A grojsser Fisch in a klejnem Wasser

Was verschlägt einen Kabbala-Rabbiner nach Wien? Chaim Malowicki hat es NU erzählt.
Von Martin Engelberg (Bericht) und Peter Rigaud (Fotos)

Rabbiner Chaim Malowicki stammt sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits aus den angesehensten chassidisch-rabbinischen Familien. Er gehört sozusagen zu den Windsors, der Hocharistokratie des orthodoxen Judentums, weil sein Vater der Enkel des Lechovitcher Rebbe war und als dessen Nachfolger galt. Seine Mutter war eine geborene Halberstamm. Schon alleine dieser Familienname signalisiert die Zugehörigkeit zu einer großen chassidischen Dynastie. Tatsächlich ist Malowicki über seine Mutter direkt mit solchen rabbinischen Größen wie dem Bobover Rebbe und dem Satmarer Rebbe verwandt. Die Familie übersiedelte 1950 in die USA, wo Malowicki’s Vater sein Amt als Lechovitcher Rebbe antreten wollte. In den USA aufgewachsen, wurde Malowicki nach der Bar Mitzwa standesgemäß in eine Jeschiwa (Talmudschule) nach Jerusalem geschickt. Dort wurde er zum Rabbiner ausgebildet, heiratete und trat ein Amt als Rabbiner in Haifa an. Doch dann folgt eine überaus abenteuerliche, sehr mystische weitere Entwicklung, die niemand für möglich gehalten hätte und die Rabbiner Malowicki schließlich nach Wien führte, wo er jetzt seit 12 Jahren lebt. Darauf angesprochen lacht Malowicki schelmisch und sagt:

„Man hat mir schon oft diese Frage gestellt. Einer fragte einmal: ‚Wus macht a so a grojsser Fisch in a so a klejnem Wasser?‘ Nun, ich war Rabbiner in Haifa und hatte große Probleme dort. Sie können das ruhig schreiben. Viele politische Probleme – sowohl in der rabbinischen Arbeit als in der Familie. Eines Tages fuhr ich nach Jerusalem, um mir bei einem Rabbiner einen Rat zu holen. Ich konnte es nicht glauben: Er öffnete mir die Tür und sagte – noch bevor ich etwas sagen konnte – ‚ich warte schon seit drei Monaten darauf, dass Sie kommen‘. Er wusste alles über mich und meine Probleme und sagte mir, dass es meine Lebensaufgabe wäre, nach Jerusalem zurückzukommen und Direktor der Jeschiwa „Sha’ar Haschamaim“ (Tor der Himmels), des angesehensten Lehrinstitutes für das Studium der Kabbala zu werden.

NU: Das macht es jetzt doch nur noch Rätselhafter. Was geschah dann, dass Sie letztlich in Wien landeten?

Malowicki: Ich war ja inzwischen von meiner ersten Frau geschieden und auf meinen Reisen durch die Welt kam ich auch nach Wien. Ich war im Haus von Thommy und Shirli Moskowicz (orthodox-jüdische Familie und Besitzer des Bankhauses Winter) zu Gast und lernte dort meine jetzige Frau kennen. Diese stammte aus den USA, aus einer reformierten jüdischen Familie, und kam zum Studium nach Wien. Sie besuchte dann die Shiurim bei Rav Pardess (Rabbiner der Misrachi-Gemeinde in Wien) und Reb Raizmann und wurde von der Familie Moskowicz praktisch adoptiert. Wir heirateten und lebten in Jerusalem, bis eines Tages wieder etwas sehr Merkwürdiges geschah: An ein und demselben Tag sagte ein Rabbiner zu mir, ich solle ins Ausland gehen. Meine Frau teilte mir am selben Nachmittag mit, sie möchte zurück nach Wien, weil sie sich an das Leben in Jerusalem nicht gewöhnen könne. Können Sie sich das vorstellen? Der Direktor von „Sha’ar Haschamaim“, solle Jerusalem verlassen? Zwei meiner Brüder sprachen deshalb jahrelang nicht mit mir. Aber die Rabbiner bei „Sha’ar Haschamaim“ rieten mir, diesem Ruf zu folgen, nach Wien zu gehen und von hier aus die Arbeit für die Jeschiwa fortzusetzen.

Und wie geht es Ihnen jetzt als so großer Fisch in einem so kleinen Wasser, wie es die heutige jüdische Gemeinde in Wien ist?

Ich bin sehr zufrieden mit der Erziehung hier in Wien, sie ist besser als in Israel, für Kinder ein großer Segen. Ich habe wieder vier Kinder, sie lernen in der Malzgasse (orthodoxjüdische Schule). Die Kinder wären nicht in einem so guten Zustand, wenn wir in Israel gewesen wären. Wie würden Sie den Zustand bezeichnen, den die Kabbala-Studierenden, die Mekubalim, erreichen? Es ist wie der Unterschied, ob sie ein und dasselbe Bild in Schwarz-Weiß oder Farbe sehen. Dasselbe Bild mit Haus, Bäumen usw. und dennoch was ganz anderes.

Können Sie ein Beispiel geben?

Man erfährt, dass sich alle Dinge, auch die profansten, zu einem großen Ganzen zusammenschließen. Nehmen Sie etwa das Wort Bereschit (am Anfang), mit welchem die Tora beginnt. Dieses Wort hat nach der Kabbala 70 Bedeutungen nur die eine nicht: am Anfang. Es waren auch viele Sachen davor. Das Wort beginnt ja auch tatsächlich mit einem Beit, also dem zweiten Buchstaben des Alphabets und nicht mit einem Aleph. Wenn man die Kabbala studiert, dann bemerkt man, dass der Name Gottes in ganz verschiedenen Zusammenhängen ganz verschieden geschrieben wird und dass dies eine ganz tiefe Bedeutung hat. Da gibt es das Beispiel der Eskimos: Ich hörte einmal, diese hätten mehr als 40 Bezeichnungen für Schnee – trocken, nass, bläulich usw. Sie haben viel mit Schnee gelebt und haben daher zu allen 40 Bezeichnungen eine emotionale Beziehung. Durch das Studium der Kabbala entsteht eine tiefe Liebe zu Gott, eine intime Beziehung, und wer Gott so nahe ist, weiß, dass die 42 Namen Gottes jedes Mal eine andere Bedeutung haben, ein anderes Licht, ein anderes Gefühl für Gott. Um aber dorthin zu kommen, muss man ein Schomer Mitzwoth (Hüter aller Gesetze) sein, eine besondere Heiligkeit besitzen, intensive höhere Gefühle haben.

Wie erklären Sie sich, dass sich heute so viele Toragelehrte mit der Kabbala beschäftigen?

Es lernen heute mehr Menschen die Lehre als je zuvor und davon hat sich immer ein bestimmter Prozentsatz mit dem Studium der Kabbala beschäftigt.

Ich dachte, es hätte vielleicht mit der Shoah zu tun und dem Wunsch, zu verstehen wie das passieren konnte.

Die Mekubalim haben schon viele Jahre vorher geschrieben, dass die Shoa kommt. Auch die Kriege mit den Arabern und Palästinensern – alles steht schon geschrieben. Sogar die Ermordung von Rabin oder 9/11.

Warum ist die Kabbala in Hollywood so populär?

Das Leben ist zu kompliziert, um es nur mit Formeln zu erklären. Auch die Wissenschaften haben inzwischen die mystische Seite der Welt anerkannt.

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