Alle in der Falle

Von Martin Engelberg

Beim Zwischenfall der Aufbringung der „Marmara“ vor der Küste Gazas verdichtete sich innerhalb kürzester Zeit auf eindrucksvolle Weise die gesamte Problematik des Nahost-Konfliktes. Mit einer gewissen Faszination konnte man beobachten, wie schnell es allen handelnden Parteien gelang, einander rasch schachmatt zu setzen.

In der Zwischenzeit ist völlig klar, dass die Marineeinheiten Israels nicht auf eine solche Eskalation der Gewalt vorbereitet waren. Wie der politischen und militärischen Führung Israels eine solche Fehleinschätzung unterlaufen konnte, die sie weder zum ersten Mal noch unvorbereitet traf, kann nur im Rahmen der verrückten Logik des gesamten Konfliktes verstanden werden. Für Israel stand und steht außer Zweifel, dass die den Gazastreifen kontrollierende Hamas eine Terrororganisation ist, die Israel zerstören möchte. „Friedensaktivisten“ sind bestenfalls naiv bzw. unterstützen zum Teil ganz offen dieses Ziel der Hamas. Israel fühlte sich daher völlig im Recht, die „Friedensflotte“ aufzubringen. Eine Rücksichtnahme auf die öffentliche Meinung in der Welt musste ohnehin sinnlos erscheinen, da sich in Israel seit Jahren die Gewissheit breit gemacht hat, man könne sich noch so bemühen, „die Welt“ würde Israel in jedem Fall verurteilen. So sehr die Hamas und ihre türkischen Unterstützer den Tod ihrer neun Mitstreiter auch als großen politischen Sieg feiern – eines steht dennoch außer Zweifel: Diese politische Kraft unter den Palästinensern geht zynisch, brutal und skrupellos mit menschlichem Leid und Leben um – nicht nur mit den Israelis, sondern auch mit der eigenen Bevölkerung. Die Islamisten sind rückwärtsgewandt, völlig unfähig zu konstruktivem und kompromissfähigem Handeln. Sie sind der Garant für ein Verbleiben der Palästinenser im politischen Abseits, fernab der modernen Welt und ihren Idealen von Freiheit, Demokratie und Wohlstand.

Vorerst in der Falle befindet sich jetzt auch die Türkei, nachdem sie sich jetzt schon seit Jahren in eine zunehmend groteske Situation manövriert hat: Einerseits ist sie seit Jahrzehnten Mitglied der NATO, ein wichtiger Verbündeter des Westens und auch Israels. Andererseits versuchte sich die Türkei in den letzten Jahren mehr Anerkennung in der arabischen Welt zu verschaffen, versagte z. B. den Amerikanern die Eröffnung einer zweiten Front im Irak-Krieg und hat sich – gerade in den letzten Monaten – stark der Achse Syrien–Iran angenähert und sogar gemeinsame Militärmanöver abgehalten. Schließlich stand die Türkei auch federführend hinter der „Friedensflotte“ und exponierte sich besonders in der Kritik an Israel. Dennoch wird die Türkei weiterhin als wichtige Brücke zwischen dem Westen und der muslimischen Welt angesehen. Jetzt steht sie vor den Trümmern ihrer Politik, eine Aufhetzung ihrer Bevölkerung gegenüber Israel zugelassen, ja sogar gefördert zu haben und eine langjährige enge strategische Partnerschaft mit Israel weitgehend zerstört zu haben.

Schließlich bleiben da noch die Friedenseiferer in aller Welt, die ihre Aufmerksamkeit so gar nicht von Israel lösen können und sich in der vergangenen Woche ob ihrer Verurteilungswut kaum mehr halten konnten. Österreichische Politiker waren keine Ausnahme. So sitzen vorerst einmal alle in der Falle: Die Israelis, die Hamas und die Palästinenser des Gazastreifens, die Türkei und schließlich auch die vielen empörten Politiker und Friedensaktivisten. Es wird wieder Monate dauern, bis der Scherbenhaufen weggeräumt ist und die vernünftigen und besonnenen Personen auf allen Seiten wieder mit ihrer Sisyphos-Arbeit beginnen; alle jene Persönlichkeiten wie der palästinensische Premierminister Fayyad, Israels Staatspräsident Peres, der ehemalige britische Premierminister Blair und viele andere. All jene, die sich in den letzten Tagen einer Stellungnahme enthielten. Weil sie wissen, wie viel mehr Aufwand es bedeutet, Porzellan zu kitten, als es kaputt zu schlagen.

Die mobile Version verlassen