Wir leben in einer anderen Nachbarschaft

Dan Ashbel, israelischer Botschafter in Wien, rät Europa zu einer konsequenteren Politik gegenüber der Hamas, solange sie das Existenzrecht Israels nicht anerkennt. Auch warnt er davor, die fanatische Position des iranischen Präsidenten Ahmadi-Nejad zu unterschätzen. Sein Urteil über das Österreich von heute fällt grundsätzlich positiv aus.
Von Danielle Spera und Peter Menasse (Text) und Peter Rigaud (Fotos)

NU:Sie waren während der Waldheim-Zeit schon einmal als Diplomat in Österreich tätig. Wie haben Sie Österreich damals erlebt und wie erleben Sie es heute, gibt es Unterschiede?

Ashbel: Bei meiner Ankunft vor einem Jahr hatte ich das Gefühl, dass sich gar nichts geändert hat. Ich gehe in den Eissalon auf der Tuchlauben und da ist die gleiche Dame wie damals. Auf den zweiten Blick orte ich aber genau das Gegenteil. Wien war in den 80er Jahren für einen israelischen Diplomaten eine Sackgasse. Es lag am Ende der westlichen Welt, die Grenzen rundherum waren für mich geschlossen. Abgesehen von der Waldheim-Affäre war Wien auch keine internationale Stadt, trotz UNO-City. Das hat sich deutlich geändert. Allein die wöchentliche Beilage der New York Times im STANDARD bedeutet etwas. Es scheint heute den Bedarf dafür zu geben. Auch wenn das die Wiener nicht gerne hören, meiner Meinung nach wirkt die Stadt viel wohlhabender. Das passt zwar nicht zum Wiener Raunzen, aber es ist eine Tatsache. Natürlich hat sich auch politisch viel geändert. Österreich ist heute EU-Mitglied und das hat einen Einfluss auf die Position des Landes. Auch durch die Ostöffnung hat sich für Österreich wirtschaftlich, politisch und kulturell enorm viel geändert.

NU: Es ist damals immer wieder auch zu antisemitischen Äußerungen gekommen.

Ashbel: Auch damals habe ich meine Wege gefunden, mir Gehör zu verschaffen, Gespräche zu führen. Ich glaube, der Unterschied zwischen mir und einem österreichischen Juden ist der, dass man mich mit Israel identifiziert. Wenn man mir gegenüber kritisch ist, steht man Israel kritisch gegenüber. Ich denke, es wird sich jeder hüten, in meiner Gegenwart antisemitische Äußerungen zu machen. Daher habe ich es weder damals klar und deutlich gespürt, noch heute. Aber ich glaube, dass heute im Gegensatz zu damals in einer renommierten österreichischen Tageszeitung kein Artikel erscheinen könnte, in dem ein israelischer Journalist, der einen bösen Artikel über Alois Mock geschrieben hat, als Brunnenvergifter bezeichnet wird, und die Kultusgemeinde aufgefordert wird, sich für den Artikel des israelischen Journalisten zu entschuldigen. Ich glaube auch, dass Erscheinungen wie Kampl und Gudenus damals anders behandelt worden wären als heute. Man hätte darüber Gras wachsen lassen. Ich habe aber doch das Gefühl, dass österreichische Politiker immer noch ein Problem damit haben, das Wort Jude in den Mund zu nehmen.

NU: Also ist die Situation heute besser?

Ashbel: Heute ist die Bereitschaft da, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinander zu setzen. Ich habe eine sehr rührende Erfahrung gemacht in einem Gymnasium im 4. Bezirk in Wien, das 150-Jahr-Feier hatte. Dort waren 1938 vierzig jüdische Kinder von der Schule gewiesen worden. Die ganze Schule hat zwei Jahre lang die Schicksale dieser Kinder und deren Familien erforscht. Die Feier war sehr emotional. Die Geschichten der Kinder wurden vorgetragen, dann die Namen der jüdischen Kinder über Lautsprecher verlesen. Je ein Kind trug das Namensschild eines Vertriebenen und ging nach dem Aufruf ganz still aus dem Saal. Da blieb bei den Anwesenden kein Auge trocken.

NU: Vor kurzem gab es aber doch einen „Heil“-Sager, für viel mediale Aufregung hat er nicht gesorgt…

Ashbel: Ja, ja, ich weiß, in den Tiroler Bergen sagt man ständig „Heil“. Simon Wiesenthal hat über Wald-heim gesagt hat, er sei ein österreichisches Problem. Ich glaube, dass Antisemitismus das Problem derjenigen ist, die daran erkrankt sind. Ich glaube nicht, dass so ein „Heil“-Ruf heute die jüdische Gemeinde in Österreich bedroht. Leider zeigt er, dass einige noch immer aus der Geschichte nichts gelernt haben und nicht zu einer offenen Gesellschaft bereit sind. Und zu meinem Bedauern kann man mit nationalistischen Parolen immer noch Menschen anfeuern. Das ist gefährlich für die Gesellschaft.

NU: Was kann man Ihrer Meinung nach tun?

Ashbel: Die einzelnen Erscheinungen muss man bekämpfen. Ich sehe in ihnen aber keine Lebensgefahr. Was mich aber zum Beispiel stört: Vor zwei Wochen war ich bei der Gedenkfeier in Mauthausen. Am Eingang gibt es ein Schild aus dem Jahr 1947 auf Deutsch und Russisch mit einer Auflistung der Opfer nach Nationen. Darauf ist keiner der 20.000 Juden erwähnt. Jetzt kann man den Opferorganisationen, die das 1947 verfasst haben, vielleicht keinen Vorwurf machen, aber dass man bis heute keine zusätzliche Tafel angebracht hat, die an die jüdischen Opfer erinnert, damit habe ich ein Problem.

NU: Die Stimmung in Österreich ist besonders Israel-kritisch. Woran liegt das?

Ashbel: Europäische Politiker er-warten von uns Dinge, die sie von unseren Nachbarn nicht erwarten. Das ist unfair. Ich war Koordinator in der Euro-Mittelmeerpartnerschaft, bevor ich nach Wien kam. Da war zum Beispiel ein Programm über die Rolle der Frau in der Wirtschaft geplant, das von Europa finanziert werden sollte. Einer der arabischen Botschafter protestierte und meinte, das Programm sei gegen seine Kultur. Die Europäer hätten sagen müssen, wenn ihr glaubt, es ist gegen eure Kultur, dann streichen wir das Programm und seine Finanzierung. Erledigt. Nein, die Europäer versuchten, das Programm zu fördern, obwohl sie wussten, dass die Führung in diesem Land alles tun würde, damit es scheitert. Da liegt das Problem. Bei Israel wird immer argumentiert, wir seien wie die Europäer. Das mag ja sein, aber wir leben in einer anderen Nachbarschaft. Wir haben weder die Slowakei, noch Tschechien noch Ungarn oder Deutschland als Nachbarn, wir haben andere Nachbarn.

NU: Werden Sie oft auf den Sperrwall angesprochen? Wie reagieren Sie darauf?

Ashbel: Die israelische Haltung ist klar, gerade Sharon war dagegen, die Gegner des Projekts haben argumentiert, man zerstöre damit den Traum von „Groß-Israel“. Sharon kam dann zu dem Schluss, dass man die israelische Bevölkerung vor Terroranschlägen schützen müsste, ohne zusätzlich Blut zu vergießen, und man ein Mittel wählen soll, das man auch wieder beseitigen kann.

NU: Das Weiterkommen ist aber doch schwierig, Israel und die Hamas als gewählte Palästinenserführung müssen in Zukunft in irgendeiner Form zusammenarbeiten. Wie kann das funktionieren?

Ashbel: Die Frage stellt sich nicht. Es ist das volle Recht der Palästinenser, die Regierung zu wählen, die sie wollen. Es ist aber zugleich in der internationalen Gesellschaft angebracht, dass jede Regierung die Verpflichtungen der vorherigen übernimmt. Wenn es in Österreich einen Regierungswechsel gibt, kann die neue Regierung nicht sagen, wir halten uns nicht an die bisherigen Abkommen. Es darf nicht akzeptiert werden, dass eine politische Einheit – in dem Fall die Palästinensische Autorität – das Recht ihres Nachbarn zu existieren nicht akzeptiert. Das Recht! Da muss ich Außenministerin Plassnik ein Kompliment machen, die immer vom „Existenzrecht Israels“ spricht, weil die Araber oft sagen: „die Existenz Israels“. Was heißt das, die Existenz eines anderen muss man ja anerkennen. Hamas will sich weder an das halten, was die vorherige Regierung ausgemacht hat, noch das Existenzrecht Israels anerkennen, noch will sie sich vom Terror distanzieren. Und dann werden wir gefragt, wie man mit dieser Regierung zurechtkommen kann.

NU: Kann die EU in diesem Konflikt überhaupt noch etwas bewegen?

Ashbel: Die EU hat die neue Palästinenserregierung aufgefordert, diese Bedingungen zu akzeptieren, dann wäre der Weg frei für Gespräche. Gleichzeitig verhalten sich aber einzelne Staaten seltsam. So hat Schweden einem Hamas-Minister ein Visum erteilt, wo doch die Hamas laut EU eine Terrororganisation ist. Hier schießt sich Europa selbst ins Bein. Entweder ich bekämpfe den Terror oder ich gebe ihm nach. Ähnlich ist es auch mit der Finanzierung. Jetzt wird immer wieder von einer humanitären Katastrophe gesprochen. Ich glaube, dass die Verantwortung für die humanitäre Situation in den Händen der Palästinenserregierung liegt, und wenn diese Regierung sagt, mir ist es egal, dass meine Leute hungern, so lange ich das Existenzrecht Israels nicht anerkenne, dann trägt sie die Verantwortung. Israel wird den Palästinensern helfen, ihre Grundbedürfnisse zu decken – Elektrizität, Wasser, medizinische Versorgung. Diese Gelder gehen direkt an die Spitäler oder Energieunternehmen und damit erfüllen wir unseren Teil, dass die humanitäre Katastrophe nicht passiert. Es ist wichtig, dass die inter-nationale Gemeinschaft den Palästinensern klar macht, ihr könnt wählen, wen ihr wollt, wir akzeptieren eure Wahl, aber Demokratie endet nicht damit, dass man den Stimmzettel in die Urne wirft, sondern ein demokratisches System hat auch Verpflichtungen.

NU: Die israelische Gesellschaft ist seit Jahren von Krieg und Terror bedroht, wie hat sich das auf die Menschen ausgewirkt? Gibt es eine Diskussion darüber, ob das die Menschen und ihren Umgang miteinander verändert?

Ashbel: Es hat sicher einen Einfluss auf die Gesellschaft, auf das Leben. Bevor ich hierher kam, hatte ich einen Posten, der mich öfter nach Europa brachte. Den Kontrast merkt man dadurch viel stärker. Das war ein komisches Gefühl. In Europa konnte ich ins Kaffeehaus gehen, ohne dass mich jemand befragt, oder in einen Supermarkt, ohne dass man meine Taschen durchsucht. Da ist mir aufgefallen, dass DAS eigentlich das normale Leben ist. Dass das auch seelische Auswirkungen hat, ist keine Frage. Um Euer normales Leben beneide ich Euch. Man geht sorglos auf der Straße, von einem Lokal zum anderen. Wenn man ein Sommerfest veranstaltet, ist die einzige Sorge, dass es regnen könnte – eine Sorge, die wir nicht haben. Mein Sohn ist während der zweiten Intifada einmal heimgekommen und hat gesagt: „Heute habe ich etwas Tolles erreicht. Ich bin mit dem Bus gefahren und sogar angekommen.“ Es ist eine Last, die wir alle gemeinsam tragen und die uns voll bewusst ist. Das wollen wir ändern.

NU: Der iranische Präsident fordert die Vernichtung Israels, es vergeht kein Tag, an dem er nicht dazu aufruft, erst vor kurzem im indonesischen Fernsehen, wo er auf viel Zustimmung gestoßen ist. Fühlen Sie sich persönlich durch seine Aussagen bedroht?

Ashbel: Von den Aussagen weniger, aber von dem, was dahinter steht, schon. Wir sind wie der Prophet, dem über viele Jahre nicht zugehört wird. Wir warnen schon lange vor der Gefahr, die besteht, und ich glaube, aus kurzfristigen wirtschaftlichen Gründen wollte man nicht hören. Was der Präsident des Iran von sich gibt, so furchtbar es sich anhört, die Worte sind nicht gefährlich. Gefährlich ist, dass er versucht, auf jedem Weg Atomwaffen zu bekommen, und dass er droht, sie anzuwenden. Natürlich wird der Europäer sagen, was geht mich das an? Im Großen und Ganzen werden die Israelis bedroht. Mit dem, was er heute zur Verfügung hat, kann er jedoch auch Europa erreichen. Was als viel wichtiger gesehen werden muss als die Aussagen gegenüber Israel und den Juden, ist, dass er sagt, was er glaubt. Er glaubt an die Wiederkehr des 12. Imam, der nach einem Krieg zwischen den Zivilisationen kommen soll. Die ganze Welt würde dann islamisch sein. Dahinter steht eine fanatische Haltung, die für das gesamte internationale System gefährlich ist. Wenn er zur Vernichtung Israels aufruft, sagen viele, der sei nicht ernst zu nehmen, er sei verrückt. Aber es endet nicht damit, dass er verrückt ist. Dahinter steht ein Plan, eine Überzeugung, die gefährlich ist, und die bekämpft werden muss, nicht nur von Israel.

NU: Man hat nicht den Eindruck, dass Teheran sich durch irgendwelche Drohungen mit diplomatischen Mitteln zu einem Einlenken bewegen lässt. Welche diplomatischen Hebel hat man noch in der Hand?

Ashbel: Seit der Zerstörung des zweiten Tempels ist die Kraft der Prophezeiung den Narren übergeben. Daher werde ich sehr vorsichtig damit sein. Der Iran und die Hamas zerfasern die so genannten roten Linien. Sie überschreiten die rote Linie nicht in einem Schritt, nein sie zerfasern sie. Die bequeme industrielle Welt. Bis man zu dem Punkt kommt, wo es zu spät ist. Man spielt auch in der Öffentlichkeit mit der Ölkrise, die vor dreißig Jahren stattgefunden hat. Wir denken immer noch an das Jahr 1973, als die Autobahnen leer waren, weil es kein Benzin gab. Aber der Iran kann nicht auf seinen Ölfässern sitzen bleiben. Das ist auch dem Iran bewusst. Hier muss es also eine konsequente Haltung geben. Und das ist das tatsächliche Problem. Sobald die iranische Führung spüren würde, dass diese Haltung ihr schaden würde, dann würde sie auch anders vorgehen. Es gab ja schon Beispiele, wo die EU ohne Zögern Sanktionen durchgeführt hat, denken Sie nur an die EU-Beitritts-bestrebungen von Serbien.

NU: Was sagen Sie jenen, die ein „Gleichgewicht des Schreckens“ fordern, also unter dem Motto, es solle nicht nur Israel über Atomwaffen verfügen sondern auch arabische Länder?

Ashbel: Es ist schon oft gesagt worden: Es wird nicht Israel das erste Land in dieser Region sein, das Atomwaffen einsetzt. Ein Iran, der Atomwaffen besitzt, ist eine Gefahr für die Region, für die direkten Nachbarn und weit über die Region hinaus. Ich glaube nicht, dass Kuwait, Bahrain, Saudi-Arabien oder Dubai daran interessiert sind, dass sie einen Iran mit Atomwaffen als Nachbarn haben.

NU: In Israel sind die Wahlen geschlagen, die Regierung steht, und man registriert viele „Neulinge“ auf Schlüsselposten. Als besonders gewagt gilt die Ernennung des linken Gewerkschafters und Arbeiterpartei-Chefs Amir Peretz zum Verteidigungsminister.

Ashbel: Es steht mir als Angestellter der Regierung nicht zu, politische Entscheidungen zu beurteilen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass es schon mehrere Verteidigungsminister in Israel gab, die nicht aus dem Militär kamen, weder Ben Gurion war General, noch Peres, oder Lavon, Begin. Das heißt, die Frage der Sicherheit und der Verteidigung ist eine politische Frage. Peretz wird wie seine Vorgänger für die Sicherheit Israels sorgen, nicht weniger als jeder andere.

NU: Der Präsident der IKG hat den Plan, 8.000 bis 10.000 Juden aus dem Osten in Wien anzusiedeln, damit die jüdische Gemeinde hier bestehen bleibt. Wie beurteilen Sie das?

Ashbel: Ich glaube, dass ist eine Sache, die innerhalb der Gemeinde besprochen werden muss. Als Vertreter des Staates Israel würde ich mich freuen, wenn die Juden nach Israel kommen. Wir sind schon über dem Punkt, wo die Mehrheit der Juden in Israel lebt. Ob man eine Gemeinde so ausbauen will, ist eine Frage von interner, offener Diskussion. Mit all den Problemen, die wir haben, sind wir offen für alle. Wenn meine Eltern sich dort angepasst haben, dann können das andere auch.

NU: Das heißt, wir sollen die Koffer packen und kommen?

Ashbel: Ihr seid herzlich willkommen.

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