Von Mäusen und Masken

„Bilder kann man nicht zensieren“: Art Spiegelman im Sigmund Freud Museum. ©ESEL/LORENZ SEIDLER

Von Gerhard Jelinek

Art Spiegelman ist eine Legende. Dass der Grafiker, Zeichner und Karikaturist im Februar auf Einladung der Sigmund Freud Gesellschaft nach Wien kam, um im Freud Museum seine Welt zu skizzieren, war also eine kleine Sensation. Spiegelman sprach anlässlich der Comic-Ausstellung Gewalt erzählen darüber, wie in Zeichnungen das Unbewusste sichtbar wird, was Psychoanalyse und Karikatur verbindet, warum sein Hauptwerk Maus in manchen US-Bundesstaaten zensuriert wird, und warum er kaum noch zeichnen mag.

Die Ausstellung in den ehemaligen Wohnräumen des Begründers der Psychoanalyse widmete sich den vielfältigen Möglichkeiten zur kritischen Gewaltdarstellung in Comics. Arbeiten von mehr als dreißig Künstlerinnen und Künstlern spannten einen Bogen von der Schoa bis hin zu aktuellen Konflikten. Und auch Arbeiten von Spiegelman waren selbstverständlich zu sehen.

In seinem 1986 als Buch erschienenen Cartoon-Band Maus. Die Geschichte eines Überlebenden erzählt der in die USA ausgewanderte und seit den Fünfzigerjahren in New York lebende Künstler von den extremen Gewalterfahrungen, die sein Vater und seine Mutter, die beide nach Auschwitz verschleppt wurden, erlebten. Spiegelman verdichtet im Stil eines schwarzweißen „Underground-Comics“ die Geschichte seines Vaters Vladek und seiner Mutter Anja als Fabel. Dass der Holocaust in einem Cartoon-Band abgehandelt wurde, sorgte bei seinem Erscheinen für heftige Diskussionen, mehrere Verlage lehnten eine Publikation ab. Spiegelmans Vater, mit dem der Zeichner ein durchaus zwiespältiges Verhältnis pflegte, wusste zwar von dem Projekt, konnte die Fertigstellung von Maus jedoch nicht mehr erleben.

Umstrittener Erfolg

Bei seinem Besuch nahm Spiegelman die Gelegenheit wahr, einmal mehr die Probleme und die Motive hinter seinem Hauptwerk zu beschreiben: Warum er die jüdischen Opfer hinter Masken als Mäuse, die Nazi-Schergen als Katzen, Polen als Schweine und Engländer als Fische dargestellt hatte. „Ich musste die Ereignisse und die Erinnerung des Holocaust zeigen, ohne sie zu zeigen“, so Spiegelman. Und die Maskierung der Personen unterstütze die Darstellung der Ereignisse. Weshalb Spiegelman in seinen Karikaturen auch Klischees und sogar antijüdische Stereotypen einsetzt, um sie ins Gegenteil zu verkehren. Dass die jüdischen Opfer in Maus als Mäuse dargestellt werden, ist eine Anspielung auf die Nazi-Hetze, die jüdische Menschen als „Ungeziefer“ abwertete, das es auszurotten gelte.

Spiegelman, als Zeichner unter anderem für den New Yorker und MAD tätig, teilt sein Leben heute in zwei Abschnitte ein: vor Maus und nach Maus. Für seinen berühmtesten Comic erhielt er den Pulitzerpreis – als erster Karikaturist überhaupt. Dennoch ist Maus, ungeachtet des großen kommerziellen Erfolgs, bis heute umstritten. Sein Cover wird 1990 in Deutschland wegen des Verdachts nationalsozialistischer Propaganda inkriminiert, weil hinter der Maus-Maske ein großes Hakenkreuz sichtbar ist. Und in Tennessee verbannte die Schulbehörde erst vor zwei Jahren die Graphic Novel, weil Spiegelman eine tote Frau (seine Mutter nach ihrem Suizid) nackt in einer Badewanne zeigt. Als obszön wurde der weibliche Körper bewertet, nicht aber die Gewalt in Auschwitz. Und auch in anderen Bundesstaaten wurde Maus zensuriert, was zu einer breiten Debatte über „verbotene Bücher“ führte. „Maus hat all diese Anfechtungen mit fliegenden Fahnen überstanden“, so Spiegelman, „und ist wieder auf die Bestsellerlisten zurückgekehrt. Aber warum wurde Maus zum Kristallisationspunkt dieser Debatte, warum Zeichnungen, die das Schicksal meiner Eltern im Holocaust zum Thema haben?“

Puritanisches Zeitalter

Nach einem Vortrag Spiegelmans gibt es keine Autogramme. Er sieht sich als Künstler, nicht als „Insta-Star“. Außerdem ist ihm das Thema des Abends zu ernst. Spiegelman, der mit teilweise sehr bösem Humor gesellschaftliche Missstände kommentiert, würde Comics lieber mit einem „x“ am Ende schreiben. „X“, wie „X-rated“, also „Jugendverbot“. Karikaturen sind für ihn subversiv, ja gefährlicher als Worte und Texte. „Sprache kann man zensieren oder im Zaum halten, kontrollieren, Bilder nicht. Ein Bild wirkt direkt und sofort auf der Netzhaut des Betrachters.“

Auch zu Donald Trump hat er natürlich eine Meinung. Was macht ihn für so viele Amerikanerinnen und Amerikaner anziehend? Spiegelman hält den Tabubruch für das entscheidende Kriterium: Trump mache es für viele möglich, Unsagbares zu sagen, Undenkbares zu denken. „Ich kann ein Asshole sein, und niemand wird mich stoppen.“ Trump verschiebe die Grenzen, wenn er Frauen sexistisch attackiert und Unwahrheiten erzähle. Aber es gebe auch auf der anderen Seite Mitverantwortliche. „Die Repression von meiner Seite, unserer Seite ist zu groß.“ Halb scherzhaft kritisiert Art Spiegelman die woke Bewegung, die seiner Meinung nach dazu geführt habe, dass er seine Produktivität deutlich reduzierte. Mit dem neuen „puritanischen Zeitalter“ hat der New Yorker Probleme. Denn Karikaturisten hätten sich immer auch abwertender Elemente bedient und Menschen als Stereotype gezeichnet. In einer woken Kultur sei es deshalb für einen „Comix“-Künstler schwerer geworden.

©ESEL/LORENZ SEIDLER
Die mobile Version verlassen