Wir sollten ihnen glauben

Die Hamas war auf ihren Sieg nicht vorbereitet. Sie fühlt sich nicht wohl in ihrer Haut, die Macht alleine zu übernehmen. Die israelische Regierung wäre in jedem Fall gut beraten, die Kontakte zu Abu Mazen zu erneuern.
Von Jonas Zahler

Am Sederabend sollen wir unseren Kindern über den Auszug aus Ägypten so erzählen, als wären wir selbst dabei gewesen, als Betroffene sozusagen, fordert die Haggadah. Ich glaube, dasselbe gilt für die gesamte Zeitspanne der letzten paar tausend Jahre. Wenn wir das nicht genauso empfinden, können wir nicht verstehen, welche Bedeutung die Tatsache hat, dass wir heute nicht nur unsere eigene Religion, sondern wieder unser eigenes Land, unsere eigene Sprache, unsere eigene Armee und unseren eigenen Staatszirkus, sprich Parlament, haben. Ihr müsst verstehen, liebe Daheimgebliebenen, dass es richtig aufregend ist, endlich einmal einer Mehrheit anzugehören – die einzig brauchbare Definition des Begriffes Zionismus –, auch wenn man jetzt nicht mehr behaupten kann, dass der Polizist, der dir ein Strafmandat hinter die Windschutzscheibe steckt, ein Antisemit ist. Die wichtigste Lehre jedoch, die wir aus unserer Geschichte ziehen sollten, ist: Wenn einer sagt, er will dich umbringen, dann glaube ihm bitte. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass im Herzen der europäischen Kultur und christlichen Nächstenliebe nach Büchern und Synagogen auch Menschen verbrannt werden könnten. Wir konnten oder wollten nicht glauben, dass Menschen, ja Menschen wie du und ich, die ihre Frauen und Kinder und auch ihre Hunde liebten, morgens zur Arbeit gingen, abends Theater und Konzerte und sonntags die Kirche besuchten, zu so etwas fähig wären. Sogar nachdem man uns unsere Namen genommen und durch eintätowierte Nummern ersetzt hatte, wollten es viele noch immer nicht wahrhaben. Also bitte, wenn einer sagt, er will dich töten, dann glaube ihm, auch wenn er noch so klug und freundlich aussieht, eine Krawatte trägt oder einen lustigen, rot eingefärbten Bart hat, wie der Herr Abu Tir von der Hamas zum Beispiel. Seit Anfang dieses Jahres erleben wir eine Neuauflage der Purimstory. Persien heißt heute Iran und Haman – Hamas. Alles schon da gewesen! Der einzige Unterschied:Heute glauben wir ihnen – hoffentlich! Andererseits wäre es natürlich berührend, wenn auf dem Israelplatz in Wien, früher Heldenplatz, ein Mahnmal, vielleicht gleich neben dem Prinzen Eugen, zur Erinnerung an das fehlgeschlagene Experiment eines jüdischen Staates enthüllt werden würde, das wäre man uns wahrlich schuldig! Auf den zweiten Blick wäre das aber wahrscheinlich nur eine kurzfristige Erbauung, man würde bald nicht mehr über uns reden, also haben wir die letzten fünf Jahre der neuesten Intifada versucht, irgendwie zu überleben. Die islamistische Eroberung des palästinensischen Parlaments durch die Hamas ist jedoch eine ernste Angelegenheit. Wo religiöser Fanatismus das Sagen hat, kann weder Logik, Klugheit oder Taktik längerfristig etwas erreichen. Hätte aber Klugheit die heute ausweglos erscheinende Situation verhindern können? In Oslo hat Israel 1993 eine schwache PLO quasi gerettet, um die Hamas zu torpedieren.Hätte man in diesen Jahren nicht mit Arafat gesprochen, wäre man schon längst mit der Hamas konfrontiert worden. Man kann über die Gruppe um Abu Mazen (Mahmoud Abbas), den heutigen Präsidenten der Palästinenser, sagen, was man will, aber nicht, dass sie nicht bereit war, Israel anzuerkennen, dem Terrorismus abzuschwören und ein permanentes Abkommen zu erreichen. Vergessen wir nicht, Abu Mazen hat den Mut gehabt, seinen damaligen Präsidenten Arafat aufzufordern, die bewaffnete Intifada zu beenden, woraufhin er auch prompt als Premierminister gefeuert wurde. Vielleicht hätten wir diesen Mann stärken können, wissend, dass er alleine nicht die Macht hat, die Hamas zu bekämpfen. Hätte Sharon unseren einseitigen Abzug aus Gaza mit ihm koordiniert, so hätten wir Gaza nicht der Hamas, sondern Abu Mazen und seiner Fatah überlassen können, sicherlich das kleinere Übel. Ich bin überzeugt, dass unser nächster Premierminister Ehud Olmert heißen wird. Aber das Rennen ist offen und es sieht nicht so aus, als ob der Sieg der Hamas großen Einfluss auf den Ausgang der Wahlen in Israel haben würde. Dazu sind wir hierzulande schon zu lange mit Terror und Kriegen konfrontiert, und zwar unabhängig davon, wer gerade an der Regierung ist – in Krisensituationen hat Israel immer verstanden, dass alle im selben Boot sitzen. Der Luftschutzkeller macht uns alle gleich, fast wie der Eisenbahnwaggon nach Auschwitz seinerzeit. Wer auch immer die nächsten Wahlen in Israel gewinnt, wäre gut beraten, die Kontakte zu Abu Mazen zu erneuern, als letzten Versuch, die Übernahme auch des Westufers durch die Hamas zu verhindern. Wir sollten nicht übersehen, dass die Hamas auf ihren Sieg nicht vorbereitet war, sich gar nicht wohl in ihrer Haut fühlt, die Macht alleine zu übernehmen, eine palästinensische Einheitsregierung anstrebt. Sie brauchen einen “Schabbesgoi“, der mit der Welt spricht und weiter für sie Gelder kassiert, und das ist Abu Mazen. Paradoxerweise haben die Wahlen seine Position gestärkt. Es ist vielleicht die letzte Chance ein Abkommen mit den Palästinensern zu erreichen, bevor alles im Chaos untergeht und noch die nächsten Generationen den israelisch-palästinensischen Konflikt ausbaden müssen. Vergessen wir nicht, dass die Übernahme von Verantwortung schon so manche Terrororganisation verändert hat. Aber wie auch immer, wir werden auch die Hamas s.G.w. überleben. Sie wissen genau, dass sie uns nicht zerstören können, sie kennen uns ja schon eine ganze Weile. Aber wir sind es einfach müde, ständig um unsere Kinder zu zittern, wenn sie mal den Autobus nehmen. Wir haben vieles probiert, um uns vor Terror zu schützen. Bevor wir unsere Kinder auf die Universität schicken, werden sie an unsere Grenzen geschickt, zu Militäreinsätzen zu Lande, Sicherungsmaßnahmen zu Wasser und gezielten Aktionen aus der Luft, zu Häuserzerstörungen und Massenverhaftungen, sie stehen an Straßensperren und Grenzübergängen und sie bauen Sicherheitszäune. (Glaubt wirklich irgendjemand, dass wir das mögen?) Sie machen es ihnen schwer, uns zu erreichen, aber nicht unmöglich. Wir haben noch immer kein Rezept gegen Katjusha- und Kassamraketen gefunden, außer zurückzuschießen und manchmal treffen wir daneben. Also ist es hoch an der Zeit, uns etwas Wirksameres einfallen zu lassen, vielleicht etwas gänzlich Gewalt-loses, das Terroristen dazu bringt, nicht einmal daran zu denken, es zu versuchen! Wir könnten den Palästinensern den Strom abdrehen, oder keine Arbeiter mehr ins Land lassen, aber zu einer Zeit, in der wir eine internationale Koalition gegen die Hamas suchen, könnte eine „Kollektivstrafe“ zum Bumerang werden. Würden wir aber die Zollunion mit ihnen einseitig aufkündigen, die in den Parisprotokollen von 1994 festgelegt wurde, so würde das einen enormen finanziellen Schaden für sie bedeuten, von dem sie sich nicht so schnell erholen könnten. Vielleicht würde dann auch die Hamas erkennen, dass sie uns eher braucht, als wir sie. Was die Hamas sagt und was sie tut, ist nicht immer dasselbe, also warten wir doch erst einmal ab. Lassen wir sie den ersten Schritt tun. Wir sind auf alles vorbereitet, weil wir ja beschlossen haben, allen, die uns ankündigen, uns zu vernichten, ab jetzt zu glauben. Und es wären alle gut beraten, uns zu glauben! Wir werden trotz allem weitere Territorien zurückgeben, aus demographischen und moralischen Gründen, wir können und wollen nicht mehr über ein anderes Volk herrschen, wir wollen einen jüdischen Staat mit einer jüdischen Mehrheit. Aber der nächste Abzug darf nicht mehr einseitig sein! Diesmal wollen wir ein bisschen mehr Frieden und ein bisschen mehr Sicherheit dafür. (Dieser Artikel wurde noch vor den israelischen Parlamentswahlen geschrieben) Dr. Jonas Zahler wurde im Jahr 1949 in Wien geboren, ist verheiratet und hat drei Kinder (ein Sohn nach, eine Tochter in, eine Tochter vor der Armee). Er ist Facharzt für Innere Medizin und war Oberarzt am AKH Wien, ärztlicher Leiter des Maimonides Zentrums, Vorsitzender der Vereinigung Jüdischer Hochschüler und des Dachverbandes Jüdischer Jugendorganisationen sowie Mitglied des Kultusvorstandes und Vizepräsident der IKG, Delegierter zum Jüdischen und Zionistischen Weltkongress, und Kandidat der SPÖ zum Wiener Gemeinderat. 1994 ging er im Zuge der Alija nach Israel, derzeit ist er Leiter der Ambulanz für Präventivmedizin im Herzliya Medical Center und Vertrauensarzt der österreichischen Botschaft Tel Aviv.

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