Zwei verschiedene Welten

Es ist offensichtlich, dass diese Themen Nichtjuden in Österreich nicht einmal annähernd so beschäftigen
Von Martin Engelberg

Vor einiger Zeit war Bundeskanzler Gusenbauer zu einer jüdischen Gesellschaft geladen und berichtete, dass er – ein Jahrgang 1960 – sich genau an die Wahl Kreiskys zum Bundeskanzler erinnere. Als er dann in dieser Zeit die ersten Male ins Ausland fuhr und sagte, dass er aus Österreich komme, hätten alle mit einem anerkennenden „Ah, Kreisky“ reagiert und er sei stolz gewesen Österreicher zu sein.

Als Gusenbauer später von Tisch zu Tisch ging, hatte ich die Möglichkeit, ihm meine Gedanken zu dieser Geschichte zu erzählen: Auch ich bin 1960 geboren, auch ich erinnere mich genau, wie Kreisky Bundeskanzler wurde. Aber als ich als 14-jähriger zum ersten Mal alleine nach Israel flog, nahm mich mein Vater am Tag der Abreise auf die Seite und sagte mir: „Wenn Dich jemand fragt woher Du bist, sag einfach Du bist aus der Schweiz, sonst nudjet (sekkiert) Dich jeder wegen dem Kreisky“.

Erst mit einiger zeitlicher Distanz ist mir die Tragweite dieses Vergleichs bewusster geworden: Da stehen einander zwei Menschen gegenüber, die gleich alt sind, die gleiche Sprache sprechen, im gleichen Land geboren und aufgewachsen sind, eine Schulausbildung und ein Studium an einer öffentlichen Schule, bzw. Universität absolviert haben, sich sogar mit einer ähnlichen politischen Orientierung identifizierten und stellen dennoch fest, dass sie in zwei verschiedenen Welten aufgewachsen sind und leben.

Was sind wohl die wichtigsten politischen Themen, die Juden in Österreich derzeit beschäftigt? Allen voran wohl die Bedrohung, die vom Iran und dem Islamismus ausgeht, nicht nur gegenüber Israel und uns Juden, sondern der westlichen Zivilisation überhaupt. Darüber hinaus die Frage, wie man dieser Gefahr begegnet; wie die aktuelle Lage in Israel ist, wer der/die nächste Präsident/in in den U.S.A. wird, wie sich der Kampf im Irak und in Afghanistan entwickelt. Ob sich eine globale, auch militärische, Auseinandersetzung anbahnt und welche Opfer diese uns abverlangen wird.

Bei uns schrillen alle Alarmglocken ob der auch in der österreichischen Politik vorherrschenden Haltung, die wir als Appeasement, Duckmäuserei und Geschäftemacherei mit einer Achse gefährlicher, irrationaler – teilweise sogar einfach wahnsinniger Regime und Organisationen ansehen. Es ist offensichtlich, dass diese Themen Nichtjuden in Österreich nicht einmal annähernd so beschäftigen. Aus Erfahrung treffen unsere Sorgen vielmehr entweder auf Unverständnis, oder führen Gespräche darüber in merkwürdig heftige emotionale und ablehnende Diskussionen.

In Analogie zur Wahrnehmung der Kreisky-Zeit erlebe ich mich – und ich denke die meisten Juden in Österreich ebenso – heute in praktisch jeder brisanten politischen Frage von Bedeutung, auf der diametral entgegengesetzten Seite mit der Haltung der nicht-jüdischen österreichischen Politiker, Journalisten und sonstigen Opinion-Leader – ein Leben in zwei verschiedenen Welten eben.

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