Mordechai Rodgold, israelischer Botschafter in Wien, im Gespräch über die „Abraham-Verträge“ und ihre Auswirkungen auf Israels Beziehungen zu seinen arabischen Nachbarn. Die Abkommen, ist Rodgold überzeugt, werden die Region nachhaltig verändern.
Von Michael J. Reinprecht
NU: Die „Abraham-Abkommen“ mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain wurden im September vergangenen Jahres in Washington unterzeichnet. Welches Fazit lässt sich heute ziehen? Wurden neue israelische Botschaften eingerichtet?
Mordechai Rodgold: Ja, es wurden jüngst Botschaften eröffnet – in Manama, in Abu Dhabi und Mitte Jänner in Rabat, dazu noch ein Generalkonsulat in Dubai. Das bringt zum Ausdruck, dass Israel nach jahrelanger Feindschaft heute anerkannt wird – nicht nur de facto, auch de jure – und nunmehr als Partner gesehen wird. Es ist ein historischer Wandel, gewissermaßen ein neues Paradigma. Immer mehr arabische Länder sind gewillt, mit Israel zusammenzuarbeiten und Israel in vielen Bereichen als Partner in der Region zu sehen: in der Wirtschaft, Technologie, Forschung, bei der Wasserversorgung und in Fragen der Energie, des Tourismus und im Gesundheitsbereich. Israel hatte ja nie eine feindliche Haltung gegenüber der arabischen Welt: von Marokko im Westen über die arabische Halbinsel im Süden bis zu Syrien und Irak im Osten – und man kann sagen bis zum Iran – hat Israel die Völker der Region nie als Feinde betrachtet. Leider mussten wir Kriege führen, um uns gegen die Feindseligkeit zu verteidigen.
Sie sprechen von einem historischen Wandel. Wie wird dieser aussehen?
Es wird nachhaltige Veränderungen geben. Ein Sprichwort lautet: Man muss zu zweit sein, um Tango zu tanzen. Denn es genügt einer, um einen Krieg zu beginnen, aber um Frieden zu schließen, braucht es zwei. Und jetzt haben wir diese Partnerschaft. Wir haben diplomatische Beziehungen mit Ägypten, Jordanien, den VAE, mit Bahrain, Marokko und dem Sudan. Übrigens, ein kurzer Schlenker nach Europa: Auch mit dem Kosovo haben wir jüngst diplomatische Beziehungen aufgenommen.
Sie waren Mitte der neunziger Jahre als junger Diplomat beim Aufbau der israelischen Botschaft in Rabat mit dabei. Erinnern Sie die Berichte Ihrer Kollegen in Dubai, in Manama und neuerdings wieder in Rabat an damals oder ist es heute anders?
Ich hatte das Privileg, ein Teil jenes Teams zu sein, das vor 25 Jahren diplomatische Beziehungen mit Marokko aufbaute. Leider wurde dieser Prozess im Jahr 2000 auf Druck der Palästinenser gestoppt. Von meinem Kollegen in Rabat höre ich von der positiven Stimmung in der lokalen Bevölkerung uns gegenüber, was mich durchaus an meine Zeit und an Erlebnisse als junger Diplomat in Marokko erinnert.
Die arabischen Staaten, die die „Abraham-Verträge“ mit Israel geschlossen haben, nehmen es also ernst mit der Normalisierung der Beziehungen?
Es sind weitreichende Entscheidungen von den Führern dieser Staaten getroffen worden. Mir scheint auch, dass die Bevölkerung diese mitträgt. Es gibt bestimmt eine Sehnsucht nach Frieden auf der menschlichen Ebene, „people to people“.
Steht Israel auch in Dialog mit der Zivilbevölkerung der arabischen Nachbarn?
Wir haben in den letzten Jahrzehnten einen sehr aktiven Dialog mit der arabischen Welt über die sozialen Medien entwickelt. Wir haben als israelisches Außenministerium etwa zwei Millionen Follower auf unserer Facebook-Seite in arabischer Sprache. Das ist „public diplomacy“ in Reinkultur. Moderne Diplomatie braucht das. Wir haben damit einen intensiven Dialog mit den Menschen in der arabischen Welt. Früher ging das nicht. Zwar gab es arabische Zeitungen und Fernsehen, aber die gaben unseren Stimmen kein Echo. Heute, mit den sozialen Medien, kann man einen direkten Dialog etablieren, die Leute können sich eine eigene Meinung bilden. Wir hatten so viele Diskussionen auf Facebook mit Irakis, dass wir eine eigene Seite für den Irak eingerichtet haben. Das zeigt auch, dass die arabische Welt nicht monolithisch ist. Natürlich gibt es noch Gegner Israels, solche, die uns als Feinde ansehen. Die Ideologien, die Israels Existenzrecht verneinen, gibt es noch, aber sie sind auf dem Rückzug. Sie sind nicht mehr so dominant wie früher und haben nicht mehr das Monopol.
Die Reaktion der EU auf die „Abraham-Verträge“ fiel verhalten aus. Der Abschluss der Vereinbarungen und auch die jüngste Normalisierung mit Marokko wurden zwar begrüßt, aber der Hinweis auf eine Zweistaatenlösung kam im gleichen Atemzug. Typisch Europa?
Wir möchten auch mit unseren palästinensischen Nachbarn in Frieden leben. Das eine schließt ja das andere nicht aus. Ich denke, die große Mehrheit der europäischen Staaten hat die „Abraham-Verträge“ begrüßt. Wissen Sie, die palästinensischen Anführer verharren schon seit mehr als zwanzig Jahren in einer nicht kompromissbereiten Haltung. Sie haben alle Vorschläge zurückgewiesen, und jetzt sehen sie: Die arabische Welt bewegt sich, und zwar in eine positive Richtung. Und wir hoffen, dass sich auch die palästinensische Führung in eine positive Richtung bewegen und einsehen wird, dass man mit Gewalt und Terror nicht zum Ziel kommen kann. Der einzige Weg ist der durch direkte, bilaterale Verhandlungen – ohne Vorbedingungen. Wir sind die ersten, die Frieden mit den Palästinensern wollen, vollständigen Frieden. Und wir wissen auch, dass dort nicht alle Menschen Extremisten sind.
In einem rezenten Kommentar im europäischen Online-Magazin „politico“ schreibt AJC-Präsident David Harris von einer doppelzüngigen EU-Politik: Es gebe zwar den engagierten Kampf gegen Antisemitismus, aber wenig Solidarität mit Israel angesichts der existenziellen Bedrohung durch den Iran.
Das iranische Regime ist in der Tat eine Gefahr für die ganze Region, für Europa und für den Weltfrieden.
Sind die „Abraham-Verträge“ hilfreich für die Lösung der Iran-Frage?
Auch die moderaten arabischen Staaten sehen das iranische Regime als eine Gefahr. Der Iran ist militärisch in Syrien, im Libanon, im Irak und im Jemen aktiv.
Könnte man behaupten, dass die Abkommen ein strategisches Druckmittel sind? Auf der einen Seite sunnitisch-arabische Staaten und Israel, auf der anderen Seite der Iran?
Es gibt ein gemeinsames Interesse, den Imperialismus des Iran-Regimes zu bremsen, zu verhindern. Ich betone, es ist das iranische Regime. Wir haben wirklich nichts gegen das iranische Volk. Es gab ja auch eine große persisch-jüdische Gemeinschaft im Iran und diplomatische Beziehungen zum Iran vor der Machtübernahme der Mullahs im Jahr 1979.
Wie sehen Sie die Chance, dass es zu ähnlichen Vereinbarungen mit Saudi-Arabien kommt?Ich hoffe, auf lange Sicht gesehen, dass wir in Frieden mit allen arabischen Staaten leben.
Mit allen arabischen Staaten?
Das jüdische Volk hat in der Vergangenheit leider so viele Tragödien auf europäischem, auf christlichem Boden erlebt. Die Versöhnung mit der christlich-europäischen Welt ist jetzt gelungen. Es ist möglich, dass sich die muslimisch-arabische Welt mit Israel versöhnt. Wir haben sehr viel gemeinsam. Es gab gute und schlechte Zeiten, das kann ich Ihnen auch aus meiner persönlichen Erfahrung in Marokko sagen. Wenn man weiter entfernt steht und keine persönliche Beziehung pflegt, sieht man öfter das Trennende. Wenn man hingegen einen direkten Kontakt hat, dann sieht man auch das Gemeinsame. Ich habe es immer sehr geschätzt, dass dies auch von den Marokkanern selbst so gesehen wird. Wenn Sie zum Beispiel in eine sephardisch-marokkanische Synagoge gehen, dann hören Sie die gleichen Melodien wie bei den Gesängen in den Moscheen. Die Worte sind verschieden, die Musik ist dieselbe. Das ist ein gemeinsames kulturelles Erbe: die Poesie, die Musik.
Das klingt optimistisch. Noch eine letzte Frage. Wann, denken Sie, kann man wieder mit dem Auto direkt von St. Jean d’Acre nach Tyros, also die 40 Kilometer von Akko in Nordisrael nach Tyr im Südlibanon, fahren?
(lacht) Das müssen Sie unsere Nachbarn fragen …