Wen Wählen?

NU hat allen antretenden Parteien neun Fragen zur Wahl gestellt. Das BZÖ hat nicht geantwortet, was uns nicht weiter stört. Lesen Sie, was die anderen über Antisemitismus, jüdische Zuwanderung und Israel zu sagen haben.
Von Barbara Tóth

DIE FRAGEN

1) In Deutschland gibt es ein gezieltes Zuwanderungsprogramm für Juden aus den ehemaligen GUS-Staaten. Ist Ihre Partei dafür, ein ähnliches Programm in Österreich zu unterstützen?
2) Wie sehen Sie die Zukunft des Nationalfonds?
3) Ist schon genug an Entschädigung passiert?
4) Verschiedene Pläne für ein Zeitgeschichte-Museum liegen auf dem Tisch. Was ist die Vorstellung Ihrer Partei von einer solchen Institution?
5) Waren Sie schon einmal in einer Synagoge?
6) Wann haben Sie das letzte Mal Israel besucht – und zu welchem Anlass?
7) Können Sie nachvollziehen, dass sich Israel durch das iranische Atomprogramm bedroht fühlt?
8) Was verbinden Sie mit dem Begriff Ostküste?
9) Wird Antisemitismus in der österreichischen Medienberichterstattung überbewertet?

WERNER FAYMANN, SPÖ

1) Ein derartiges Projekt ist natürlich auch für Österreich vorstellbar. Besonders aufgrund der Tatsache, dass gerade die jüdische Bevölkerung in diesem Teil Europas einem besonders hohen Leidensdruck und tragischen (Familien-)-Schicksalen ausgesetzt war. Österreich bekennt sich hier zu seiner historischen Verantwortung.
2) Der Nationalfonds hat sich – aufgrund seiner Aufgabenstellung – zu einem „kollektiven Gedächtnis“ entwickelt. Insgesamt sind mehr als 30.000 Lebensgeschichten im Nationalfonds auffindbar. Der Charakter des Fonds wird sich naturgemäß ändern. So ist vorstellbar, dass das Archiv eine allgemein nutzbare Datenbank wird. Unbestreitbar ist, dass aufgrund der großen Anzahl von Biographien, die alle ganz besondere Einzelschicksale darstellen, der Nationalfonds als ein wichtiger und zentraler Bestandteil der österreichischen Gedenkkultur für die Zeit „ohne Zeitzeugen“ anzusehen ist. Es muss auch weiterhin, für die nächsten Generationen, aber auch für die weitere wissenschaftliche Forschung, sichergestellt werden, dass diese Schicksale für das Aufarbeiten und das Nachvollziehen der Zeit des Nationalsozialismus zur Verfügung stehen.
3) Diese Frage kann so nicht gestellt werden. Erinnern wir uns, dass nur Personen oder Vereinigungen eine Entschädigung erhalten, die vom NS-Regime aus politischen Gründen, wegen ihrer Abstammung, Religion, Nationalität, sexuellen Orientierung etc. verfolgt wurden. Oder jene, die das Land verlassen mussten, um einer solchen Verfolgung zu entgehen, und die dadurch Verluste oder Schäden erlitten haben.
Erlittenes Unrecht und geraubtes Eigentum haben weder ein Ablaufdatum noch sind sie einer finanziellen Obergrenze unterzuordnen. Die moralische Verpflichtung bleibt bestehen. Aufgrund der bisherigen Maßnahmen und der Arbeit des Nationalfonds kann aber davon ausgegangen werden, dass sich die reine „Entschädigungsarbeit“ und die „Entschädigung“ einem Ende zuneigt. Das hat aber nichts damit zu tun, dass „genug“ an Entschädigung bereits passiert ist, was ja zumeist nur von jenen Kreisen geäußert wird, welche die Entschädigung an sich in Frage stellen.
4) Wir unterstützen dieses Projekt sehr stark. Ein Haus der Geschichte sollte in Österreich unbedingt seinen Platz bekommen. Die zugrundeliegende, zweistufige Ausschreibung soll bis Ende des Jahres entschieden sein.
Für uns ist es wichtig, dass in einem offenen Dialog ein dezentraler Charakter begünstigt wird, durch eine starke Einbindung bestehender Institutionen und Organisationen. Natürlich ist für uns eine enge Zusammenarbeit mit der Kultusgemeinde ein wichtiges Element bei diesem Vorhaben.
5) Ja.
6) Im Zuge meiner Tätigkeit als Gemeinderat hatte ich Gelegenheit, Jerusalem zu besuchen und anschließend bei einer Rundreise Israel kennenzulernen.
7) Ja. Nicht nur der Wille zur Atommacht der iranischen Regierung, auch deren offener Antisemitismus und die Verweigerung der Anerkennung des Existenzrechtes des Staates Israel machen die iranische Atompolitik äußerst gefährlich.
8) Eine geografische Region.
9) Nein. Antisemitismus kann nicht überbewertet werden. In der österreichischen (Medien-)Öffentlichkeit muss der sensible Umgang mit Rassismus und Antisemitismus sichergestellt sein. Wird von Überbewertung gesprochen, liegt dahinter sehr oft der Versuch der Verharmlosung der Verharmlosung.

WILHELM MOLTERER, ÖVP

1) Darüber will ich eine breite Diskussion mit allen gesellschaftlichen Gruppen führen.
2) Den Nationalfonds wird und muss es so lange geben, so lange er noch Aufgaben zu erfüllen hat.
3) Hier ist in den letzten 10 Jahren viel passiert, um die Lücken der Nachkriegsentschädigung zu schließen – denken Sie nur an die aus dem Versöhnungsfonds geleisteten Entschädigungen für ehemalige Sklaven- und Zwangsarbeiter in Höhe von über 450 Millionen Euro, dazu auch die Leistungen aus dem Entschädigungsund dem Nationalfonds. Klar ist aber: Materielle Entschädigung kann nie geschehenes Unrecht wiedergutmachen.
4) Das ist ein wichtiges gesellschaftspolitisches Anliegen – über das es auch in der Regierung Konsens gibt. Derzeit läuft das Auswahlverfahren für ein Museumsberatungsunternehmen.
5) Ja.
6) Leider hatte ich dazu noch nicht die Möglichkeit, würde mich aber freuen, wenn mich eine der nächsten Reisen nach Israel führt.
7) Diese Ängste gibt es zu Recht. Daher ist es wichtig, dass sich die EU dieses Themas angenommen hat und wichtige Schritte setzt. Klar ist, dass der Iran sein Uran-Anreicherungsprogramm einstellen muss.
8) Spannende Menschen und spannende Orte.
9) Nein, den Eindruck habe ich nicht. Jeglichen Antisemitismus lehne ich strikt ab. Daher bin ich auch froh, dass wir für das künftige Simon-Wiesenthal-Zentrum eine neue und würdige Heimstätte gefunden haben. Das neue Zentrum wird im Palais Strozzi im 8. Wiener Gemeindebezirk eingerichtet, derzeit laufen die Planungsarbeiten. Das Gebäude ist im Moment als Finanzamt in Verwendung – künftig wird dort diese wichtige Forschungsstätte zur Aufklärung und Prävention eingerichtet.

ALEXANDER VAN DER BELLEN, GRÜNE

1) Ja, selbstverständlich! Wir sind die einzige Partei, die sich überhaupt zu sagen traut, dass Österreich ein Einwanderungsland ist und Einwanderung braucht. Insbesondere aber haben wir schon im Jahr 2001 im Parlament Anträge zur spezifischen Begünstigung des Zuzugs jüdischer Einwanderer gestellt – damals noch unter Federführung von Terezija Stoisits, der heutigen Volksanwältin. SPÖ und ÖVP ließen uns abblitzen. Wir stehen nach wie vor dazu.
2) Der Nationalfonds soll sich in den nächsten Jahren vor allem um die wenigen noch lebenden Holocaustopfer kümmern und sie dabei unterstützen, ihre Ansprüche vor allem auch im Bereich des Pflegegeldes durchzusetzen. Bevor über die Zukunft des Nationalfonds spekuliert wird, sollte es endlich einmal eine externe wissenschaftliche Evaluierung dieser Institution geben. Erst danach kann seriöserweise überlegt werden, welche Aufgaben in Zukunft der Nationalfonds haben könnte. Wobei es eine Möglichkeit wäre, wissenschaftliche und pädagogische Aufgaben im Simon-Wiesenthal-Zentrum zu bündeln. Der Nationalfonds kann hier vor allem durch finanzielle Unterstützung einen aktiven Beitrag leisten.
3) Immer noch warten die Menschen auf ihre Zahlungen aus dem Entschädigungsfonds; tatsächlich werden nur 10 bis 12 % der errechneten Schadensbeträge ausgezahlt. Es sind immer noch nicht alle Anträge bearbeitet, viele der Opfer werden die Auszahlung nicht mehr erleben. Nein, es ist definitiv nicht genug passiert.
4) Ein Zeitgeschichte-Museum, egal ob es nun „Haus der Geschichte der Republik Österreich“ oder sonst wie heißt, dient lediglich der in moderne Architektur gegossenen Hegemonialisierung einer ganz bestimmten Geschichtserzählung. Eine solche Anschauung ist völlig veraltet. Unter dem Titel „Mobile der Geschichte“ legen die Grünen daher ihren Schwerpunkt auf Fragmentierung, Multiperspektivität und Interdisziplinarität. Wir fördern modulartig aufgebaute didaktische Konzepte, in denen jeweils ein sehr eng und spezifisch umrissenes Thema aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts aus unterschiedlichsten künstlerischen, historischen, soziologischen, politischen oder kunsthistorischen Perspektiven beleuchtet wird. Das ist flexibler, moderner, sinnvoller und letztlich auch billiger als megalomanische Repräsentations- und Ausstellungsarchitektur. Ganz abgesehen davon entstünde mit dem Haus er Geschichte de facto ein weiteres Bundesmuseum, ein Ressourcen verschlingendes Repräsentationsobjekt, das – in Zeiten stagnierender Kulturbudgets – mit Sicherheit negative Auswirkungen auf die Finanzsituation der anderen Bundesmuseen hätte.
5) Ja.
6) Anfang November 2001 besuchte eine kleine Delegation der Grünen Israel und die Palästinensischen Autonomiegebiete. Die Reise der Grünen stand vor allem im Zeichen der Verbesserung der Beziehungen zwischen Österreich und Israel. Gleichzeitig haben wir Informationen und Meinungen zum Nahostkonflikt eingeholt und entsprechende Kontakte geknüpft.
7) Ja, das können wir. Wir sind insbesondere über die israelfeindlichen Aussagen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad schockiert. Im Übrigen habe ich kein Hehl aus meiner Meinung gemacht, dass der iranische Präsident wegen anderer Äußerungen – Leugnung des Holocaust – in Österreich vor Gericht käme und strafrechtlich verurteilt würde (so hoffe ich zumindest).
8) Mit dem Begriff Ostküste verbinde ich persönlich die außergewöhnliche Stadt New York, jenen Hafen, in dem im 19. und 20. Jahrhundert viele Flüchtlinge gelandet sind und damit in Sicherheit waren. Weitere Assoziationen sind die Agglomeration Boston/Cambridge mit ihren weltberühmten Universitäten, Wanderungen durch den Indian Summer in Maine und ein kurzer Urlaub in Vermont. Andere Menschen verwenden den Begriff, wie etwa in der Auseinandersetzung um Kurt Waldheim, als Chiffre, um antisemitische Klischees zu etablieren.
9) Nein, ganz im Gegenteil. Einige Medien in Österreich spielen nach wie vor ganz bewusst mit antisemitischen Klischees, ohne dass sie dafür Konsequenzen zu befürchten haben. Macht man darauf aufmerksam, wird man häufig als Mensch verunglimpft, der angeblich „keinen Spaß versteht“. Bezüglich der Sensibilität hinsichtlich antisemitischer Stereotype hat Österreich offenkundig großen Nachholbedarf.

HEINZ CHRISTIAN STRACHE, FPÖ

1) Deutschland ist in dieser Hinsicht nicht mit Österreich vergleichbar. Schon unter Bundeskanzler Kreisky wurde für die Juden, die aus dem Iran über Österreich in die ganze Welt emigrierten, sehr viel getan.
2) Er wird sich weiterhin den Menschen, die Opfer des nationalsozialistischen Regimes geworden sind, zu widmen haben.
3) Das erlittene Unrecht wird niemals in Form von finanziellen Zuwendungen wiedergutgemacht werden können.
4) Dieses Museum soll sich mit der Geschichte Österreichs und der Menschen in unserem Land auseinandersetzen. Es soll Wahrheiten abseits von Dogmen transportieren.
5) Ja, des Öfteren.
6) Im Juni 2002 zur Eröffnung der Judaika-Ausstellung des Künstlers Salvador Dali in der Präsidentenresidenz in Jerusalem. Dabei wurden wir vom damaligen Staatspräsidenten Moshe Katsav begrüßt. Die FPÖ-Delegation unter der Leitung unseres Landtagsabgeordneten David Lasar wurde anschließend auch von einer Reihe von Knesset-Abgeordneten und dem Ehrenvorstandsmitglied des jüdischen Nationalfonds, Kerem Kajemeth le Israel, und Botschafter a. D. Dr. Yitshac Meir zu Gesprächen empfangen.
7) Ja. Die ganze Welt fühlt sich durch Atomwaffen bedroht. Ich verabscheue Gewalt, ganz besonders aber nukleare Gewalt.
8) New York, Boston – einen geografischen Begriff.
9) Diesen Eindruck habe ich nicht gewonnen.

HEIDE SCHMIDT, LIF

1) Ja, zumal unser Land ja auch Zuwanderung braucht. Was läge daher näher, als auch jene Menschen einzuladen, zu denen wir einen unmittelbaren Bezug haben.
2) Als eine ständige Entwicklung, die vor allem auch Aktionen initiiert und unterstützt, die dazu dienen, dass wir aus unserer Geschichte lernen.
3) Nein, zumal überdies das Procedere so schleppend passiert, dass immer weniger Menschen die Entschädigung noch erleben. Dass es kein leidenschaftliches Engagement gibt, das zu ändern, tut weh.
4) Ich wünsche mir einen Architekturwettbewerb, um schon mit der Qualität des Gebäudes ein Zeichen zu setzen. Das Konzept selbst sollte auf dialogische Elemente bauen und dem jüngsten dunklen Kapitel unserer Geschichte breiten Raum geben. Vor allem aber darf man das Projekt nicht mehr auf die lange Bank schieben.
5) Ja, selbstverständlich.
6) Anfang der 90er Jahre im Zusammenhang mit einem Kongress.
7) Ja, vor allem im Zusammenhang mit Aussagen iranischer Politiker, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen.
8) Ein antisemitisches Codewort. Und das Bedauern darüber, wie viele Menschen das nicht spüren.
9) Nein, es mangelt sogar oft an der notwendigen Sensibilität und Aufmerksamkeit.

MIRKO MESSNER, KPÖ

1) Wir sind für offene Grenzen, Zuwanderung soll nicht auf bestimmte ethnische Gruppen oder Nationalitäten ausgerichtet werden.
2) Der Nationalfonds sollte aus Budgetmitteln weiter gespeist werden und könnte antifaschistische Aufklärungsarbeit in Geschichte, Kunst und Kultur finanzieren.
3) Natürlich nicht. Die bisherigen Summen sind ja Kompromisse komplizierter internationaler Verhandlungen gewesen.
Vielen Überlebenden des Holocaust und ihren Nachkommen geht es aber vor allem um die öffentliche Auseinandersetzung mit den Tätern, mit dem verbrecherischen System und um Garantien, die ein Wiederaufleben des Antisemitismus und Rassismus im politischen System verhindern.
4) Die KPÖ ist für ein Zeitgeschichte-Museum, das vor allem die Ursachen für Krieg und Faschismus, für den Untergang der Ersten Republik dokumentiert. Besondere Würdigung müssten jene Menschen finden, die mit ihrem Widerstand zum Wiedererstehen eines unabhängigen Österreich beigetragen haben.
5) Ja.
6) Ich war noch nicht in Israel.
7) Ja, aber wir sind für generelle atomare Abrüstung, inklusive des Nahen Ostens.
8) Wird vielfach im publizistischen Mainstream als Umschreibung für „jüdische Lobby“ verwendet, wenn man es nicht so deutlich sagen will.
9) Die sogenannten demokratischen Selbstheilungskräfte in den österreichischen Medien sind wenig ausgeprägt. Das gilt auch für die Überwindung antisemitischer Klischees und Stereotypen.

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