Zu Besuch bei Oskar Vitásek

Im Südburgenland herrscht eine fröhliche Lebensstimmung. Die Familie Vitásek passt da gut dazu, wovon sich PETER MENASSE bei seinem Besuch überzeugen konnte.
FOTOS: PETRA MENASSE-EIBENSTEINER

Oskar ist der Hausherr. Das weißt du, wenn du bei den Vitáseks im Südburgenland ankommst. Oskar ist als Erster da, beäugt dich – nein, nicht misstrauisch, sondern durchaus vertrauensvoll. Dann legt er sich auf den Rücken. Schon bist du in der Bredouille. Die restliche Familie freundlich begrüßen oder den Chef am Bauch kraulen? Du entscheidest dich dann doch für die bürgerliche Höflichkeit und riskierst, bei Oskar in Ungnade zu fallen. Tatsächlich wird er sich später die Streicheleinheiten noch in voller Bauchbreite holen.

Andreas Vitásek, die wichtigste Bezugsperson von Oskar, liebt das Südburgenland seit zwanzig Jahren. Er fuhr mit seinem damals zehnjährigen Sohn auf Empfehlung seines Managers Georg Hoanzl, eines gebürtigen Südburgenländers, auf Urlaub in das Künstlerdorf Neumarkt an der Raab und war von der sanft-hügeligen Landschaft begeistert. Vor zwei Jahren hat er sich dieser Liebe endgültig ergeben und ein Haus erworben. Wenn du dort eingeladen bist, die Familie begrüßt und Oskar am Bauch gestreichelt hast, wirst du sofort aufgefordert, dieses Haus von oben bis unten zu besichtigen. Es ist es wert. Aber du würdest ohnehin nicht auf die Idee kommen, es nicht superfein zu finden, so begeistert, wie die Familie über ihr Anwesen schwärmt. Oskar, im Übrigen ein Mops der allerfeinsten Art, bleibt im Garten liegen. Stiegen steigen dürfte sein Ding nicht sein. Oben ist die Zentrale des Sous-Chefs, Andreas Vitásek. Ein Schreibtisch mit einem Blick weit über das Land mit seinen Feldern, Weingärten und Hügeln. Wie in der Toskana, sagt man da, obwohl doch die Leute in der Toskana sagen könnten: wie im Südburgenland. Aber das ist eine andere Geschichte. Vitásek jedenfalls hat, wie er erzählt, den Sommer des vorigen Jahres an diesem Schreibtisch verbracht. Also hin und wieder wird er schon hinuntergegangen sein, und sei es nur, weil Oskar sein Recht auf Nahrung und Zuwendung einforderte. Hier hat er sein jüngstes Programm Sekundenschlaf geschrieben und gut ist es geworden.

„Das Moralisieren geht mir zunehmend auf die Nerven“
Weil Oskar uns eine kleine Plauderpause gewährt – er liegt unten in einem tiefen Minutenschlaf und schnarchelt ein wenig – reden wir über dieses Programm. Vitásek ist inzwischen, aber sagen Sie ihm das bitte nicht so unverblümt, ein Altmeister seines Genres in Österreich. Er hat in 32 Jahren nicht weniger als zwölf Kabarettprogramme verfasst und sich ständig weiterentwickelt. „Mich interessieren heute mehr die größeren Zusammenhänge, größere Bögen oder die allgemein menschliche Themen“, sagt er in seiner Klause mit dem weiten Blick. „Ich bekomme zunehmend Probleme mit der Forderung, dass das Kabarett per se eine moralische Anstalt sein muss. Das Moralisieren geht mir zunehmend auf die Nerven. Der Kabarettist ist in dieser Rolle immer der, der es besser weiß. Das sehe ich nicht mehr.“

In extremen politischen Situationen, beispielsweise als Schwarz-Blau an die Regierung kam und die Blauen gegen Künstler plakatierten, da hat er sich gefordert gefühlt, Stellung zu nehmen, auch in den Nummern seines Programms. Jetzt könnte man auch auf so manchen Politiker hinhauen, meint er, aber das sei nicht mehr seins.

„Die Kritik kann ich mir gleich selber sagen: Das ist zahnlos geworden, das ist altersmilde. Aber die Grundthemen der Menschen sind doch immer dieselben: die Liebe, wie lebt man zusammen, welche Lebensformen gibt es. Und als Grundthema schlechthin die Vergänglichkeit. Die eigene Sterblichkeit ist etwas, das uns über alle Grenzen hinweg verbindet. Der Tod ist bei mir schon von Anfang an in den Programmen Thema gewesen. Meine ‚Todpuppe‘ wurde fast schon zur Trademark. Diese Beschäftigung mit dem Tod ist vielleicht das einzig typisch Wienerische in meinen Programmen.“

Begonnen hat Vitáseks Karriere in Form von Versuch und Irrtum, bis er dann bei der Profession des Kabarettisten landete. Da gab es früh, gemeinsam mit seinem besten Freund Niki List, die Entdeckung der Belletristik, der Theaterliteratur und der Philosophie. „Wir verstanden von dem, was wir da als Schüler gelesen haben, vielleicht ein Zehntel, aber wir haben uns durch die Frankfurter Schule gequält und uns mit Sartre, Camus und Büchner identifiziert.“

„Der Ärmel im 18. Jahrhundert“
„Ich habe dann ein Studium gesucht, bei dem man möglichst wenig arbeiten muss. Medizin kam also nicht in Frage.“ Er entschied sich für Theaterwissenschaften und Germanistik und arbeitete nebenbei als Komparse am Burgtheater, wo ihn vor allem die Arbeit von Giorgio Strehler faszinierte. „Ich versteckte mich während unserer Probenpausen im Zuschauerraum, statt in die Kantine zu gehen, und beobachtete Strehler, wie er mit Michael Heltau auf fast nonverbaler Ebene einen Shakespeare-Monolog im Spiel der Mächtigen erarbeitete. Ich fand das spannender als das Studium und die Beschäftigung mit theaterwissenschaftlichen Texten, wie Der Ärmel im 18. Jahrhundert. “

Inzwischen befürchtet die aufmerksame Leserin, der aufmerksame Leser, Oskar würde zu kurz kommen. Gemach, gemach, wir gehen gleich hinunter, auf die Terrasse, auch wunderbarer Blick in viel Gegend, und da ist er schon, knallt sich auf den Rücken und macht Mops-Geräusche. Andreas Vitásek überlässt mir das Fell und wendet sich den wichtigen Dingen des Lebens zu. Er trifft die Vorbereitungen für eine Grill-Session. Ein paar dunkle Wolken lassen ihn besorgt nach oben schauen. Er entzündet die Kohlen und stellt sich dann in der Haltung eines afrikanischen Medizinmanns neben den Grill. Er streckt die Arme aus und beginnt mit energischen Bewegungen die Wolken nach oben zu drücken. Um es vorwegzunehmen, das kann er perfekt. Es hat später nur ein paar Tröpfchen geregnet. Oskar wird jetzt unruhig. Es ist nicht ganz klar, ob er dagegen protestiert, dass nicht sofort das gesamte Fleisch an ihn verteilt wird oder ob er, wie der Chronist zu erkennen glaubt, auf den Kugelgrill eifersüchtig ist, der ihm zum Verwechseln ähnlich schaut und dem sein Sous-Chef so viel Aufmerksamkeit schenkt.

Noch schlimmer als das Studium war Salzburg
Während die Kohlen anbrennen, setzen wir drei uns hin, und Andreas Vitásek erzählt Schmankerln aus seinen Lehr- und Wanderjahren. Nach einer kurzen Zeit am Mozarteum („Ich hielt die Stadt Salzburg nicht aus“) bewarb er sich um die Aufnahme in der renommierten Theaterschule von Jacques Lecoq. „Dort war eine der Aufnahmebedingungen, dass man Französisch sprechen kann. Ich konnte kein Wort und bin daher ein halbes Jahr vor der Prüfung nach Paris gegangen, um an einer Schule für Ausländer die Sprache zu lernen. Bereits in der zweiten Stunde traf ich eine Schwedin, mit der ich mich darüber absprach, dass es viel klüger wäre, mit dem horrenden Schulgeld zweimal am Tag ins Kino zu gehen. Wir würden mehr und besser Französisch lernen. Sie war einverstanden, wir gingen einige wenige Male ins Kino, und das war es dann auch.“ Jetzt fragen wir ihn aber, ob er denn wenigstens Schwedisch gelernt hat. „Nein, das nicht, aber nach Stockholm bin ich schon mit ihr gefahren.“

Er wurde aber dennoch in die Schule aufgenommen, setzte sich zu einer Gruppe Schweizer und ließ sich die Anweisungen der Lehrer übersetzen. Und Französisch konnte er dann auch bald: „Als ich fest in Paris wohnte, ist es erstaunlich schnell gegangen. In dem Moment, wo du das erste Mal, wenn dir die U-Bahn wegfährt, nicht denkst ‚Scheiße‘, sondern ‚Merde‘, bist du echt angekommen.“

Vitásek verbrachte drei Jahre in Paris und kehrte dann in das damals arg verschlafene Wien zurück, wo „um 11 Uhr abends die Gehsteige hochgeklappt wurden“. Hier traf er Niki List wieder, es entstand 1982 der Film Malaria und dann 1986 Müllers Büro. „Der war Kickstart für meine Karriere. Ich hatte parallel dazu ein Kabarettprogramm, das nicht schlecht war, und das hat eine Synergie ergeben, die dazu führte, dass meine Programme plötzlich ausverkauft waren.“

Die Rolle des edlen Grillmeisters
Der Rest ist bekannt und kann hier aus Zeitgründen nicht mehr erzählt werden. Die Kohlen im Kugelgrill glänzen nämlich bereits grau, Andreas Vitásek spielt mit vollster Konzentration die Rolle des edlen Grillmeisters und Oskar liegt erwartungsvoll bei den Gästen.

Viele Steaks später, über die Zahl der Rotweinflaschen wollen wir schweigen, frage ich ihn, wann er das erste Mal auf Juden getroffen ist. „Ich hatte im BRG 4 zwei Mitschüler, beide sehr intelligent und hoch begabt, der eine hieß Mandelbaum, der andere Salamon, ein super Kicker, der leider oft nicht zum Fußballspielen mitgehen konnte, weil er am Nachmittag zum Religionsunterricht musste. Auch an den Schikursen nahmen sie nicht teil, aber ich hatte nie das Gefühl, dass sie eine Sonderstellung in der Klasse hatten. Ich habe sie eher etwas beneidet, für ihr Aufgehoben-Sein in einer eigenen festen Kultur, etwas, das ich als Schlüsselkind in Favoriten in dieser Form nicht kannte. Ich war immer ein Einzelgänger, bin es bis heute.“

Ein Abend im Südburgenland endet häufig damit, dass du dich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern kannst, was ganz am Schluss war. Vielleicht weiß es ja Andi Vitásek. Fragen Sie ihn doch einfach in der Pause von Sekundenschlaf. Er spielt das Stück noch weit ins nächste Jahr hinein.

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