Zwischen Esther-Grab & Holocaust-Konferenz

Im Iran gibt es eine kleine, funktionierende jüdische Gemeinde. Obwohl Präsident Ahmadinejad mit antisemitischen Tiraden regiert, ist im Land die Stimmung Juden gegenüber freundlich – solange sie irantreu agieren.
Von Thomas Schmidinger

Durch eine schwere Steintüre, die den Eintritt in das Innere des Gebäudes nur in gebücktem Zustand erlaubt, betritt man das Mausoleum von Esther und Mordechai in Hamadan. Die wichtigste jüdische Pilgerstätte des Iran wird von Nejat Rasat, dem letzten Rabbiner der auf 18 Personen geschrumpften Gemeinde, verwaltet. Er zeigt auf eine aramäische Inschrift im Vorraum und ruft in Erinnerung, dass das Aramäische einst die Lingua Franca des gesamten Nahen Ostens darstellte. Nach der Überlieferung der iranischen Juden ist hier die biblische Esther und ihr Onkel Mordechai bestattet.

Historiker bezweifeln dies und gehen eher davon aus, dass sich in dem aus dem 13. Jahrhundert stammenden Ziegelgebäude die Gräber von Shushan-Dokht und deren Onkel Mordechai befinden. Shushan-Dokht war die Ehefrau des sasanidischen Herrschers Yazdegerd I., der von 399 bis 421 den Iran regierte. Shushan-Dokht habe ihren Gatten davon überzeugt, eine größere jüdische Gemeinde in Hamadan anzusiedeln.

In der lokalen Überlieferung gilt das Grab aber jedenfalls als jenes der biblischen Esther, deren Buch um 140 v. Chr. ebenfalls im Iran, in Susa niedergeschrieben worden war.

Jüdische Pilger kommen bis heute zum Mausoleum von Esther und Mordechai. Wie lange der alte Mann hier noch Pilgern und interessierten Reisenden die Grabstätten zeigen kann, ist fraglich. Nachfolger wird er keinen mehr finden. „Unsere Gemeinde stirbt langsam aus“, meint er etwas bedrückt.

In den 1970er Jahren lebten hier noch 4.000 Jüdinnen und Juden, wovon eine ganze Reihe alter Sy-nagogen Zeugnis ablegt. Heute ist neben dem Mausoleum selbst nur noch eine kleine neue Synagoge in unmittelbarer Nähe der Grabstätte in Betrieb. Auf die Frage, wohin denn die Gemeindemitglieder gegangen wären, antwortet der Rabbiner ausweichend: „Vor allem in andere Städte des Iran und ins Ausland.“ Die meisten wären nach Teheran oder in die USA ausgewandert. Nach Israel, behauptet der Rabbiner, wären nur wenige gegangen.

Zwar haben seit der islamischen Revolution drei Viertel der einst 100.000 jüdischen Iranerinnen das Land verlassen und sich in Europa, den USA oder Israel niedergelassen. Mit rund 25.000 Jüdinnen und Juden ist der Iran aber neben der Türkei immer noch eines der wenigen islamischen Länder mit größeren jüdischen Gemeinden, die über funktionierende Gemeindestrukturen, Schulen, reli-giöse und kulturelle Einrichtungen verfügen. In Teheran, Isfahan, Shiraz und Kermanshah gibt es bis heute aktive Gemeinden mit mehreren tausend Mitgliedern. Die alten Gemeinden in der Provinz Khusistan, Kurdistan, Azerbeidschan, in Yazd oder eben Hamadan, verschwinden jedoch langsam. In vielen Städten des Iran gibt es noch einzelne jüdische Familien, während ein organisiertes Gemeindeleben bereits erloschen ist und die Synagogen langsam verfallen.

Antiisraelische Propaganda
Während insbesondere der gegenwärtige iranische Präsident Mahmud Ahmadinejad immer wieder mit seinen öffentlichen Vernichtungsankün-digungen gegen Israel im Mittelpunkt internationaler Aufmerksamkeit steht, spielt im Land selbst die antiisraelische Propaganda eine weit geringere Rolle als in den meisten arabischen Ländern. Vor allem aber ist kaum etwas von einer offen antisemitischen Stimmung zu bemerken.

So findet man in den Buchhandlun-gen in Damaskus oder Kairo überall antisemitische Propagandaschriften, die von Übersetzungen der „Protokolle der Weisen von Zion“ oder Hitlers „Mein Kampf“ bis zu hausgemachten Publikationen reichen. In den iranischen Buchhandlungen ist davon kaum etwas zu sehen. Selbst die öffentlichen Propagandabilder richten sich kaum gegen Israel, sondern fast ausschließlich gegen die USA. Wie die anderen religiösen Minderheiten – mit Ausnahme der als Apostaten betrachteten Bahai – verfügen auch die iranischen Juden über ein fest reserviertes Minderheitenmandat im iranischen Parlament.

Während in den meisten arabischen Staaten der Antizionismus in den allermeisten Fällen kaum versteckter offener Antisemitismus ist, der Juden in Zeitungskarikaturen regelmäßig im Stürmer-Stil abbildet, ist davon im Iran kaum etwas zu bemerken. Fast scheint es, als würde im Iran tatsächlich ein Unterschied zwischen Israel und den lokalen Juden gemacht werden.

Die Toleranz gegenüber den verbliebenen jüdischen Gemeinden gilt jedoch nur so lange, solange diese peinlich bemüht sind, sich nicht mit Israel in Verbindung zu bringen, und ihre Loyalität gegenüber dem Iran zum Ausdruck bringen.

Geraten jüdische Iraner in den Verdacht des Zionismus, dann wird es gefährlich. Zuletzt verspürten dies 13 Angehörige der jüdischen Gemeinden in Isfahan und Shiraz, die 1999 wegen Verdachts auf Spionage für Israel und die USA festgenommen worden waren und erst nach längeren Haftstrafen unter massivem internationalen Druck wieder freigelassen wurden.

Instrumentalisierung
Einerseits will sich der Iran seit der islamischen Revolution innerhalb der islamischen Welt als Führungsmacht etablieren, was der schiitische Staat in einer mehrheitlich sunnitischen islamischen Welt unter anderem durch einen demonstrativen Antizionismus zu bewerkstelligen versucht. Andererseits wird Israel immer noch die Unterstützung für das Shah-Regime vorgeworfen. Dass Israel im Gegensatz zu den USA im Golfkrieg mit dem Irak phasenweise diskret den Iran unterstützte, ist heute allen Beteiligten peinlich und wird deshalb nicht an die große Glocke gehängt.

Wie andere religiöse Minderhei-ten, die nach islamischem Recht als Dhimmis – als „Schutzbefohlene“ – betrachtet werden, sind auch die iranischen Juden vom Militärdienst und bestimmten politischen Ämtern ausgenommen. Sie werden toleriert, sind aber keine in jeder Hinsicht gleichberechtigten Staatsbürger der „islamischen Republik“.

Die Äußerungen Ahmadinejads, die die Shoah in Frage stellten, haben auch innerhalb der iranischen jüdischen Gemeinden für Widerspruch gesorgt. „Wenn in diesen Tagen behauptet wird, der Holocaust ist eine Legende, so habe ich überhaupt keine Zweifel an der Realität des Holocaust. Er ist eine historische Wahrheit, ein Verbrechen, das das Gesicht der Menschheit gezeichnet hat“, erklärte Harun Yasharaie, der Vorsitzende des Teheran Jewish Committee im Juli 2006 gegenüber einem Korrespondenten der Neuen Rheinischen Zeitung.

Die Abhaltung einer internationalen Konferenz von Holocaustleugnern und Relativierern im Dezember 2006 veranlasste den jüdischen Abgeordneten zum iranischen Parlament, Maurice Motammed, zur Kritik, die Konferenz wäre „eine Beleidigung, nicht nur für die Juden im Iran, sondern auch weltweit. Diese mehrfach historisch bewiesene Tatsache in Frage zu stellen hat uns Juden im Iran in der Tat sehr empört.“

Der letzte Rabbiner von Hamadan will sich dazu nicht so kritisch äußern. „Das ist alles nur eine Frage der internationalen Diplomatie. Auf uns hat das keine Auswirkungen.“ Nejat Rasat betont immer wieder das gute Verhältnis zu den Muslimen und zu den Behörden, was manchmal fast wie eine Beschwörungsformel klingt.

Tatsächlich laufen die iranischen Juden Gefahr in den Mühlen des Nahostkonflikts zerrieben zu werden und müssen sich deshalb ständig gegen eine Instrumentalisierung von mehreren Seiten zur Wehr setzen. Während die Loyalitätsbekundung gegenüber dem Iran für die Gemeinden lebensnotwendig ist, versucht nicht nur die iranische Regierung mit dem Verweis auf die eigene jüdische Gemeinde den Vorwurf des Antisemitismus zu entkräften.

Auch für US-amerikanische jü-dische Organisationen und israelische Stellen sind die iranischen Juden ein Politikum. So wurde etwa vor einem Jahr eine von iranischen Exiloppositionellen in die Welt ge-setzte Falschmeldung, wonach eine Kennzeichnung von Juden durch gelbe Stoffbänder geplant wäre, ungeprüft vom Leiter des Simon Wiesenthal Centers in Los Angeles Rabbi Marvin Hier aufgegriffen, der sogleich ein öffentliches Protestschreiben an UN-Generalsekretär Kofi Annan verfasste. Erst das Dementi der iranischen jüdischen Gemeinden stellte klar, dass nie eine Kennzeichnungspflicht geplant war.

Konfrontiert mit manch aufgeregter Stimmungsmache in Europa oder den USA – zuletzt hatte in Wien etwa der für einen konservativen Think Tank arbeitende Politikwissenschafter Matthias Küntzel vor einer „Gefahr einer Art von ,Adolf Hitler‘ mit Atomwaffen“ gewarnt –, können die verbliebenen iranischen Juden nur noch den Kopf schütteln. Hier befürchtet niemand eine blutige Vernichtungspolitik.

Aber auch der Iran versucht „seine Juden“ in Israel für eigene Zwecke zu nutzen. Mitte April erklärte der israelische Inlandsgeheimdienst Shin Bet, der Iran habe Israelis iranischer Her-kunft angeworben, die für den Iran Spionagetätigkeiten durchführen sollten. Von den 100 iranischstämmigen Israelis, die laut Shin Bet in den letzten Jahren über Istanbul in den Iran gereist wären, wären viele von den iranischen Behörden unter Druck gesetzt worden, Informationen zu liefern. Die Daten, die der Iran dadurch erhalten habe, wären jedoch von keiner besonderen Wichtigkeit gewesen. Es handle sich nur um Namen israelischer Sicher-heitsmitarbeiter und ähnliche halböffentliche Informationen. Einige der unter Druck gesetzten Israelis hätten nach ihrer Rückkehr die israelischen Behörden darüber informiert, aber zehn Personen wären auch gefasst worden, als sie Daten an den Iran weitergegeben hätten. Israel will diesen nun wegen Spionage den Prozess machen.

Isfahan als jüdisches Zentrum
Während die jüdische Gemeinde von Hamadan langsam verschwindet, bildet Isfahan, die alte iranische Hauptstadt der Safawiden, bis heute eines der Zentren des iranischen Judentums. Hier lebten laut Elias Haronian, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, Ende des 19. Jahrhunderts rund 100.000 Jüdinnen und Juden. Während der 1930er Jahre wurde die Stadt gar zum Ziel deutschsprachiger jüdischer Flüchtlinge, die

im Iran vor dem Terror der Nazis Zuflucht fanden. Die Neuzuwanderer ließen sich nicht im alten jüdischen Viertel, der Yahudiye nieder, sondern auch in anderen Teilen der Stadt. Einige, wie die Familie Rosenzweig, deren „Isfahaner Mineralwasser“ heute im ganzen Mittleren Osten vertrieben wird, brachten es zu einem gewissen Wohlstand.

Während in die alten Häuser der Yahudiye überwiegend afghanische Flüchtlinge eingezogen sind und die alten Synagogen langsam zerfallen, nutzen die verbliebenen rund 1.500 Juden Isfahans heute die neue Synagoge, die als Kanise-ye Esfahan an der Falake-ye Falastin liegt. Die Synagoge kommt völlig ohne jede Bewachung aus. Wenn man am großen grünen Stahltor leutet, öffnet ein alter Mann das Tor. Er freut sich sichtlich über Besucher und führt sie gerne durch die Synagoge.

Für die verbliebenen iranischen Juden hat sich das Leben seit der Re-volution trotz des Schutzes, den sie genießen, geändert. Waren die meisten iranischen Juden bis 1979 säkulari-sierte Weltbürger, konzentrierten sich die im Land verbliebenen Gemeinde-mitglieder wieder auf die Synagogen und jüdischen Gemeindeinstitutionen. Die Schließung vieler Vergnügungs-stätten, die bis 1979 auch von Jüdinnen und Juden besucht wurden, brachte eine Rückbesinnung auf die eigene Com-munity, eine Art inneres Exil mit sich. Juden und Christen dürfen im Ge-gensatz zu Muslimen im Iran für den Eigengebrauch etwas Wein zu Hause haben. Männer und Frauen dürfen auf Hochzeiten und Festen gemeinsam tanzen, was Muslimen untersagt wird. All dies bedingt aber eine strikte Trennung der Religions-gemeinschaften. Ältere iranische Jü-dinnen und Juden berichten davon, dass sie heute weit weniger Kontakt zu Nichtjuden hätten als vor der Revolu-tion.

Die Meinungen darüber gehen jedoch auch innerhalb der jüdischen Gemeinde auseinander. Während viele – wie ihre muslimischen und christlichen Landsleute – eine Libe-ralisierung des Systems befürworten, gibt es durchaus auch konservative Juden, die über die moralischen Vor-schriften des Regimes genauso wenig unglücklich sind, wie über die nicht ganz freiwillige Rückbesinnung auf die eigene Gemeinschaft.

Viele iranische Juden haben Ver-wandte in Israel. Da der Iran aus israelischer Sicht offiziell nicht als Feindesland gewertet wird, ist damit die Ausreise israelischer Bürger in den Iran nach israelischem Recht legal. Es ist eben etwas komplizierter, da es keine direkten Verbindungen gibt und Reisen immer nur über die Türkei oder Zypern möglich sind. Über das Telefon kann jedoch direkt mit Tel Aviv telefoniert werden.

Synagogen in Teheran
Der Iran ist bis heute auch ein Land mit jüdischer Identität geblieben. Das Grab des Propheten Daniel in Shush, dem alten Susa, das traditioneller weise von Juden und Muslimen besucht wurde, sieht mittlerweile wie ein klassisch schiitischer Heiligenschrein aus, der von schiitischen Gläubigen rege besucht wird.

Der überwiegende Großteil der iranischen Juden lebt heute in der Haupt-stadt Teheran. Ein Viertel der landesweit etwa 100 Synagogen ist hier in der Hauptstadt. Hier wird die 1999 gegründete jüdische Zeitschrift „Ofegh-Bina“ herausgegeben. Ein eigenes jüdisches Spital ist noch in Betrieb. Daneben gibt es eine umfangreiche Bibliothek, ein Computer-Center, Jugend- und Studentenorga-nisationen.

Gefährdet ist jedoch das Überleben der jüdisch-iranischen Dialekte, die sich teils stark vom offiziellen Persischen unterscheiden. In Israel wurden die iranischen Juden – wie alle Einwanderer – mit dem Hebräischen vertraut gemacht. Die eigenen Sprachen verschwinden mit der ersten Generation der Einwanderer. Im Iran sind viele der Gemeinden zu klein, um die eigene Sprache im Alltag weiterzupflegen. So nähert sich der eigene Dialekt immer mehr der Amtssprache an.

Die judeo-Kurdischen Dialekte basieren auf einer kurdischen Gram-matik. Neben jüdisch-aramäischen Dialekten stellten sie die Hauptsprache der kurdischen Juden dar. Auch die nach Israel ausgewanderten kurdischen Juden unterhalten eigene Kul-turvereine, die teilweise auch versuchen, Kontakte in die alte Heimat aufrechtzuerhalten.

In Israel, der neuen Heimat, ist den kurdischen Juden ein Teil der ethnographischen und Judaica-Sammlung im Israel-Museum gewidmet. Sie stellt einen Höhepunkt einer umfangreicheren 1981 gezeigten Ausstellung dar. Israelische Ethnographen hatten von 1974 bis 1979 die Gelegenheit, umfangreiche Forschungen in den kurdischen Gebieten des Iran durchzuführen, die sie noch durch Recherchen bei kurdischen Juden in Israel ergänzten.

Die massiven politischen Proble-me zwischen dem Iran und Israel würden heute ein solches Vorhaben verunmöglichen. Allen Hemmnissen zum Trotz bestehen aber familiäre Bindungen und Kontakte iranischstämmiger Israelis mit ihren im Iran verbliebenen Verwandten weiter. Es mag zurzeit sehr illusorisch klingen, aber vielleicht könnten diese eines Tages wieder einmal zu einer An-näherung zwischen Israel und dem Iran beitragen.

www.homepage.univie.ac.at/

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