Von Klimt bis Schiele

Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien hat sich in den vergangenen Jahren intensiv im Bereich Erbensuche in Fällen von zu restituierenden Kunstwerken engagiert. Die Rückgabe zahlreicher Sammlungen geht auf die Recherchen der 1999 u.a. für diese Aufgabe gegründeten Anlaufstelle zurück. Gerüchte, wonach sich die IKG hier ein profitables Geschäftsfeld aufgebaut hat, wollen nicht verstummen. Die Gemeinde weist dies jedoch vehement zurück.
Von Alexia Weiss

2001 restituierte die Österreichische Galerie Belvedere das Gemälde „Landhaus am Attersee“ von Gustav Klimt (entstanden 1914) an die Erben nach Jenny Steiner, die von der Kultus­gemeinde vertreten wurden. Das Bild wurde im November 2003 bei Sotheby’s in New York weit über dem Schätzwert von 18 bis 25 Millionen Dollar um 29,128 Millionen Dollar versteigert. Das war zu diesem Zeitpunkt der höchste Preis, der je für ein Werk von Klimt erzielt wurde. Die Rückerstattung dieses Klimt-Werkes war der erste große Erfolg der Kultusgemeinde im Bereich Kunstrestitution – und zeigte auf, um wie viel Geld es hier gehen kann.

Dies sollte nicht der einzige prominente Restitutionsfall bleiben, in dem die IKG dem Bund bei der Erbensuche behilflich war. Dies übrigens aufgrund einer Gesetzeslücke im Kunstrestitutionsgesetz, das, wie es Erika Jakubovits, Executive Director des Präsidiums der KG, gegenüber NU formuliert, „verabsäumt, die Durchführung der Erbensuche zu regeln“. Dieser Meinung sind auch viele Provenienzforscher. Wettbewerbsvorteil

Dass die IKG hier eingesprungen ist, ruft bei manchen dieser Wissenschaf­­­ter allerdings Kopfschütteln hervor. Denn daraus ergibt sich inzwischen ein Fall von möglicher Unvereinbarkeit: Die Kultusgemeinde sitzt einerseits in den Gremien, die über die Rückgabe von Kunstwerken entscheiden, und vertritt andererseits Familien, die Anspruch auf diese Objekte stellen. Dadurch hat die IKG einen klaren Wettbewerbsvorteil, weil sie somit über vertrauliche Informationen zu aktuellen Fällen verfügt und aufgrund der Unterlagen abschätzen kann, ob es sich um „große Fische“ handelt oder nicht.

Vertreten wurden und werden von der Kultusgemeinde inzwischen u.a. die Erben von so wertvollen Sammlungen oder Immobilien wie jene von Heinrich Rieger, Jenny Steiner, Emma Schiff-Suvero, Daisy Hellmann oder Heinrich und Flora Schnabel. Stellvertretend für etwas weniger wertvolle Sammlungen kann die Familie von Mathilde und Gottlieb Kraus genannt werden. Wieder in den Besitz der Nachkommen dieses Ehepaares wanderten inzwischen aus der Österreichischen Galerie von Carl Markó „Seestück mit Ino und Melikertes“ sowie von August von Pettenkofen „Zigeunergespann an einer Furt“.
Einen weiteren Pettenkofen erhielt die Erbengemeinschaft von der Neuen Galerie Graz, dieses Bild trägt den Titel „Frau mit Blumen“. Des Weiteren wurden aus dem Grazer Museum von Emil Jakob Schindler die beiden Bilder „Flusslandschaft mit Gänsen“ und „Holländische Landschaft“ zurückgegeben.

An die Erben von Emma Schiff-Suvero gab das Museum für Angewandte Kunst (MAK) über 200 Textilien sowie andere Kunst-(handwerks-)Gegenstände zurück. Was diesen Fall jedoch interessant macht: Die Nachkommen von Schiff-Suvero könnten auch noch eine Immobilie restituiert erhalten, die so genannte „Post-Villa“. Das auch „gelbe Villa“ genannte Objekt in der Sieveringer Straße 245 erlangte zuletzt Bekanntheit, als es in die engere Wahl als mögliche neue Dienstvilla des inzwischen verstorbenen Bundespräsidenten Thomas Klestil kam. Noch hat die Schiedsinstanz für Naturalrestitu­tion hier allerdings nicht entschieden.

Rekordpreis für Schiele

Schlagzeilen machte die Rückgabe eines Werkes von Egon Schiele an die insgesamt sieben Erben nach Daisy Hellmann (Tochter der weiter oben bereits erwähnten Jenny Steiner). Das Gemälde „Landschaft in Krumau“ (alternativer Titel: „Städtchen am Fluss“) wurde 2003 von der Neuen Galerie der Stadt Linz restituiert und noch im selben Jahr bei Sotheby’s in London um 18,3 Millionen Euro versteigert. Auch hier war das zu diesem Zeitpunkt der höchste je für einen Schiele erzielte Preis.

Auf die Rückgabe des Bildes „Landschaft in Krumau“ ist die Kultusgemeinde besonders stolz. „Die IKG Wien konnte aufgrund einer Neuinterpretation der historischen Fakten die Stadt Linz von der moralischen Notwendigkeit überzeugen, dieses Kunstwerk zu restituieren, obwohl ein Rückstellungsantrag bereits einmal abgewiesen worden war“, so Erika Jakubovits.

Einen weiteren Schiele konnte die Kultusgemeinde den Nachkommen von Heinrich Rieger sichern (wobei sie hier laut einem Bericht auf www.forward.com vom 21. April 2006 nur eine der Erbinnen, eine Enkelin des Sammlers, vertritt). „Hafen von Triest“, ein nur 25 mal 18 Zentimenter kleines Werk des österreichischen Expressionisten, wurde 2004 vom Landesmuseum Joanneum in Graz zurückgegeben, und erzielte bei seiner Versteigerung durch Christie’s im Juni dieses Jahres 1,51 Millionen Euro.

Am selben Tag kam in London auch das Kriegsbild „Kampf“ von Josef Dobrowsky aus der ehemaligen Sammlung Rieger unter den Hammer. Erzielter und von Kunsthistorikern als wahnwitzig eingestufter Preis, der sich nur mit dem aktuellen Hype um restituierte Kunst erklären lässt: 273.874 Euro. Und die Erben nach Heinrich Rieger erhielten noch einen weiteren Schiele, und zwar die „Wiesenlandschaft mit Häusern“ aus der Österreichischen Galerie.

Große Werke also, die bei Auktionen derzeit Rekordpreise erzielen. Davon profitieren nicht nur die Erben, sondern auch der Kunsthandel, also die Auk­tions­häuser. Längst hat sich rund um die Restitution von Kunst ein Big Business entwickelt – nicht zuletzt durch die spektakulären Verkäufe der an die Erbengemeinschaft der Sammlung Bloch-Bauer, in der Öffentlichkeit repräsentiert durch Maria Altmann, restituierten Klimt-Gemälde. Der Hype um restituierte Kunst, der die Preise in schwindelerregende Höhen klettern lässt, ist vor allem dadurch zu erklären, dass hier mit Werken von Klimt oder Schiele Gemälde in den Handel gelangen, die ohne die Restitution – und gleichzeitige Aufhebung der Ausfuhrsperre – niemals auf den freien Markt gelangt wären.
Auch der Kultusgemeinde werden im Zusammenhang mit der Restitution von Kunstwerken gute Einnahmen nachgesagt. Gemunkelt wird hier viel, zitieren lassen will sich dann aber doch lieber niemand. Da spricht der eine von einer Provision von mindestens zehn Prozent des Werts des zurückgegebenen Objekts, andere wollen sogar von Provisionen von bis zu 20 Prozent gehört haben.
NU wollte es genauer wissen. Und konnte Folgendes eruieren: Hat die Kultusgemeinde – respektive die Anlaufstelle – die Erben nach einer zu res­tituierenden Sammlung ausgemacht, wird mit diesen eine Vereinbarung  geschlossen, in der fürden Erfolgsfall eine so genannte „Aufwandsentschädigung“ vereinbart wird. Deren Höhe richtet sich nach dem Wert bzw. Verkaufspreis des Kunstwerks.
Von Kostenrefundierungen und Spenden

NU hat die Kultusgemeinde daher zu einer Stellungnahme zum Thema Provisionen und Aufwandsentschädigungen gebeten. Folgendes teilte Erika Jakubovits dazu mit: „Alle Leistungen der IKG Wien und ihrer Anlaufstelle sind für deren KlientInnen kostenlos. Das gilt grundsätzlich auch für den Bereich Kunstrestitution. In einigen Einzelfällen, die mit komplizierten Rechtsstreitigkeiten verbunden sind, werden Rechtsgutachten beauftragt und amerikanische und österreichische Rechtsanwälte beschäftigt. In diesen Einzelfällen ist in der Regel auch ein besonderer Rechercheaufwand nötig, der oft nur durch externe Arbeitskräfte abgedeckt werden kann. Diese zusätzlichen Aufwände werden von der IKG im Einvernehmen mit den betroffenen Überlebenden der NS-Verfolgung bzw. deren Nachkommen vorfinanziert, da die meisten von ihnen finanziell nicht in der Lage sind, diese Kosten aufzubringen. Nur bei erfolgreicher Rückstellung werden die Kosten der IKG refundiert. In wenigen Einzelfällen bekommt die IKG Spenden als Anerkennung für ihre Leistungen und um die Arbeit der Anlaufstelle zu unter­­stützen und weiter zu ermöglichen.“

Beziffern wollte die IKG dabei jedoch weder die Höhe dieser Kostenrefun­dierungen noch der bisher in diesem Zusammenhang eingegangenen Spenden. Alles wäre jedenfalls leichter nachzuvollziehen, würden die Finanzvorgänge rund um die Kunstrestitution in den in der „Gemeinde“ publizierten Bilanzen der IKG dargestellt. Erst diese Intransparenz lässt viele fragen, warum bei diesem Thema seitens der IKG derart auf Geheimniskrämerei gesetzt wird.

Die Frage nach der Bilanzierung ließ Jakubovits gegenüber NU daher erwarteterweise unbeantwortet – und betonte im Gegenzug die vielfältigen sonstigen Tätigkeiten der Anlaufstelle, deren Kernaufgabe die Interessenvertretung und umfassende Beratung von jüdischen NS-Verfolgten und deren Nachfahren in und aus Österreich ist. So hätten die Mitarbeiter der Anlaufstelle seit deren Gründung (1. 7.  1999) bis Ende 2005 u. a. 3.275 persönliche Beratungsgespräche und 31.650 telefonische Gespräche geführt sowie 145.050 Briefe, Faxe und E-Mails geschrieben.

Hinsichtlich des Tätigkeitsbereiches Kunstrestitution der Anlaufstelle hebt Jakubovits vor allem die gute Zusammenarbeit mit jenen Gremien hervor, die letztlich über die Rückgabe von Werken entscheiden. So sei die Anlaufstelle aufgrund ihrer Vermittlungsfunktion im Herbst 1999 in die Kommission für Provenienzforschung kooptiert worden. Diese durchforstet die Museen und Sammlungen des
Bundes auf entzogene Kunstgegen­stände. Und seit September 2003 seien zwei Repräsentanten der IKG und der Anlaufstelle als kooptierte Mitglieder mit Beobachterstatus in der Wiener Restitutions-Kommission vertreten.

Hier orten Brancheninsider – wie weiter oben bereits ausgeführt – allerdings eine gewisse Unvereinbarkeit. Ähnlich verhält es sich übrigens auch bei der Naturalrestitution von Immobilien. So war im „Standard“ am 22. März dieses Jahres anlässlich der Entscheidung der Schiedsinstanz für Naturalrestitution, Maria Altmann ein Palais in der Wiener Elisabethstraße zurückzugeben, Folgendes zu lesen: „Grundlegende Vorarbeit leistete das Forschungsbüro von Harald Wendelin, Verena Pawlowsky und Edith Leisch-Prost: Es identifizierte rund 700 Immobilien des Bundes, die eine Entzugsgeschichte in der NS-Zeit aufweisen, und rund 500 der Stadt Wien. Auf Basis dieser Daten filterte die Israelitische Kultusgemeinde 50 Fälle heraus, die Anträge auf Naturalrestitution rechtfertigen. Insgesamt hat die Schiedsinstanz rund 90 Fälle zu entscheiden.“

Doch auch hier werden von der IKG Erben vertreten – etwa im Fall des Objekts Weihburggasse 30, wie im Newsletter der Anlaufstelle vom August
2005 nachzulesen ist. Diese Immobilie ging an die Nachkommen von
Heinrich und Flora Schnabel.

Plötzlich auf Kuschelkurs mit dem Dorotheum

Ungereimtheiten gibt es in den vergangenen Jahren auch immer wieder, was das Verhältnis der IKG zum Dorotheum betrifft. So schrieb Jakubovits etwa noch im Dezember 2002 in einer OTS-Aussendung: „Es stünde dem Dorotheum gut an, wenn es seine Vorgangsweise ändern, sich seiner Vergangenheit stellen und insbesondere einen uneingeschränkten Zugang in seine Archive gestatten und im Übrigen im Falle des Schiele-Bildes „Bildstock, Häuser und Bäume“ seinen Beitrag dazu leisten würde, dass die Erben des Dr. Heinrich Rieger dieses Bild im Sinne der Gerechtigkeit möglichst rasch restituiert erhalten und den Beteiligten langwierige Gerichtsverfahren erspart bleiben.“

Schon im Jahr darauf war die Stimm­ungslage eine gänzlich andere. Als zwei in der Anlaufstelle beschäftigte Historikerinnen beim Zeitgeschichtetag in Salzburg ihre Forschungen zum Dorotheum präsentieren wollten, versuchte die IKG dies zu unterbinden. Als die beiden Forscherinnen auf ihrem Vortrag bestanden, musste zuvor von der Moderatorin der Veranstaltung eine Erklärung der IKG verlesen werden, wonach es sich bei dem Beitrag um die Privatmeinung der Historikerinnen handle.

Als wenig kooperativ beschrieben auch Gabriele Anderl und Alexandra Caruso im Vorwort zu dem von ihnen 2005 herausgegebenen Buch „NS-Kunstraub in Österreich und die Folgen“ die IKG beim Thema Dorotheum. So ist da zu lesen: „Überraschend zurückgezogen wurde auch der Beitrag einer Mitarbeiterin der ‚Anlaufstelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien für jüdische NS-Verfolgte in und aus Österreich‘, der uns verbindlich versprochen worden war und sich explizit mit den internen Vorgängen im Dorotheum während der NS-Zeit und dem Aufstieg des Hauses von einer Pfandleihanstalt zum führenden Auktionshaus im deutschsprachigen Raum in dieser Zeit befassen sollte. Die Sprecherin des Präsidiums der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Erika Jakubovits, begründete diesen Schritt damit, dass eine Publikation über das in ein laufendes Verfahren verwickelte Unternehmen nicht den Regeln des Anstands entspreche.“
Angesichts der Tatsache, dass es im Kunsthandel üblich ist, dass Vermittler zwischen Einbringern und Auktionshaus einen Prozentsatz der Provision des Auktionshauses erhalten, könnte dieser Sinneswandel in etwas anderem Licht erscheinen. Gegenüber NU dementiert Jakubovits hier aber auf der ganzen Linie. „Der Auftrag der Israelitischen Kultusgemeinde endet bei erfolgreicher Restitution. In jenen Fällen im Bereich Kunstrestitution, in denen sich die Erben zu einer Veräußerung dieser Kunstwerke entscheiden, treffen sie ihre Vereinbarung direkt mit den Auktionshäusern. Die IKG Wien ist weder Einbringerin, noch kennt sie die Verträge mit den Auktionshäusern.“
Erst im Mai dieses Jahres gelangte allerdings im Dorotheum das Gemälde „Totentanz 1809“ von Albin Egger-Lienz zur Versteigerung und erzielte den Rekordpreis von 912.000 Euro. Und dazu schrieb der „Kurier“ am 30. Mai 2006 u. a.: „ ,Nach intensiven Überlegungen hat sich die Besitzerin entschlossen, das Bild in Österreich anzubieten‘, berichtet Erika Jakubovits. Die Restitutionsfachfrau der Israelitischen Kultusgemeinde hat den Kontakt zum Dorotheum hergestellt. ‚Wien wurde als Auktionsort gewählt, weil die Besitzer hoffen, dass das Bild in Österreich bleibt und auch weiterhin öffentlich gezeigt wird.‘ “

Schwer erklären lässt sich in Zusammenhang mit obigem Dementi auch die rege Reisetätigkeit Jakubovits’. Im November – gerade zu der Zeit, als dieser Artikel entstand – befand sich die Restitutionsexpertin der IKG in New York, just in der Woche, als die Auktion der vier Klimt-Gemälde aus der Sammlung Bloch-Bauer sowie weiterer restituierter Kunst über die Bühne ging. Und so bleiben weiterhin viele Fragen offen.

WEB-TIPPS:
www.ikg-wien.at
www.restitution.or.at
www.dorotheum.at
www.christies.com
www.sothebys.com

Die mobile Version verlassen