Wenn Ossi zu Oskar werden soll

Der neue Präsident der Kultusgemeinde muss in die großen Fußstapfen Ariel Muzicants treten. Bislang fiel ihm das nicht immer leicht. Ein Porträt.
Von Petra Stuiber und Barbara Tóth

Mit Ariel Muzicant hatten es Journalisten einfach. Man rief ihn an und bekam prompt markige Aussagen geliefert, oft provokant, aber immer am Punkt und mit Leidenschaft vorgetragen. Sein Nachfolger Oskar Deutsch, seit drei Monaten im Amt und derzeit im Wahlkampf um seine Wiederwahl bei den Kultusgemeinderatswahlen im Herbst, ist anders. Als NU ihn um einen Interviewtermin bat, zögerte er. Nach einer Woche schrieb er zurück, dass er für einen schriftlichen Frage-Antwort- Reigen zur Verfügung stünde (das Ergebnis lesen Sie auf Seite 14, 15). Diese Zurückhaltung nach außen mag man noch verstehen, aber auch innerhalb der Kultusgemeinde macht sich Deutsch rar. Der ersten echten Diskussionsveranstaltung zur IKG-Wahl der zionistischen Frauenorganisation WIZO, bei der sechs der acht antretenden Fraktionen ihre Spitzenvertreter schickten, blieb er fern (siehe Seite 9).

Kein Wunder, dass Deutsch im Vergleich zu Muzicant derzeit etwas blass wirkt – abgesehen vielleicht von seiner Verbal-Ohrfeige für Verteidigungsminister Darabos. Aber dazu später. Obwohl der 49-jährige Deutsch seit 1989 in der Kultusgemeinde aktiv ist, seit 1999 Vizepräsident ist und die letzten Jahre eng mit seinem Vorgänger zusammengearbeitet hatte, beginnt er gerade erst, so etwas wie eine öffentliche Figur zu werden. Und auch das eher widerwillig. Ist der zurückhaltende Sprössling der wohlhabenden Alvorada- Kaffeedynastie der rechte Mann zur rechten Zeit?

Wenn es nach Deutsch geht, sehr wohl. War Muzicant der perfekte „Außenminister“ der Gemeinde in der schwierigen Phase der schwarzblauen Regierung, in der die Restitution, die jüdischen Friedhöfe und die FPÖ-Attacken zu bewältigen waren, sieht Deutsch sich als Konsolidierer. „Jetzt müssen wir wieder mehr nach innen arbeiten. Es gilt, die Serviceleistungen der IKG zu verbessern, Zuwanderung geregelt zu ermöglichen. Aber Sie können beruhigt sein: Bei politischem Bedarf und bei Auftreten von Antisemitismus und Rassismus werde ich mich selbstredend, wenn nötig mit aller Schärfe zu Wort melden“, schrieb er NU.

Mit aller Schärfe meldete sich Deutsch jedenfalls erst einmal zu Wort, als Österreichs Verteidigungsminister Norbert Darabos Israels rechtsextremen Außenminister Avigdor Lieberman als „unerträglich“ bezeichnete. Darabos habe wohl ein Problem mit „lebenden Juden“, verlautbarte Deutsch. Eine Formulierung, die ihm heftige Kritik einbrachte und auch des Antisemitismus unverdächtigen Personen, wie etwa „Standard-Autor“ Hans Rauscher, zu viel war: „Es wäre besser, argumentativ damit umzugehen, als mit bedingten Reflexen (‚moderner Antisemitismus‘) loszuschlagen.“ Die überhitze Reaktion Deutschs nährte das bereits bestehende Vorurteil, dass er weit weniger Talent fürs Politische habe als Muzicant. Einige hörten in Deutschs Wortwahl auch die wohlbekannten Formulierungen seines Vorgängers durch, wenn auch etwas schemenhaft und ohne Gespür für die öffentliche Wirkung angewendet.

Das ist sowieso das Problem des Oskar Deutsch: Seine Kritiker meinen, er sei Muzicants verlängerter Arm, weil er dessen Politik (Förderung der Zuwanderung, Umbenennung von Straßen mit belasteten Namen – etwa Lueger-Ring, Ablehnung liberaler Elemente wie Or Chadasch) fortführe. Andererseits hat sich Deutsch scharf abgegrenzt von Aussagen wie jener Muzicants, die Gemeinde sei ein „Flohzirkus“ – so etwas würde ihm nicht in den Sinn kommen, beteuerte er. Und er führt gerne an, dass er lieber im Team arbeite als sein Vorgänger, der ein bekennender Kontrollmensch ist.

Aus dem Schatten großer Figuren treten, das dürfte überhaupt Deutschs Lebensthema sein. In der Kultusgemeinde muss er sich von seinem Vorgänger Muzicant abgrenzen, als Privatmann kam er lange nicht über den Status des Erben eines Millionenvermögens hinaus, erwirtschaftet von seiner Vorfahrengeneration. Seinem Onkel Desiderius Deutsch, genannt „Dudi“, eilte in der Geschäftswelt ein legendärer Ruf voraus. Der Cadillac-Fahrer, der keine Scheu hatte, seinen persönlichen Reichtum auch zu zeigen, war ein gefürchteter Verhandler. „Er zog dich regelrecht so lange über den Tisch, bis du nur mehr in der Unterhose da saßt“, erinnert sich ein ehemaliger Geschäftspartner heute noch mit Schaudern. Aber: „Was mit Handschlag ausgemacht wurde, hat immer hundertprozentig gehalten.“ Desiderius wird ein untrügliches Gespür für Geschäfte nachgesagt, ein Talent, das er schon als ganz junger Mann zu nutzen wusste. Als der Sprössling einer Kaffeeröster- Dynastie in den letzten Kriegstagen 1945 aus seiner Heimat Rumänien gen Westen flüchtete, erfuhr er von einem scheinbar „herrenlosen“ Eisenbahnwaggon voll mit Kaffeebohnen, der irgendwo in Europa unterwegs sei. Der junge Mann nutzte seine Verbindungen, setzte alle Hebel in Bewegung – und war nach einigen Wochen tatsächlich der Besitzer der Kaffeebohnen-Ladung, die er geschickt auf ein totes Gleis in Salzburg umgeleitet hatte. Der Waggon voller Bohnen war in den Tagen des totalen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Zusammenbruchs des Naziregimes Goldes wert – und begründete den Aufstieg der Firma Alvorada Kaffee KG, benannt nach dem brasilianischen Sonnenaufgang. Als solcher muss dem jungen Desiderius der unverhoffte Kaffeebohnen-Segen erschienen sein, denn fortan ging es bergauf für die Kaffeerösterei in Vösendorf, die Deutsch gemeinsam mit Bruder Emmerich und Ignaz Goldstein aufbaute. Bis zu fünf Milliarden Schilling pro Jahr setzte Alvorada bis Anfang der 1990er-Jahre um, Deutsch und Goldstein scheffelten mit dem Röstfrisch- Aroma, lange vor Eduscho, eines der größten privaten Vermögen Österreichs.

Kein Wunder also, dass angesichts einer derart schillernden Gründerpersönlichkeit die Junior-Erben lange Zeit in der Öffentlichkeit ohne Profil blieben. Als der Patriarch Mitte der 1990er-Jahre starb, vermachte er die Alvorada KG zunächst seiner Tochter Diana Deutsch, die zwar Betriebswirtschaft studiert hatte, den drohenden wirtschaftlichen Niedergang der Dynastie angesichts billigerer Konkurrenz aus den ehemaligen Ostländern aber nicht stoppen konnte. Dazu kamen, hinter verschlossenen Türen, offenbar gar nicht zimperliche Streitigkeiten um den Chefsessel im Unternehmen, bis Oskar Deutsch und Robert Goldstein Kusine Diana auszahlten. Mittlerweile ist das Unternehmen konsolidiert, man handelt weltweit mit Rohkaffee und röstet nach wie vor auch selbst. Das Tagesgeschäft wird von einem langjährigen Vertrauten geführt. Oskar hatte also von je her die Zeit, seinem liebsten Hobby, der Kultusgemeinde zu frönen.

Obwohl er seit langem aktiv in der Gemeinde ist, ist über den Privatmann Deutsch kaum etwas bekannt. Als junger Mann liebte er schnelle Autos, Sportveranstaltungen und genoss, so erzählt man sich in Wien, das „dolce vita“. Heute attestieren sogar seine Kritiker Oskar Deutsch, dass er ein hingebungsvoller und solider Familienvater seiner fünf Kinder (drei davon angeheiratet) sei – und dass er obendrein nach wie vor eine geradezu symbiotische Beziehung zu seiner Mutter pflege. Von ihr und von seiner Frau beeinflusst, lebt Deutsch ein sehr religiöses Leben – „er ist wohl der religiöseste Präsident, den wir je hatten“, sagt ein Gemeindemitglied. Die Befürchtung einiger, Deutsch werde die Gemeinde dann auch politisch in die konservativ-religiöse Ecke manövrieren, teilt dieser Mann nicht: Deutsch habe „nichts Missionarisches“ an sich. Sollte er doch religiöses Sendungsbewusstsein in sich verspüren, wäre er wohl vorerst gut beraten, es nicht zu zeigen: Atid, die Partei, für die er im November kandidiert, setzt, wie schon bei Vorgänger Ariel Muzicant, auf Säkularität.

Als IKG-Vizepräsident erarbeitete er sich den Ruf eines Mannes des Ausgleichs und der Harmonie. Menschen, die mit ihm zu tun hatten, als er die jüngste Makkabiade im Vorjahr in Wien organisierte, sprechen ihm eine fast schon kindliche Freude an Friede-Freude-Eierspeis- Veranstaltungen zu. Deutsch gehe darin auf, Events zu organisieren, bei denen Menschen in positiver Grundstimmung miteinander zu tun haben. Zuletzt geschehen beim Tag der Offenen Tür der Kultusgemeinde im Mai. 4000 Besucher zählten die Veranstalter, Deutsch war in seinem Element, als er zeigen konnte, „dass wir Juden ganz normale Leute sind“. Diese Harmoniebedürftigkeit kann bei einer Gemeinde mit 7000 aktiven Mitgliedern, in der immerhin 12 Parteien zur nächsten Wahl antreten, von unschätzbarem Vorteil sein. „Er wird nie ein großer Redner mit politischen Visionen sein, aber er könnte in der Gemeinde Gräben zuschütten“, sagt einer, der ihn noch aus Schulzeiten kennt. Allerdings wird Deutsch dafür sehr wohl einen politischen Akt setzen müssen: die Emanzipation von Muzicant.

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