Wo kauft man Bilder, wenn nicht im Museum?

Der Sammler Jenö Eisenberger über seine Leidenschaft für Kunst, über Antisemitismus und seine Liebe zu Österreich.
Von Danielle Spera

NU: Wie bist du mit deiner Geschichte zur Kunst gekommen? Wie beginnt die Sammeltätigkeit? Wie entsteht Leidenschaft fürs Sammeln?

Eisenberger: Vielleicht bin ich ein heimlicher Intellektueller. Nachdem ich so viele Erfolge im Lebensmittelhandel hatte, bin ich eben ein Lebensmittelhändler geworden. Wie hat alles begonnen? Ich war etwa 50 Jahre alt, da habe ich angefangen, meine – mittlerweile verstorbene – Frau Vera ins Museum zu begleiten. Auf einmal hat es mich dazu getrieben, dass ich – nicht so wie Vera – nur geschaut habe, sondern auch gekauft habe. Vielleicht wollte ich Vera etwas beweisen. Sie hat nie im Leben Schmuck getragen, ich wollte ihr aber etwas schenken, und so waren es eben Bilder. Dabei bin ich auf den Geschmack gekommen. Ich habe darin natürlich auch einen wirtschaftlichen Vorteil gesehen. Ich werde sicher nie im Leben ein Österreicher, dennoch kann ich Österreich oder Wien lieben, daher habe ich auch nicht Picasso oder Ähnliches gekauft, sondern österreichische Kunst, angefangen von Emil Jakob Schindler oder die österreichischen Impressionisten, und später sogar die österreichische gegenwärtige Kunst. Das gilt im Übrigen auch für meine Judaica-Sammlung, es sind ausschließlich Objekte aus der österreichisch-ungarischen Monarchie. Jedenfalls möchte ich betonen, dass ich österreichische Kunst sammle, das ist sicher eine unbewusste, keine vorgegaukelte Liebe. Es ist eine Liebe zu Österreich oder zu den Österreichern.

 

NU: Viele Leute gehen ins Museum, doch kaum jemand beginnt dann zu sammeln wie du.

Eisenberger: Eigentlich aus Langeweile bin ich einmal mit Vera ins MOMA in New York mitgegangen. Sie hat mir bei den verschiedensten Bildern Details erklärt und ich habe realisiert, wie begeistert sie war. Ich sagte ihr, du hast doch Geld, wieso kaufst du sie nicht? Und sie sagte, „das ist doch ein Museum!“. „Macht nichts“, antwortete ich. „Auch wenn es teuer ist, kauf es doch.“ Da hat sie mir erklärt, dass man in einem Museum nichts kaufen kann. Ich bin dort gestanden, wie ein kleiner begossener Pudel. Also, ich war schon über 50 und wusste nicht, was ein Museum ist. Ich habe sie gefragt, wo man dann Bilder kauft, wenn nicht im Museum? Da hat sie mir erklärt, in Galerien. Da hab ich erst einmal Bilder so um etwa 200 bis 300 Dollar gekauft. Mit der Zeit habe ich mir Geschmack erworben. Vera hat gesagt, jetzt bist du auf dem richtigen Weg. In Wirklichkeit lernt man alles im Leben. So wie ich gelernt habe, Lebensmittel zu verkaufen, hab ich Geschmack und Kunstverstand auch erlernt.
NU: In deiner Sammlung gibt es Bruchlinien zwischen der Kunst des Fin de Siècle und zeitgenössischen Arbeiten. Wie bist du auf die Zeitgenossen gekommen, haben dich bestimmte Arbeiten angesprochen oder hast du an die Wertanlage gedacht?

Eisenberger: So wie Vera mich zur Kunst überhaupt gebracht hat, hat meine Tochter mich zur modernen Kunst gebracht. Ich habe sofort an den Wert gedacht. Bei der Auswahl war mir wichtig, auf die langfristige Entwicklung zu achten. Danach habe ich dann die Auswahl getroffen. Heute kann ich sagen, ich spekuliere gut damit, und rate das auch allen meinen Freunden. Wenn du mich fragst, ob mir die moderne Kunst gefällt, sage ich, dass ich sie heute genießen kann. Wie ich von den alten Meistern begeistert bin, bin ich von den Zeitgenossen begeistert, manchmal kommen mir die Impressionisten schon ein bisserl verstaubt vor. Ich habe eine unvorstellbare Achtung für die Jugend. Ich bin überzeugt davon, dass die Jugend es 100-mal besser macht als wir, und das wirkt sich auch in der Kunst aus. Das Spontane, das Wechselhafte.
NU: Die österreichische Kunstgeschichte würde anders aussehen, hätte es im Lauf der Jahrhunderte nicht unzählige Kunstsammler und Mäzene gegeben, die die Entwicklung entscheidend mitgeprägt haben. Woher kam diese Affinität zur Kunst? War Kunstsammeln „jüdisch“?

Eisenberger: Ich möchte sagen, das ist schon eine individuelle Sache. Generell kann man vielleicht sagen, dass das jüdische Volk viel aufgeklärter ist, vielleicht mit einer Gabe, in die Zukunft zu blicken, auch in der Forschung. So kam es, dass Juden Kunst gekauft haben, die in ihrer Zeit verpönt war, Klimt, Schiele, Nolde etc. Und das sind heute alles Meisterwerke für die ganze Welt. Es hat vielleicht gar nicht so sehr mit Intelligenz zu tun, sondern mit einem Gefühl für die Zukunft oder dafür, ob etwas Zukunft hat. Schiele war wie viele andere in seiner Zeit verpönt, heute kann man ihn sich aus der österreichischen Kunst nicht mehr wegdenken. So wird das zum Beispiel bei Nitsch auch sein. Bei den Judaica war es so, dass große Künstler Aufträge dafür bekommen haben. Ein Einband für ein Gebetbuch oder etwa Leuchter, heute ist das eine Rarität. Für Broncia Kollers Vater hat Kolo Moser den Grabstein auf dem jüdischen Friedhof gemacht. Es waren Auftragsarbeiten, und das hat meine größte Bewunderung. Heute ist das Bewusstsein, Jude zu sein, eine Selbstverständlichkeit. Daher vernachlässigt man vielleicht diesen Aspekt, diese Art, Kunst zu sammeln.
NU: Eben, heute ist die Situation eine vollkommen andere, es gibt – bis auf wenige Ausnahmen – fast keine jüdischen Sammler mehr. Warum ist das so?

Eisenberger: Es ist einfach zu erklären. Früher waren die Sammler schon Kinder oder Enkelkinder von Leuten, die sich etabliert hatten. Heute gibt es noch keine Kinder und Enkelkinder von Leuten, die sich etabliert haben. Heute ist noch die erste Generation nach der Shoah da. Da gab es klarerweise kaum Initiativen. Ich habe mehr Glück als Verstand gehabt, dadurch, dass ich meine Frau hatte. Sie hat mich beeinflusst, ja sogar im guten Sinn vergiftet, mit der Leidenschaft für die Kunst. Aber nicht jeder hat dieses Glück. Ich wünsche mir, dass erfolgreiche Juden, ob das Ärzte, Professoren, Anwälte oder Journalisten sind, auch dieses Glück haben. Aber leider fehlt ihnen die Motivation. Wäre ich jünger, würde ich sie gerne motivieren.
NU: Wie empfindest du das Verhalten des „offiziellen Österreich“ in der Restitutionsdebatte? Nachdem vor 5 Jahren die ersten beiden Schiele-Bilder in New York beschlagnahmt worden sind, hat Ministerin Gehrer gesagt, sie hoffe, dass dadurch nicht das gute Verhältnis mit der jüdischen Gemeinde belastet würde, manche haben das als Drohung verstanden.

Eisenberger: Ich lebe jetzt schon 53 Jahre hier, war aber noch nie ein Österreicher und deshalb geht es mich nichts an. Ich liebe Österreich, ich liebe die Österreicher, aber wie ich heute die Juden nicht zum Sammeln motivieren kann, versuche ich auch nicht, die Österreicher zu motivieren, ihre Schuld einzugestehen. Sicher haben weit mehr als 80 Prozent der Österreicher sympathisiert oder aktiv an faschistischen Organisationen teilgenommen. Ich habe bisher noch  von keinem gehört, dass er es bedauert hätte. Ich war 2 Jahre beim israelischen Militär und habe seitdem tausende Male beteuert, wie sehr ich diese Jahre bedauere, wie wir uns benommen haben zu Palästinensern oder zu Arabern. In Österreich habe ich das nicht gehört, auch nicht von Gehrer. Ich kann heute sagen, ich mische mich hier nicht ein. Überhaupt war ich noch nie im Leben in einem Wahllokal. Nicht bei den Juden, nicht bei den Österreichern. Mich interessiert das nicht. Ich versuche zu erklären, ich gehöre nicht zu jenen, die sagen, ich bin ein österreichischer Jude. Das bin ich sicher nicht und warum soll ich mich da einmischen.
NU: Auch Bilder aus der Sammlung Leopold sind umstritten: Dazu gibt es auch Stimmen, die sagen, Leopold hat eine riesige Sammlung, da sollte er doch die Größe haben und Bilder an die Erben zurückgeben. Wie denkst du als Sammler darüber.

Eisenberger:Was hat das mit dem Sammeln zu tun? Es geht darum, ob jemand ein Mensch mit humaner Auffassung ist oder eben nur ein Sammler. Dennoch möchte ich auch in dieser Frage immer beide Seiten hören. Ich bin nicht sicher, ob er im Recht oder im Unrecht ist. Ich kann es nicht beurteilen. Dazu sind Gerichte da.
NU: Zu Leopold hast du ein eigenes Verhältnis, du hast ein Gespräch mit ihm abgelehnt, mit der Begründung, dass du dich nicht mit einem Antisemiten treffen willst. Was ist da geschehen?

Eisenberger: Diese Äußerung kam aus einer Emotion, kurz nachdem meine Frau gestorben war. Ob er ein Antisemit ist oder nicht, eigentlich weiß ich das gar nicht. Jedenfalls hat er mich sehr oft sehr schlecht behandelt, da hat es viele Zwischenfälle gegeben, wo er mich bei Versteigerungen nicht nur ausgebootet, sondern regelrecht übers Ohr gehaut hat. Er hat mich einmal vor einer Versteigerung angerufen und mich gefragt, was ich haben möchte, er würde dann bei diesen Dingen nicht mitbieten, um mir nicht in die Quere zu kommen. So war ich im Dorotheum, er hatte bereits alles und plötzlich sagte er, er müsse schnell seinen Wagen umparken. Als ich „meine“ Objekte ersteigern wollte, war da plötzlich ein telefonischer Mitbieter und hat alles gekauft. Am Ende bei der Kasse sagen mir die Kollegen: „Na, der Leopold hat dich ganz schön erwischt.“ Er war nämlich der telefonische Mitbieter. Solche Vorfälle gab es viele. Ich will mit ihm nichts zu tun haben. Trotzdem tut es mir Leid, dass ich ihn einen Antisemiten genannt habe. Eigentlich weiß ich gar nicht, was das Wort bedeutet.
NU: Das glaube ich nicht.

Eisenberger: Ehrenwort. Ich kann dir sagen, es gibt Menschen, die lieben Juden und andere die lieben Juden eben nicht, und ich hab in Wien oder in Österreich noch nie einen Nichtjuden getroffen, der die Juden liebt. Keinen einzigen, aber was hat das mit Antisemitismus zu tun?
NU: Wie nennst du das?

Eisenberger: Er liebt Juden nicht. Wenn ich Türken nicht liebe, bin ich deshalb ein Antitürke? Ein Österreicher hat nicht einmal die Ideologie.
NU: Im Wien der Nachkriegsjahre gab es einige Galeristen, die nicht unbelastet waren, in diesem Zusammenhang hast du ja auch mit Leuten zu tun gehabt, die Täter waren. Wie geht man damit um?

Eisenberger: Dazu muss ich Folgendes erzählen: Ich war 3 Jahre lang mit einem gewissen Göth befreundet, er hatte ein Kaffeehaus und war sogar am Café Landtmann beteiligt. Eines Abends , da hatte Göth getrunken, sagte er: „Ich war Obersturmbannführer und bin von den Amerikanern zum Tode verurteilt worden. Österreich hat mich amnestiert.“ Ich war geschockt, bin aufgestanden und gegangen. Und muss sagen, dass ich 3 Jahre nicht eine Sekunde gemerkt hatte, welche Vergangenheit der Mann hat. Später habe ich dann „Schindlers Liste“ gesehen. Da gab es den Amon Göth, der war sein Cousin. Ich begreife nicht, dass keiner Bedauern ausspricht. Bedauern gibt es hier nicht. Ich hatte einmal ein Gespräch mit Hans Dichand. Und habe ihm gesagt, dass die Kronen Zeitung antisemitisch sei. Er war außer sich, wie könnte ich so etwas behaupten. Ich sagte, stellen Sie sich vor, Schlomo Kohn vergewaltigt ein katholisches Mädchen. Und Sie schreiben morgen in der Zeitung:„Schlomo Kohn, der Jude, vergewaltigt.“ Darunter leide ich. Warum soll ich wegen Schlomo Kohn leiden? „Warum schreiben Sie nicht nur ,Schlomo Kohn‘, sondern ,Schlomo Kohn, der Jude‘. Dichand antwortete: „Was hat das mit der Kronen Zeitung zu tun?“ Daraufhin sagte ich: Vorige Woche schrieb die Kronen Zeitung, dass ein Professor aus Boston den Papst verurteilt habe, weil er Waldheim empfangen hat. Und Sie haben geschrieben, die Juden greifen jetzt auch den Papst an. Warum müssen Sie schreiben „die Juden“? Warum nicht „Professor so und so“. Darauf sagte Dichand: „Ich weiß wie ich eine Zeitung mache.“ Und ich sagte: „Sie verkaufen mich für 5 Schilling.“ Ich bin aufgestanden und gegangen. Dichand ist mir nachgegangen und hat gerufen: „Wenn mich jemand einen Antisemiten nennt, verklage ich ihn. Aber Sie sollen wissen, wer sich in Österreich verfolgt fühlt als Jude, dem steht meine Zeitung zur Verfügung.“ Soll ich sagen, er ist Antisemit? Er weiß, wie er eine Zeitung verkauft. Er hat Recht. Verstehst du? Dafür bin ich ein Außenseiter, dafür misch ich mich nicht ein. Ich will weder über Dichand noch über Leopold urteilen, ich kann nur sagen, von Bedauern hört man nichts.
NU: War das auch bei Göth so?

Eisenberger: Schlimmer noch. Als er gestorben war, hat mir sein Sohn gesagt, dass der Vater bis zum Tod mit seinen SS-Kameraden in enger Verbindung stand. Und er hat auch ihm auf seine vielen Fragen nie eine Antwort gegeben.
NU: Unglaublich, dass du in drei Jahren nichts von seiner Vergangenheit bemerkt hast.

Eisenberger: Es ist nicht unglaublich. Es ist unglaublich, dass so viele gut gesinnte Menschen es nicht zusammenbringen zu sagen, ich bedauere. Das liegt vielleicht an der Kleinbürgerlichkeit. Ich sag dir eines, in Israel werde ich immer wieder gefragt, wie ich in Österreich leben kann. Ich antworte darauf, jetzt lebe ich 53 Jahre dort und habe noch nie einen Österreicher getroffen, der Juden hasst, er liebt sie nicht, aber er liebt zum Beispiel auch die Türken nicht. Der Österreicher kann nicht hassen, er ist ein zufriedener Kleinbürger. Ich habe 40 Jahre Greißlerei gemacht und nie hat jemand gesagt, bei dem Juden kaufe ich nicht ein oder dem verkaufe ich nichts. Für meine Analyse der Österreicher brauchst du mir nicht zu zahlen. In meinem Alter ist es keine Kunst so zu sein wie ich bin. Ich mische mich nicht ein, aber ich bewundere alle, die es tun.

 
Jenö Eisenberger

Geboren wurde Jenö Eisenberger 1922 in Ungarn. Der Shoah auf abenteuerliche Weise entkommen, kämpfte er ab 1947 in Israels Unabhängigkeitskrieg. 1949 verschlug es ihn nach Wien, wo er als Gemischtwarenhändler am Wiener Naschmarkt seine kaufmännische Laufbahn begann. Später eröffnete er mit „Löwa“ die erste österreichische Supermarktkette. In den 70er Jahren erwachte sein Interesse für die Kunst und damit seine Leidenschaft zu sammeln. Im Laufe der Jahre kamen zahllose Objekte zusammen. Gemälde, Keramik, Glas, Silber, Möbel, Skulpturen, Bücher. An Epochen sind vertreten: Biedermeier, Historismus, Jugendstil, Wiener Werkstätte, Wiener phantastischer Realismus bis zum Wiener Aktionismus. Derzeit ist seine Sammlung in der Hermesvilla in Wien zu sehen.

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