Wahlrecht für Reiche und Arme

Unter dem Prager Rabbiner Loew wurde 1578 die Wahl der Rabbiner in Böhmen und Mähren reformiert. Eingeführt wurde damit ein allgemeines Männerwahlrecht.
Von Franz Krahberger

Im 16. Jahrhundert verfügten die jüdischen Gemeinden zwar über eine eigene Rechtssprechung. Im Fall innerer Strittigkeiten wurde dennoch die weltliche (damals kaiserliche) Justiz angerufen, die sich für Derartiges aber nicht zuständig gesehen hat. Um der damit entstandenen Rechtsunsicherheit ein Ende zu setzen, entwickelte man statutarische Bestimmungen, welche die Wahl der Rabbiner und Vorstände regelten. Diese hatten sowohl für einzelne Gemeinden als auch das ganze Land Geltung. So versuchte man, zu einer einheitlichen Rechtssprechung zu kommen. Den Behörden war diese Entwicklung ein Dorn im Auge. So schlugen die böhmischen Kammerräte 1567 vor, den Juden die eigene Rechtssprechung zu entziehen und sie unter die Jurisdiktion der kaiserlichen Kammer zu unterstellen, berichtete der jüdische Historiker Gerson Wolf 1883. Doch Kaiser Maximilian II. entschied 1571, dass die jüdischen Gemeinden ihren autonomen Status beibehalten könnten, behielt sich aber weiterhin das Recht der Einsetzung der Ältesten vor. Die Wahlordnung, die Maximilian II. zur Einsetzung des Rates der Ältesten akzeptierte, ging auf ein Gutachten des Paduaner Rabbiners Meir Katzenellenbogen zurück. Der 1565 verstorbene Katzenellenbogen bezog sich in seinem demokratischen Wahlentwurf auf eine Stelle im Deuteronomium (5. Buch Moses). Die Juden sollten demnach die Vertreter aus den einzelnen Stämmen von sich aus bestimmen. Und vor dem Gesetz sollte ohne Beachtung des Ansehens der Person, ob diese nun reich oder arm war, im Namen Gottes gerichtet werden. So machte man sich in den jüdischen Gemeinden daran, endlich neue Regeln zur Entscheidungsfindung einzuführen. Die Grundkonzeption: Jedes Mitglied der Gemeinde, das sich religiös oder sittlich keinen Makel zu Schulden kommen hat lassen, verfügte über das passive wie aktive Wahlrecht. Alle unbescholtenen Gemeindeangehörigen wählten die Urwähler, aus diesen gingen Wahlmänner hervor, die nach geleistetem Eid die Ältesten, die Gemeindeältesten und den Richter ernannten. Die Wahl der Ältesten musste nach wie vor durch den Kaiser bestätigt werden. Am 24. Dezember 1578 beschlossen 53 Mitglieder der Prager Jüdischen Gemeinde dieser Ordnung zu folgen. Zu diesem Zeitpunkt stand der Prager Gemeinde Rabbi Loew vor, gleichzeitig auch oberster Landesrabbiner. Loew überarbeitete daher die alten mährischen Statuten nach den aktuellen Vorstellungen und Notwendigkeiten. Die revidierten Statuten, bestehend aus 311 Paragraphen (Shaij tekanoth) und die nachfolgenden Synodalbeschlüsse wurden nicht nur maßgebend für die jüdischen Gemeinden in Böhmen und Mähren, sondern auch für Gemeinden in den anderen österreichischen Kronländern. Jede Stimme in dieser Wahlordnung zählte, ob sie von einem reichen oder armen Gemeindemitglied kam. Man kann dabei also von einem allgemeinen Männerwahlrecht sprechen. Und das lange vor den gesellschaftlichen Umwälzungen von 1848 sowie der Entwicklung der allgemeinen Wahlrechte zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Diese alten mährischen Statuten in der von Loew revidierten Form zeigen zudem, dass es ein geordnetes und weitgehend teilautonomes Leben der jüdischen Gemeinden im österreichischen König- und Kaiserreich gegeben hat. Die staatliche Integration der Juden blieb Kaiser Joseph II., der diese auch zum Militärdienst verpflichtete, sowie der Verfassungsgesetzgebung nach 1848 vorbehalten. Eine ungekürzte Fassung dieses Beitrags erschien bereits im „Electronic Journal Literatur Primär“ ( http://www.ejournal.at/buecher/holocaust/loewe.html ). Franz Krahberger (geb. 1949 in Rottenmann) ist Autor, Projektorganisator und Herausgeber. Veröffentlichungen in Anthologien, Zeitschriften und Katalogen, Rundfunk und Fernsehen. Theoretische Arbeiten und Essays. Untersuchungen und Projekte zur Entfaltung computerunterstützter Literatur. Krahberger lebt und arbeitet in Wien.

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