine politische Macht verloren. Das Ghetto wurde geschliffen und das jüdische Viertel errichtet, das man bis heute besuchen kann. Das Museo Ebraico bietet Führungen an. Bis 1938 verdoppelte sich die jüdische Gemeinde von 5.000 auf 10.000 Mitglieder.

In der Nähe des alten Ghettos wurde 1904 die größte Synagoge Roms erbaut. Am Tiberufer, eingesäumt von Palmen und umgeben von römischen Ruinen. Wer das kleine Museum im Untergeschoss des Gebäudes besucht, kann auch einen Blick auf die Große Synagoge, die „Tempio Maggiore di Roma“ werfen. Ein Prachtbau im so genannten assyrobabylonischen Stil: Die Kuppel ist in den Farben des Regenbogens gehalten, auf der Decke leuchtet ein von Palmen flankierter Sternenhimmel.

Diese Synagoge war die erste, die jemals ein Papst betreten hatte. „Früher galt es für Katholiken als Todsünde, eine Synagoge zu betreten. Das war das wichtigste Ereignis im jüdisch-christlichen Dialog nach 1965. Damals rückte der Vatikan von der jahrhundertelangen Lehre ab, dass die Juden Christus ermordet hätten“, erklärt Dattilo. Papst Johannes Paul II. bezeichnete 1986 unter der Regenbogenkuppel die Juden als die „älteren Brüder“. Im Jänner 2010 war Papst Benedikt XVI. zu Besuch in der Synagoge und im Museum. Ihm zu Ehren wurden die historischen Bannertafeln mit den Glückwünschen ausgestellt und die Synagoge restauriert. Im Vorfeld meldeten sich jedoch viele kritische Stimmen zu Wort, denn Papst Benedikt hatte einen Bischof rehabilitiert, der den Holocaust leugnet, sich für die Seligsprechung eines Papstes eingesetzt, der während des Zweiten Weltkrieges zum Holocaust geschwiegen hatte und eine Karfreitagsfürbitte durchgesetzt, in der zur Bekehrung der Juden aufgerufen wird.

Heute leben 14.000 Juden in Rom – in ganz Italien sind es 35.000. Die römische Gemeinde ist die größte Italiens und die älteste Europas. Die ersten Juden kamen 161 vor Beginn der Zeitrechnung in die Stadt. „Rom ist zwar die Hauptstadt des Katholizismus, aber wir waren schon lange vor den Christen hier“, sagt Datillo und schmunzelt. Auf 700 Quadratmetern dokumentiert das Museo Ebraico di Roma exemplarisch die fast 2.200-jährige Geschichte der römischen Juden. Man sieht Teile von Grabsteinen aus der Synagoge von Ostia Antica, eine der ältesten bekannten Synagogen der Welt außerhalb Israels, Manuskripte aus dem Mittelalter, Marmorplatten aus dem Ghetto und Dokumente aus der Zeit des Holocaust. Ein Raum ist den libyschen Juden gewidmet, die in den 60er-Jahren nach Italien kamen. Damals wurde den Juden in Libyen das Wahlrecht aberkannt, jüdischer Besitz konfisziert, Synagogen niedergebrannt und Juden ermordet. Da Libyen ehemalige italienische Kolonie war, sprachen viele italienisch und flüchteten nach Rom. In einem Nebenraum des Museums ist eine kleine sephardische Synagoge untergebracht, in der bis heute täglich Gebete abgehalten werden.

„Wir wollen nicht nur die Geschichte zeigen, wir wollen auch aufklären: Wir versuchen den Besuchern klarzumachen, dass Juden nicht nur die sind, die aus den KZs befreit wurden, sondern dass das Judentum eine Religion ist“, erklärt Dattilo. 75.000 Besucher kommen jährlich in das Museum. Ein Drittel davon sind Schüler. Während des Gesprächs mit Dattilo drängen sich immer wieder Gruppen von bis zu fünfzig italienischen Teenagern an ihr vorbei. Sie macht gerne Führungen und erklärt den Schülern, welche Bräuche das Judentum hat. Auch oder gerade weil sie noch viele Vorurteile hört und immer wieder mit den Fragen konfrontiert wird, wie: warum denn die Juden Jesus ermordet hätten, und dass es ja einen Grund dafür geben muss, dass alle die Juden verfolgt haben. „Aber heute lebt ein Jude in Italien sicher besser als in vielen anderen Ländern, obwohl es natürlich Antisemitismus gibt“, sagt die gebürtige Deutsche, die es der Liebe wegen vor fast vierzig Jahren nach Rom verschlagen hat. Den deutschen Antisemitismus hat sie – aufgrund der Geschichte – immer als bedrohlicher empfunden als den italienischen „Antiebraismo“. Eine Ähnlichkeit zwischen Österreich und Italien ortet sie im Umgang mit der Rolle im Holocaust, eine gewisse „Wir waren es nicht, die Deutschen waren es“-Mentalität.

1938 erließen die Faschisten unter Benito Mussolini Rassengesetze. Die Juden verloren die italienische Staatsbürgerschaft, durften nicht mehr im Staatsdienst arbeiten, nur eingeschränkt Schulen und Universitäten besuchen und mussten ab 1942 Zwangsarbeit leisten. Als 1943 die Nationalsozialisten Italien besetzten, forderte der SS-Führer Herbert Kappler von der jüdischen Gemeinde fünfzig Kilo Gold innerhalb von 36 Stunden. Sonst drohte ihnen die Deportation. Mit Hilfe der christlichen Bevölkerung wurde hektisch das Geld zusammengerafft und Kappler rechtzeitig vorgelegt. Kurz darauf pferchte er 2.000 römische Juden in Waggons nach Auschwitz, nur wenige kamen zurück. 8.000 gelang es, vor allem mit der Hilfe des irischen Priester Monsignore Hugh O’Flaherty, der eine Hilfsorganisation für Verfolgte betrieb und diese in Klöstern versteckte, zu überleben. „Was manche Italiener gerne verdrängen, ist die enge Zusammenarbeit der faschistischen mit den nationalsozialistischen Behörden bei der Deportation und die starke Diskriminierung vor dem deutschen Einmarsch“, erklärt Dattilo. Ein Ziel des Museums ist es, diese Lücke – vor allem bei der Jugend – zu schließen. Der römische Bürgermeister fährt jedes Jahr mit 2.000 Schülern nach Auschwitz. Die Nachbearbeitung der Gedenkfahrt findet im Mueseo Ebraico die Roma statt.

Museo Ebraico Roma
Largo Sedici Ottobre (Via Catalana)
Eintritt inklusive Führung große Synagoge und sephardische Synagoge: 7,50 Euro

Führung durch das jüdische Viertel: 8 Euro
Nähere Informationen unter
www.museoebraico.roma.it

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