Wie ich meinen Sohn unabsichtlich zum Grünzeug bekehrte

Ein begehrtes Kochbuch als Erfolg der Zusammenarbeit eines Israelis und eines Palästinensers. Die beiden Spitzenköche stellen die Küche ihrer Heimatstadt Jerusalem vor und erzählen bezaubernde Geschichten.
Von Petra Stuiber

Man sagt, der Charakter von Menschen zeige sich schon in frühester Jugend. Für meinen Viereinhalbjährigen kann ich das bestätigen. Der wusste schon als Baby genau zu artikulieren, was er will – und vor allem was er nicht will. Damals aß er wenigstens noch alles, was man ihm vorsetzte. Die Erkenntnis, dass Essbares auch anders als milchig schmecken konnte, wusste er zu schätzen. Mit dem Eintritt in den Kindergarten war es damit vorbei. Eines schlechten Tages deponierte er beim Abendessen am Familientisch kategorisch: „Nix Grünes.“ Daran hielt er sich fortan. Und wir waren damit beschäftigt, ihm wenigstens Spurenelemente von Gemüse unterzujubeln, die er mit schöner Regelmäßigkeit entdeckte, dingfest machte und in weitem Bogen wegwarf.

Bis Jerusalem kam. Er liebt Jerusalem, das zauberhafte Kochbuch von Yotam Ottolenghi und Sami Tamimi. Erstens gibt es darin so viele schöne Bilder mit wunderbaren Geschichten dazu. Er mag es, wenn ich ihm daraus vorlese. Zweitens sind die Speisen so schön und so appetitlich fotografiert, dass offenbar auch das viele Grün (Salate, Gurken, Jungspinat und natürlich Petersil in rauen Mengen) auf Kinderaugen attraktiv wirkt. Drittens hätte ich es wissen müssen: Mein Sohn hat einfach ein Faible für jüdische Küche. Das offenbarte sich schon, als wir mit dem damals 18 Monate jungen Knirps nach Tel Aviv fuhren und „Schalom“ eines der ersten Worte war, das er fehlerfrei aussprechen konnte (das zweite war „Oj“, und wir lernten es zu fürchten. Wenn er „Oj“ sagt, wissen wir, jetzt bricht gleich die Hölle los). Mit Begeisterung tauchte er am Strand von Tel Aviv Gurkenstücke in Hummus, rührte im Auberginenpüree und verschlang Falafel.

Seither wird, wann immer Zeit ist, nach Jerusalem gekocht. Er darf aussuchen, es sei denn, er deutet auf Lamm – da spiele ich nicht mehr mit. Jerusalem ist aber auch zu schön, und noch nie ist etwas komplett misslungen. Zugegeben, die Vorbereitung ist ein wenig aufwändig – allein wenn man all das frische Obst und Gemüse und die wunderbaren Gewürze haben möchte, die jeden Salat zur Geschmacksexplosion werden lassen, sollte man sich auf einen größeren Markt begeben und für den Einkauf Zeit nehmen.

Zu schön, um wahr zu sein
„Zeit nehmen“ ist überhaupt das Stichwort für dieses Kochbuch – und es verdient dies auch. Allein die Entstehungsgeschichte ist fast zu schön, um wahr zu sein. Yotam Ottolenghi und Sami Tamimi wuchsen beide in Jerusalem auf – Ersterer im jüdischen, Letzterer im arabischen Teil der Stadt. Beide gingen nach London, um Spitzenköche zu werden – was beiden gelang. Erst dort lernten sie einander kennen und schätzen. Eines Abends saßen sie, nach getanem Spitzenkoch-Tagewerk, beisammen und erzählten sich Geschichten aus ihrer Kindheit. Dabei kamen sie auf all die wunderbaren Gerüche und Gerichte zu sprechen, die ihre Mamas, Omas, Tanten zubereitet hatten – und schon war die Idee eines gemeinsamen Kochbuches geboren. Sie suchten und fanden Gemeinsamkeiten – freilich nicht auf den ersten Blick, wie sie schon in der Einleitung schreiben. Das Völkergemisch in Jerusalem sei eben kein „Gemisch“ im klassischen Sinne – man müsse erst einen Schritt zurücktreten, um es zu erkennen. Etwa im wunderbar klein geschnittenen Salat aus Tomaten und Gurken mit ganz viel Petersil, der je nach geografischer Lage „israelischer Salat“ oder „arabischer Salat“ heiße. Und sie beschreiben auch die „Hummuskriege“, die in Jerusalem – gottlob nur verbal – ausgefochten werden. Nicht nur, wer die Paste aus pürierten Kichererbsen und Sesampaste erfunden hat, ist ein Dauerthema – sondern auch, wo es das beste Hummus gibt und wie man es zubereitet. Das Lieblingsrezept der beiden (immerhin konnten sich wenigstens Ottolenghi und Tamimi auf eines einigen) findet sich natürlich im Buch.

126 Rezepte stellt Jerusalem vor, vom Linsenreis mit Joghurt über Hummus Kawarma (mit Lammstücken!) zu den Wachteln mit Korinthen, Marillen und Tamarinde, bis hin zu Fleischbällchen mit dicken Bohnen und Fischfleischlaberln mit Tomatensauce (leider heißen sie im bundesdeutsch übersetzten Buch „Frikadellen“). Die Gerichte sind zum Teil sehr einfach, herzhaft und „Wohlfühlküche“. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie Samis Mutter einst vor dem Strandausflug den großen Topf mit Linsenreis in den Picknickkorb packte, man steht quasi dabei, wenn Yotams Mama Ruth ihre berühmten roten Paprikaschoten mit Basmatireis, Zwiebel, Lamm und tausenden Kräutern füllt.

Einige Gerichte sind ziemlich aufwändig, etwa der Schokoladen-Babka (überhaupt, die Süßspeisen!), manche recht einfach und schnell (Blätterteigkuchen mit Paprika und Spiegelei), alle bisher probierten ausnahmslos köstlich.

Jerusalem punktet nicht nur durch tolle Rezepte und schöne Bilder – die Geschichten über und um diese Stadt sind es, die einen beim Schmökern einnehmen. Es ist den beiden anzurechnen, dass sie nicht versuchen, mithilfe kulinarischer Zaubergeschichten eine „heile Welt“ vorzugaukeln. Sie schreiben auch von der wechselseitigen Isolierung der Bevölkerungsgruppen, von Vorurteilen und dem ständig präsenten Gespenst des Krieges. Natürlich mutet es naiv an, wenn zwei Köche – mögen sie in ihrem Fach auch zur Weltspitze zählen – hoffen, die gemeinsame Liebe zu Hummus aller Art könnte die Völker im Nahen Osten ganz grundsätzlich einen. Aber schön wäre es.

In unserer Familie haben Ottolenghi/ Tamimi jedenfalls schon einmal friedensstiftend gewirkt. Als ich nach einem anstrengenden Tag voller Aufregung, Aufbegehren und Trotz Brathuhn mit Clementinen auf den Tisch stellte und dazu noch eine Schüssel mit Röstkartoffeln, Karamell und Dörrzwetschgen, sagte der Viereinhalbjährige versöhnlich: „Mami, da hast du einmal gut gekocht.“ Das ist doch ein Anfang.

Yotam Ottolenghi und Sami Tamimi
Jerusalem. Das Kochbuch
Dorling Kindersley Verlag, München 2013
320 Seiten
EUR 25,70

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