Wer die Polterer integriert, zahlt einen Preis

Von Heide Schmidt

„Wussten Sie, dass es nur unter der SPÖ in Wien möglich ist, dass schwarzafrikanische Asylbewerber mit Designeranzug und Luxushandy ihren Drogengeschäften ungestört nachgehen können?“, „Wussten Sie, dass in den Lesebüchern unseren Wiener Kindern bereits seitenweise türkische und serbokroatische Texte aufgezwungen werden?“ Zwölf Fragen dieses Niveaus zierten die Postwurfsendung und das Flugblatt, mit dem im Oktober 2000 zur großen Schlussveranstaltung im Wahlkampf der Freiheitlichen (FPÖ) in die Wiener Innenstadt eingeladen wurde. Der Ausgang der Wahl ist über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt. Die nahezu 27 Prozent der Stimmen sollten die Eintrittskarte der FPÖ in die Regierung werden. Jörg Haider wurde zwar weder Vizekanzler noch Regierungsmitglied, aber er unterschrieb das Koalitionsabkommen, dem auf Verlangen des Bundespräsidenten eine in der Geschichte der Republik einmalige Präambel vorausgestellt wurde, die für Demokraten selbstverständliche Bekenntnisse zu einem europäischen Verfassungs- und Rechtsstaat auflistete. Die Miene des Bundespräsidenten bei der Vereidigung der Regierung wurde legendär.

Nun hat Christoph Blocher in der Schweiz seine 27 Prozent. Der Weg zum Wahlerfolg wurde mit ähnlichen Mitteln erzielt, sein Zugang zur Politik und viele seiner Positionen gleichen dem freiheitlichen Strickmuster, auch wenn er selbst mit Haider nur wenig gemein hat. In der ausgebrochenen Ratlosigkeit beginnt sich eine These wie eine ansteckende Krankheit auszubreiten: Nehmt Blocher in Regierungsverantwortung, und seine Partei wird ebenso dem Niedergang anheim fallen, wie das die FPÖ inzwischen tut. Seit ihrer Regierungsverantwortung verliert diese nämlich nicht nur durchgängig bei sämtlichen Wahlgängen, sondern sie wurde bei der Nationalratswahl 2002 nahezu auf ein Drittel reduziert (das hinderte die ÖVP allerdings nicht daran, mit der nunmehrigen 10-Prozent-Partei die Regierungsarbeit fortzusetzen). Dazu kommt der innere Zerstörungsprozess der Partei, der von manchen ebenso mit der Regierungsbeteiligung begründet wird.

Fazit: Bundeskanzler Schüssel sei der gewiefte Drachentöter, während vor allem der sozialdemokratische Kanzler Vranitzky durch seine konsequente Gegnerschaft zu Haider diesen politisch gemästet habe.

Mir scheint diese Folgerung nicht nur zu kurz gegriffen, sie verschweigt auch den Preis, den die Bürgerinnen und Bürger und mit ihnen die Demokratie für ein solches Projekt zahlen. Ich habe zu jener Minderheit in Österreich gehört, die die Maßnahmen der anderen 14 EU-Mitglieder (die Regierung taufte sie clever „Sanktionen“) als grundsätzlich richtig empfunden hat. Die Argumentation wurde einem allerdings nicht leicht gemacht: Ich konnte weder die rechtsstaatlichen Defizite im europäischen Prozedere gutheißen noch die gravierende strategische Lücke, kein Ausstiegsszenario vorzusehen. Vor allem Letzteres hat sich tatsächlich eher als Bumerang erwiesen, weil die Aufhebung, die sieben Monate später aufgrund des Berichts der Weisen erfolgte, von der Koalition als – nachträgliche – Reinwaschung gefeiert wurde. Dies war weder die Absicht des Berichtes gewesen, noch war ein solcher Schluss gerechtfertigt, aber die Öffentlichkeitsarbeit funktionierte. In diesen sieben Monaten lernte und übernahm die ÖVP die Kommunikationsstrategie der FPÖ: Die Gesellschaft wird in zwei Gruppen geteilt – wir und die anderen. „Wir“ ist positiv belegt, „die anderen“ negativ, „wir“ sind die Opfer, „die anderen“ die Täter. Das Beispiel der Maßnahmen der EU-14 war ein wunderbares Exerzierfeld, auf dem auch die „Vereinnahmung“ als weiterer wichtiger Kommunikationsbaustein eingesetzt werden konnte. Regierung und Österreich wurden gleichgesetzt und damit der Unterschied zwischen Opposition und Regierung, ein Kennzeichen jeder Demokratie, aufgehoben. Alle wurden in die Verteidigungspflicht genommen, „Schulterschluss“ war das geflügelte Wort, wer nicht mitmachte, galt als Nestbeschmutzer.

Nach diesem Muster wird seither gearbeitet. Öffentliche Angriffe auf Kontrollinstanzen wurden mit persönlichen Verunglimpfungen unterfüttert, laufende Ermittlungen gegen hohe freiheitliche Funktionäre mit unverhohlenen öffentlichen Drohungen quittiert, die Mitarbeiter des ORF sahen sich aufgrund des „unerträglichen Ausmaßes“ des Drucks der Regierungsparteien bis hin zu „persönlichen Einschüchterungsversuchen von Redakteuren“ genötigt, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, kritischen Äußerungen von Wissenschafterinnen, Journalisten und anderen wurde mit Klagen begegnet. Antisemitische und fremdenfeindliche Witzchen fanden nicht mehr nur in der Hinterstube, sondern an Rednerpulten einer Regierungspartei statt. Die ÖVP erwies sich dabei nicht als Korrektiv, der Bundeskanzler schwieg beharrlich und erwarb sich den Beinamen Schweigekanzler.

Der Stellenwert rechtsstaatlicher Spielregeln bis hin zur Verfassung wurde aufgeweicht. Wer hat nun wen in die Schranken gewiesen? Die FPÖ versucht das, was auch von Blocher erwartbar ist: Sie will Opposition und Regierung zugleich sein. Weil sie an Glaubwürdigkeit verliert, verliert sie Stimmen. Das ist eine Seite. Aber als Koalitionspartner kann sie auch etwas durchsetzen. Neben einschlägiger Personalpolitik, deren Nachhaltigkeit nicht zu unterschätzen ist, muss sie dies naturgemäß bei den mit ihr assoziierten Themen und mit ihr vertrauten Mitteln tun, um erkennbar zu bleiben. Es liegt auf der Hand, dass das auf das rechtsstaatliche und demokratische Niveau drückt. Und das ist erst der eigentliche Wahlsieg.

 

Dieser Kommentar ist am 26. 10. 2003 in der Sonntagsausgabe der Neuen Zürcher Zeitung erschienen.

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