Alte Muster, neue Wege

Bücher über das jüdische Leben in Österreich und zeithistorische Wanderungen bieten Lehrreiches und Erfahrbares.

Beginnen wir mit einer typisch österreichischen Episode. Nehmen wir an, jemand heißt Schwarz. Um seinen Namen zu buchstabieren, sagt der- oder diejenige „Siegfried, Cäsar, Heinrich“, und so weiter. Diese Art des Buchstabierens ist allgemein üblich. Zu Beginn ihres Buches Jude ist kein Schimpfwort berichtet Alexia Weiss von der weit verbreiteten Verwunderung, wenn sie ihren Namen hingegen mit „Wilhelm, Emil, Ida, Samuel, Samuel“ buchstabiert. Nicht grundlos, denn die entsprechende Zuordnung geht zwar auf das „Berliner Telefonbuch“ von 1903 zurück, wurde allerdings 1934 geändert, als die hebräischen Namen – David, Jacob, Samuel, Zacharias – gegen „geeignete deutsche“ Namen ersetzt wurden.

Während in Deutschland im Jahr 2020 ein Erlass erging, das Buchstabieralphabet zu „entnazifizieren“, wurde in Österreich – statt sich einer notwendigen Debatte zu stellen – dieses ersatzlos außer Kraft gesetzt. Seit 2019 gibt es kein Komitee mehr, das derartige Normen festsetzt, die Anwendung obliegt dem Individuum. Man möchte sagen: ein österreichischer Klassiker.

Mehr als 75 Jahre nach dem Holocaust vermeldet in Österreich der Antisemitismusbericht 2020 eine neuerliche Zunahme von antisemitischen Vorfällen. Staat und Zivilgesellschaft reagieren mit Gegenmaßnahmen und Gedenkveranstaltungen. Doch dem gegenüber stehe, so Weiss, oft die „Normalität“ beziehungsweise die Möglichkeit, als Jüdin und Jude ein „normales” Leben führen zu können, ohne beschützt werden zu müssen. Weiss, Jahrgang 1971, beschreibt den jüdischen Alltag mit Ambivalenz: Man sei sowohl mit Hass konfrontiert als auch mit übertriebener Sensibilität.
Die Journalistin erzählt anhand zahlreicher Anekdoten und Gesprächen mit Zeitgenossen, wie Stereotype entstehen und unwissentlich weitergeführt werden. Vorurteilen begegnet sie mit Verweisen auf historische Fakten; in Interviews mit einem Rabbiner, einer queeren Veranstalterin von Clubbings, orthodoxen und atheistisch lebenden Juden seziert sie den alltäglichen Antisemitismus.

In Anbetracht des gemeinsamen Erbes im jüdisch-christlichen Abendland ruft Weiss zu einem normalen Umgang auf, auch in der Benennung. Die Israelitische Kultusgemeinde werde oft mit dem Staat Israel gleichgesetzt; und eine allfällige Kritik an der Politik des Landes in Bezug auf die Situation in Palästina und im Gazastreifen münde in alte Muster.

Und Weiss plädiert dafür, dass man, wenn von „mosaischen“ oder „jüdischen Mitbürgern“ die Rede ist, ruhig Jude sagen kann. „Denn Jude ist kein Schimpfwort.“ (Gregor Auenhammer)

Erinnerungswege

Verschiedene Lebensgeschichten hätten den Anstoß zur Entstehung ihres Buches gegeben, so die Autoren im Vorwort. Etwa jene von Rudolf Gomperz, Bauingenieur mit jüdischen Wurzeln, der sich als „Skipionier“ am Arlberg verdient machte und 1942 in Maly Trostinec hingerichtet wurde. Oder jene der kommunistischen Widerstandsgruppe „Willy-Fred“ im Salzkammergut. Und die Geschichte der ebenfalls 1942 ermordeten jungen Antifaschistin Rosa Hofmann, die mit ihren Abschiedsworten – „Sehnsucht habe ich nach euch und den Bergen“ – das Leitmotiv für diesen Wanderführer lange vor dessen Erscheinen formulierte.

Widerstand. Verfolgung. Befreiung versammelt 35 zeitgeschichtliche Wanderungen zu Gedächtnisorten. Es sind mehrheitlich Spaziergänge oder einfache alpine Touren, überwiegend im Salzburgischen, in Oberösterreich und im Ausseerland, wo sich Geflüchtete, Widerständler und Deserteure vor dem NS-Terror zu verstecken versuchten. Mehr als ein Wanderführer ist der Band jedoch vor allem ein – klug konzipiertes – Lesebuch, ergänzt mit Archivbildern, Karten und aktuellen Aufnahmen. Und es überrascht wiederholt mit Beiträgen, die keiner einzelnen Person gewidmet sind, sondern den Orten selbst: So erging aufgrund des „antisemitischen Ungeists im Sommerfrische-Idyll“ Mattsee bereits 1921 der Appell an die Einheimischen, keine Zimmer an Juden zu vermieten – wenige Tage vor der Ankunft Arnold Schönbergs. Worauf dieser empört abreiste. Daran sollte man denken, wenn man diesen Sommer vielleicht vom schmucken Ortszentrum auf den Buchberg wandert. (Michael Pekler)

Alexia Weiss
Jude ist kein Schimpfwort
Kremayr & Scheriau, 2021
192 S., EUR 22,–

Thomas Neuhold, Andrea Praher
Widerstand. Verfolgung. Befreiung
Zeitgeschichtliche Wanderungen
Anton Pustet, 2020
248 S., EUR 24,–

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