Warum Juden die US-Wahlen entscheiden könnten

Der Kampf um jüdische Stimmen ist bei den kommenden US-Präsidentschaftswahlen spannender denn je – vor allem, wenn Barack Obama der Kandidat der Demokraten wird. Der Republikaner John McCain spekuliert mit einem Seitenwechsel zahlreicher jüdischer Wähler.
Von Eric Frey

Mit einem Bevölkerungsanteil von gerade einmal zwei Prozent können Amerikas Juden eigentlich keine Präsidentschaftswahlen entscheiden. Dennoch werden jüdische Wähler von allen Kandidaten alle vier Jahre heftig umworben. Das liegt zum Teil daran, dass Juden eher wählen gehen als andere Bevölkerungsgruppen, und viele in meinungsbildenden Positionen sitzen, etwa in den Medien. Was jüdische Wähler aber wirklich attraktiv macht, ist ihre Konzentration in mehreren großen Schlüsselstaaten, die für einen Wahlsieg entscheidend sind: New York, Kalifornien, Pennsylvania und vor allem Florida, wo man spätestens seit dem Jahr 2000 weiß, dass auch nur 500 Stimmen den Kampf ums Weiße Haus entscheiden können.

Doch Juden sind keine typischen Wechselwähler: Ihre Treue zur Demokratischen Partei ist seit der Ära von Franklin D. Roosevelt legendär. Obwohl viele ihre finanziellen Interessen eher von den Republikanern vertreten sehen, stehen sie in wirtschaftlichen und sozialen Fragen traditionell im linksliberalen Lager. „Fuck the Jews, they don’t vote for us anyway“, hat der frühere Außenminister James Baker der Frustration der Republikaner einst Ausdruck verliehen. Dabei hatte Bakers damaliger Chef, George Bush Senior, bei seinem Wahlsieg gegen Michael Dukakis 1988, 35 Prozent der jüdischen Stimmen für sich gewonnen, einer der höchsten Anteile, die je ein Republikaner für sich verbuchen konnte.

Denn was jüdische Stimmen mehr als alles andere bewegt, ist die unbedingte Solidarität mit Israel. Nun gibt es in Washington keinen ernsthaften Politiker, der Amerikas Unterstützung für Israel in Frage stellen würde. Aber im Buhlen um jüdische Wähler geht es stets darum, auch den letzten Zweifel über die proisraelische Haltung auszuräumen. Und dies ist der Grund, warum im Wahljahr 2008 John McCain Grund zur Hoffnung hat, ein gutes Stück des jüdischen Wählerkuchens abzuschneiden.

Der Papierform nach ist Hillary Clinton die Favoritin für Amerikas Juden. Ihr Ehemann Bill Clinton hatte zweimal rund 80 Prozent der jüdischen Wählerstimmen gewonnen, und diese Loyalität ist Hillary als Senatorin von New York geblieben. Kein kritisches Wort über Israel und die Politik der israelischen Regierung, kommt je über ihre Lippen, so wie es viele jüdische Wähler sich wünschen. Tatsächlich hat Hillary bei den Vorwahlen in New York und New Jersey zwei Drittel der jüdischen Stimmen eingesackt und auch Kalifornien gewonnen. Die Überraschung am „Super Tuesday“ Anfang Februar aber war, wie gut ihr Gegenspieler Barack Obama bei jüngeren, gebildeten Juden abgeschnitten hat – und in Connecticut sowie Massachusetts die Mehrheit der jüdischen Stimmen erringen konnte.

Obama hat dennoch ein Problem mit jüdischen Wählern – genauer gesagt sind es drei. Diese können ihm zwar nicht die – inzwischen recht sichere – Nominierung als demokratischer Präsidentschaftskandidat kosten, wohl aber den Wahlsieg im November.

Das erste ist das – über das Internet gestreute – Gerücht, dass er eigentlich ein Moslem ist, weil er als Bub eine islamische Schule in Indonesien besucht hat. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sind amerikanische Juden zunehmend Islamkritisch geworden. Gerade für die Pensionisten in Florida könnte sich diese Gerüchtekampagne, die dem Clinton-Lager zugeschrieben wurde, als effektiv erweisen. Dass sein zweiter Vorname „Hussein“ ist und sein Nachname wie „Osama“ klingt, spielt auch eine Rolle.

Das zweite Problem ist der langjährige Pastor von Obamas Kirche in Chicago, Jeremiah Wright Jr. – ein brillanter Redner, allerdings auch ein schwarzer Nationalist, der in seiner Bitterkeit über den Rassismus der Weißen auch immer wieder anti-israelische und antijüdische Töne hat anklingen lassen. Wright steht außerdem, dem unter Juden verhassten schwarzen Demagogen, Louis Farrakhan nahe. Zwar versucht sich Obama derzeit, von seinem ehemaligen Mentor zu distanzieren, viele Juden könnten ihm dennoch deshalb im November den Rücken kehren.

Und drittens ist Obama bei aller Solidarität mit Israel kein blinder Verfechter des „Was immer Israel tut, ist richtig“-Kurses, den viele amerikanische Juden von ihrem Präsidenten einfordern. Er hat sich mit außenpolitischen Beratern umgeben, die den Nahost- Konflikt differenziert betrachten und die Schuld an der ständigen Gewalt nicht nur bei den Palästinensern und der Hamas, sondern auch bei Israel sehen. Man muss nicht die umstrittene These der beiden Politologen John Mearsheimer und Steven Walt über die absolute Macht der Israel-Lobby kaufen, um zu wissen, dass dies eine riskante Position ist.

Obamas Umfeld – der Kandidat selbst hält sich hier zurück – spricht damit nur aus, was sich die meisten seriösen Experten und ein guter Teil der amerikanischen Juden denken. Deren emotionale Bindung zu Israel hat sich in den vergangenen 20 Jahren abgeschwächt, immer mehr von ihnen wollen ihre eigene jüdische Identität nicht mehr über eine kollektive Unterstützung für einen anderen Staat definieren. Die Siedlungs- und Besatzungspolitik Israels im Westjordanland ist heute unter politisch interessierten Juden noch viel umstrittener, als unter der breiten USBevölkerung.

Aber der 11. September hat auch eine Gegenbewegung eingeleitet. Jüdische Intellektuelle, die einst den aggressiven Anti-Kommunismus der frühen Reagan-Ära abgelehnt haben, verdammen heute jedes Gespräch mit der Hamas als Wiederholung des Appeasement gegenüber Hitler, fordern vehement einen Militärschlag gegen den Iran und halten daran fest, dass der Einmarsch in den Irak eine kluge Entscheidung war, die bloß schlecht ausgeführt wurde. Unter Funktionären jüdischer Organisationen ist die plakative Angst vor dem „Islamo-Faschismus“ besonders weit verbreitet, aber auch unter Pensionisten in Südflorida und Investmentbankern in New York hört man oft solche Töne. Einer ihrer prominentesten Sprachrohre ist Senator Joseph Lieberman, Vizepräsidentschaftskandidat von Al Gore im Jahr 2000, der sich wegen seiner Haltung zum Irakkrieg von den Demokraten getrennt hat. Heute betreibt Lieberman aktiv Wahlkampf für John McCain. Der Republikaner setzt ganz dezidiert darauf, jüdische Wähler den Demokraten abspenstig zu machen. Als erster Präsidentschaftskandidat reiste er im Wahlkampf nach Israel, und seine Vorstellungen eines Nahostfriedens ähneln eher denen von Likud-Chef Benjamin Netanyahu als vom israelischen Premier Ehud Olmert. Mit dieser harten Haltung buhlt McCain auch um jene erzkonservative Evangelikale, die ihm immer noch skeptisch gegenüber stehen, die aber die unbedingte Unterstützung Israels durch die USA nicht nur als moralisches, sondern auch als religiöses Gebot betrachten, weil sie daran glauben, dass erst durch die Versammlung aller Juden im Heiligen Land das Jüngste Gericht kommen kann.

Selbst eine erfolgreiche Rufmordkampagne gegen Obama wird nichts daran ändern, dass er als Kandidat der Demokraten die Mehrheit der jüdischen Stimmen erhalten wird. Aber das reicht nicht. Wann immer seit 1980 ein Republikaner mehr als ein Viertel der jüdischen Stimmen erhielt, hat er die Wahl gewonnen. McCain, der sich dieser Tage gerne zum Nachfolger von Ronald Reagan stilisiert, möchte auch dessen Popularität unter jüdischen Wählern erben.

Sollte er, wie es manche Berater empfehlen, einen christlichen Fundamentalisten wie den gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Mike Huckabee als seinen Vize nehmen, um die Lobby der Evangelikalen zu befrieden, dann würde ihm das wieder viele jüdische Stimmen kosten. Aber zieht er mit einem halbwegs moderaten „running mate“ in die Wahlschlacht gegen Obama, dann stellt er so manche jüdische Wähler vor eine harte Entscheidung: Sollen sie aus Angst vor dem islamistischen Terror ihre liberalen Werte über Bord werfen und sich für einen Kandidaten entscheiden, der trotz seiner oft unabhängigen Ansichten weit rechts vom jüdischen Mainstream steht? Oder vertrauen sie einem dunkelhäutigen Politiker, der ein neues, multikulturelles Amerika vertritt und in Bezug auf Israel und die islamische Welt bei aller Sympathie für den jüdischen Staat differenzierter vorgehen wird als seine Vorgänger?

Sollte es McCain gelingen, etwa ein Drittel der rund 500.000 jüdischen Wähler in Florida für sich zu gewinnen, dann könnte das am 4. November tatsächlich die Wahl entscheiden.

Die mobile Version verlassen