Vom Zaun, den man als Mauer kennt

In einem Konflikt objektiv und neutral zu bleiben, fällt oft schwer. Im Nahostkonflikt ist es meist die palästinensische Seite, der medial mehr Verständnis entgegengebracht wird. Das war jedenfalls der Tenor einer Podiumsdiskussion, zu der das Internet-Medium „Die Jüdische“ (http://www.juedische.at) und die deutsche Organisation „Honestly Concerned“ (http://www.honestly-concerned.org) Ende Februar in Wien baten.
Von Alexia Weiss

Wenn in diesen Tagen über Israel berichtet wird, darf ein Begriff nicht fehlen: die Mauer. Sie soll es palästinensischen Terroristen erschweren, Attentate gegen Israelis zu verüben. Illustriert werden die Berichte mit Fotos einer imposanten Betonmauer, die hoch in den Himmel ragt.

Sacha Stawski von „Honestly Concerned“ rückte bei der Diskussion die Dimensionen zurecht: „97 Prozent dieses Sperrwalls bestehen aus Zaun und nur drei Prozent aus Mauer.“ Warum „Der Spiegel“ eine Grafik zu dem Thema daher mit „betonierte Sicherheit“ überschreibe, sei nicht nachzuvollziehen. Und: Dass zwischen Mexiko und den USA ebenfalls ein Zaun errichtet wurde, konnten die Leser der „Süddeutschen“ erfahren. In vielen anderen Medien werde diese Information aber meist vorenthalten. Für den Israel-Korrespondenten des ORF und des „Standard“, Ben Segenreich, scheint übrigens in Sachen Mauer „schon System dahinterzustecken“, wie er in der jüngsten Ausgabe des Magazins „Das Jüdische Echo“ schreibt. Denn jene Stücke des „Sicherheitszaunes“, die aus Mauer bestünden, müsse „man schon vorsätzlich suchen, um sie abzulichten. Man findet sie an zwei Punkten, bei Tulkarem und bei Kalkilia, und zwar deswegen, weil Lokalpolitiker dort zum Schutz ihrer Gemeinden schon Mauern hingebaut hatten, bevor im Juni 2002 die Errichtung des Zauns als staatliches Großprojekt in Angriff genommen wurde.“

Doch zurück zur Podiumsdiskussion. Hier rückt Ulrich Sahm, Korrespondent einer Reihe deutschsprachiger Medien in Jerusalem, darunter etwa der Fernsehsender ntv, einen weiteren, gerne in Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt gebrauchten Begriff in den Mittelpunkt: die Vergeltung. Ihm sei etwa aufgefallen, dass die deutsche Nachrichtenagentur dpa immer von Vergeltung durch Israel schreibe, auch wenn es sich, wie in einem nachweisbaren Fall, um einen „Präventivangriff“ gegen Vertreter der Hisbollah gehandelt habe. Die Nachfrage bei einem für die Agentur arbeitenden Kollegen habe ergeben: In der Zentrale sei beschlossen worden, durchgängig den Begriff Vergeltung zu verwenden. Und dieser werde vom Leser wiederum sofort mit dem Begriff Rache assoziiert.

Eine wahre Beispiel-Salve zog der aus Berlin berichtende israelische Journalist Eldad Beck aus dem Hut. „Es muss deutschen Journalisten sehr schwer fallen, das Wort Terrorist zu sagen, wenn es um Palästinenser geht“, meinte Beck etwa. Stattdessen sei von „Militanten“ und „Aktivisten“ zu lesen. Selbstmordattentäter, die einen Sprengsatz gezündet und zahlreiche Menschen mit in den Tod gerissen haben, würden in Medienberichten immer noch als „mutmaßliche Selbstmordattentäter“ bezeichnet. Und sind es in einem Konflikt „normalerweise zwei Seiten, die leiden“, werde im Nahostkonflikt von manchen Medien nur das palästinensische Leid gezeigt. Israelis dagegen würden nicht als Menschen dargestellt. Nach einem Attentat werde die Zahl der Opfer veröffentlicht. Darauf beschränke sich die Berichterstattung. Persönliche Informationen über die in den Tod Gerissenen und das menschliche Leid auf israelischer Seite interessierten selten. Jenes auf palästinensischer Seite dagegen schon. Gerne abgebildet würden daher arme, traurig dreinschauende palästinensische Kinder. Fast nie würden dagegen Fotos veröffentlicht, die kleine palästinensische Buben, hergerichtet wie kleine Kämpfer, mit Stirnband und bewaffnet, zeigen. Solche Aufnahmen würden Fotografen von den Palästinenser-Behörden auch verboten, schilderte Beck.

Der Israeli hat sich insgesamt nicht nur die Textberichterstattung seiner deutschen Kollegen, sondern auch die Bildauswahl in den Zeitungen näher angesehen. Einem Bericht über Wahlen in Israel werde eine Aufnahme ultraorthodoxer Juden an der Klagemauer beigefügt. Keine Rede davon, dass diese Gruppe nicht dem Großteil der israelischen Bevölkerung entspricht. Nach einem Attentat wird neben die Aufnahme einer trauernden Angehörigen eines Attentat-Opfers das Bild der weinenden Mutter des Attentäters gestellt – und damit die Situation der beiden Frauen gleichgesetzt.

Etwas verrückt scheint die Perspektive auch in folgender Schlagzeile, die von Stawski zitiert wurde: „Israelische Soldaten töten vier Palästinenser“. Erst im Lauf des Berichts erführen die Leser, dass die Palästinenser zuvor schwer bewaffnet in einen israelischen Armee-Posten eingedrungen waren. Ob es sich hier um latenten Antisemitismus handelt, wurden die Vertreter am Podium gefragt. „Es gibt in vielen Redaktionen jedenfalls eine antiisraelische Stimmung“, meinte dazu Beck. Und: Es gehe um „unglaubliche Ignoranz“. Segenreich nannte es in seinem Beitrag für „Das Jüdische Echo“ „Schlampereien mit Tendenz“. In den Berichten über den israelisch-palästinensischen Konflikt seien ihm in den letzten Jahren unzählige Irrtümer aufgefallen – „oft nur Geringfügigkeiten, Mosaiksteinchen, Wortfetzen, mit denen hastig irgendwo drübergewischt wird. Aufgefallen ist mir aber zugleich auch, dass diese Irrtümer in einer Einbahnstraße fahren – oft wirken sie so, dass Israel dadurch schlechter aussieht, kein einziger Fall ist mir in Erinnerung, in dem ein Journalist sich etwa ‚zugunsten‘ Israels geirrt hätte.“

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