Widerstand in Hietzing? Widerstand in Hietzing!

Ein neues Buch, erschienen in der Edition Volkshochschule, beleuchtet die Geschichte des österreichischen Widerstands am exemplarischen Beispiel eines ganz und gar „bürgerlichen“ Wiener Gemeindebezirks.
Von Petra Stuiber

Der Autor selbst nimmt potentiellen Zweiflern gleich im ersten Kapitel den Wind aus den Segeln: „Widerstand in Hietzing, gab es das überhaupt?“, sei er oft staunend gefragt worden, schreibt Michael Kraßnitzer, Verfasser des gleichnamigen historischen Buches über den 13. Wiener Gemeindebezirk und hauptberuflich freier Journalist. Hietzing gilt schließlich nicht ohne Grund als bürgerlicher Bezirk – und somit als „Ort, an dem nicht Freiheitskämpfer, sondern höchstens ,Hietzinger Regimenter‘ aufmarschieren“ (Kraßnitzer). Noch dazu, wo Engelbert Dollfuß, Schöpfer des Ständestaats – und damit Galionsfigur des vom bürgerlichen Lager getragenen Austrofaschismus – am Hietzinger Friedhof begraben liegt. Doch der Autor kam bei seinen Recherchen bald dahinter, dass mehr Widerstandsgeist in Hietzing steckt, als man auf den ersten Blick vermuten könnte.

Zunächst einmal bestand die ehemalige, idyllische Vorstadt der k.u.k. Monarchie nie nur aus eleganten bis protzigen Villen der Reichen und Neureichen, die die Nähe zum Kaiser und zum Schönbrunner Hof suchten. Auch in Hietzing gab es traditionelle Arbeiterviertel, und Widerstand gegen Faschismus und Nazi-Herrschaft war keineswegs nur Sache der „Linken“ – auch das ist dem Autor wichtig, gleich eingangs zu betonen. 1938 umfasste der 13. Bezirk nicht nur die ehemaligen Wiener Vorstädte Hietzing, Speising, Lainz, Ober- und Unter St. Veit, Hacking, Friedensstadt, Teile von Mauer sowie Schloss und Park Schönbrunn, sondern auch Penzing, den heutigen 14. Bezirk. Es wäre daher kleinlich, meint Kraßnitzer, die angeführten Widerstandskämpfer nur für Hietzing zu vereinnahmen – genauso gut könnte das Buch also „Widerstand in Penzing“ heißen, räumt er ein.

Neben allgemeinen Kapiteln, die das Buch in die Bereiche „sozialdemokratischer Widerstand“, „kommunistischer Widerstand“, „katholisch-konservativer“, „militärischer“ und „individueller Widerstand“ gliedern, beschreibt Kraßnitzer im Detail die Biographien von 3 Hietzingerinnen und 19 Hietzingern, die gegen Austrofaschismus und Nationalsozialismus ihr Leben einsetzten. Darunter so prominente Namen wie Käthe Leichter, Karl Münichreiter, Anton Proksch, Christian Broda und Karl Biedermann. Aber Kraßnitzer bemühte sich auch, weniger – oder öffentlich gar nicht – bekannte Menschen, die Widerstand leisteten, zumindest zu erwähnen. Menschen, denen keine Gedenktafel, kein Straßenname und schon gar kein Denkmal gesetzt wurde.

Menschen wie „die deutschblütige Herta Ehrenreich, Wien XIII, Hummelgasse 20 wh., die am 2.10.1942 festgenommen wurde. Sie hat die Jüdin Margarethe Elvira Sara Wertheimer in ihrer Wohnung versteckt gehalten. Gegen die Ehrenreich wird Schutzhaftantrag gestellt. Die Jüdin Wertheimer wurde nach dem Osten evakuiert“, wie es im Tagesbericht Nummer 5 der Gestapo vom 13. bis 15.10.1942 lapidar heißt.

Das ist das Verdienst Kraßnitzers: Dass er sich nicht nur an prominente Namen hielt, deren Tun ohnehin von der Zeitgeschichte leidlich erforscht ist, sondern dass er sich bemühte, hinter die Kulissen zu blicken und auch die „kleinen“, die scheinbar historisch weniger bedeutsamen Geschehnisse einzufangen. Dabei gelang es ihm gut, die historische Lebenswirklichkeit eines Bezirks, das alltägliche Grauen in Zeiten der Unterdrückung einigermaßen einzufangen.

Sein Bemühen um größtmögliche Objektivität Opfern wie Tätern, Widerstandskämpfern wie Mitläufern gegenüber lässt Kraßnitzer eine provokante These aufstellen: Heute geschehe den Widerstandskämpfern gegen den Faschismus genauso großes Unrecht wie unmittelbar nach der Nazizeit, als sie von offizieller Seite nur dazu gebraucht worden seien, die These von Österreich als „erstem Opfer Hitlerdeutschlands“ zu untermauern. Heute sei das anders – und genauso falsch, schreibt Kraßnitzer: „Heute werden sie von selbst ernannten ,Widerstandskämpfern‘ – das bedeutet: Gegnern der ÖVP-FPÖ-Regierungskoalition – als ,keineswegs frei von antisemitischen Ressentiments … geschweige denn demokratisch gesinnt‘ diskreditiert, weil sie nicht zur gängigen ,Täterthese‘ passen …“ Konkret bezieht sich Kraßnitzer dabei auf ein Zitat von Doron Rabinovici in „Ein österreichisches Paradoxon“. Scharf wendet sich Kraßnitzer gegen das „Zerrbild eines damals wie heute durch und durch faschistischen Österreich“.

Um diese These zu untermauern, führt er eine Reihe von Fakten und Zahlen an: Rein völkerrechtlich sei Österreich tatsächlich das erste Opfer Hitlerdeutschlands gewesen, denn mit den 105.000 Soldaten, die am 12. März 1938 in Österreich einmarschiert seien, seien auch 16.000 deutsche Sicherheitsbeamte gekommen. In den ersten sechs Wochen wurden 50.000 bis 70.000 Österreicher zumindest kurzfristig verhaftet. Das Praterstadion, Symbol der damaligen Fußballgroßmacht Österreich, wurde umgehend von deutschen Truppen besetzt. Kraßnitzers Schluss daraus: „Das war keine friedliche Vereinigung zweier Länder, sondern eine Okkupation. Kein Anschluss, sondern ein ,Anschluss‘.“ Das stelle Österreich jedoch keinen Persilschein aus – immerhin gab es in der „Ostmark“ 700.000 eingeschriebene NSDAP-Mitglieder, Österreicher waren an vorderster Front an den grauenvollsten Verbrechen beteiligt.

Aber, so Kraßnitzer, „es gab auch das andere Österreich“: Rund 100.000 Menschen, die von 1938 bis 1945 aus politischen Gründen länger als drei Monate verhaftet waren, 2.700 Menschen, die als aktive Widerstandskämpfer zum Tode verurteilt und hingerichtet, 16.500 Menschen, die in Konzentrationslagern ermordet, 16.100, die in der Gestapo-Haft getötet wurden. Und er schreibt weiters: „Gerne wird vergessen, dass Österreich das erste Land Europas war, in dem sich ein Teil der Bevölkerung dem Faschismus mit Waffengewalt entgegenstellte.“

Also – um wieder nach Hietzing, zum eigentlichen Fokus seines Buches, zurückzukommen – etwa auch jene Schutzbündler, die am Goldmarkplatz in Ober St. Veit gegen das Dollfuß-Regime kämpften. Wie der Schuhmacher Karl Münichreiter, den das Dollfuß-Regime unmittelbar nach den Februarkämpfen standrechtlich erschießen ließ. Münichreiter erlangte in der Folge unter den illegalen Sozialdemokraten so etwas wie Kultstatus, er sei zu einer „Ikone des Widerstands“ geworden, durchaus vergleichbar dem berühmten Bild Che Guevaras, schreibt Kraßnitzer. Die Umstände von Münichreiters Hinrichtung waren denn auch besonders dramatisch. Bereits von mehreren Schüssen schwer verwundet, wurde Münichreiter zur Hinrichtung geschleift – an ihm, der schon in der Vergangenheit „auffällig“ geworden war (er hatte in seinem Schrebergarten Schutzbund-Waffen versteckt), sollte ein besonders abschreckendes Exempel statuiert werden.

Berührend ist auch die Geschichte seiner Frau Leopoldine, die zunächst gar nicht begriff, was mit ihrem Mann geschah, und die sich nach Münichreiters Ermordung der Vereinnahmung durch das Dollfuß-Regime konsequent widersetzte – obwohl sie in bitterer Armut lebte und sogar Alwine Dollfuß persönlich bei ihr vorsprach, um ihr Hilfe aus ihrem Sozialfonds anzubieten.

Ausführlich widmet sich das Buch auch dem kommunistischen Widerstand, der über die Jahre des Faschismus hinweg wohl am längsten und ausdauerndsten gegen Dollfuß-Regime und Naziterror kämpfte. Prominentester Hietzinger Proponent: Christian Broda, langjähriger SPÖ-Justizminister, der in die Nachkriegsgeschichte als großer Reformer des Familienund Strafrechts einging. Derselbe „Johann Christian Broda, Dr. phil. und Jurist“, wurde am 1. Juni 1943 von der Gestapo wegen „Verdachts der kommunistischen Betätigung“ festgenommen und zu drei Monaten Haft verurteilt. Die Gestapo lag richtig: In seiner Jugend war Broda tatsächlich Kommunist – er war sogar ein radikaler kommunistischer Dissident, was damals unter den Sammelbegriff „Trotzkist“ fiel. Er kämpfte gegen Austrofaschismus und leistete, obwohl zur deutschen Wehrmacht eingezogen, geheimen Widerstand gegen die Nazis. Seine politische Überzeugung machte ihn dennoch nicht blind gegen die Verbrechen des Stalinismus. Er bezog Stellung in der Zeitschrift „Ziel und Weg“ – und wurde umgehend aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen.

Auch der Offizier Karl Biedermann findet sich in „Widerstand in Hietzing“ wieder. Selbst diejenigen, denen der Name nichts sagt – sein Foto kennen sie bestimmt: Im Hintergrund zerschossene Häuser, im Vordergrund ein Gehenkter in Wehrmachtsuniform, ein Schild um den Hals „Ich habe mit den Bolschewiken paktiert!“ In österreichischen Schulbüchern wurde dieses Bild millionenfach abgedruckt – als Sinnbild auch des militärischen Widerstands gegen den Naziterror. Biedermann hatte die kampflose Übergabe Wiens an die Rote Armee vorbereitet und damit eine Größe gezeigt, die zehntausende andere Österreicher nicht hatten. Im Februar 1934 hatte er noch im Karl-Marx-Hof aufseiten der Regierungstruppen Schutzbündler und Sozialdemokraten erschossen. In der Nazizeit entwickelte er sich dann vom „Stiefellecker, wenn nicht überzeugten Anhänger des Nationalsozialismus“ (Kraßnitzer) zum Aufständischen, der seinen Mut mit dem Leben bezahlte.

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