Vom Stetl in die Traumfabrik

Sie schufen den Mythos Hollywood: Aus ärmlichen Verhältnissen kommend, kämpfte eine Gruppe armer, osteuropäischer Juden um die Erfüllung des Amerikanischen Traums im wahren Leben wie auf der Leinwand.
Von Danielle Spera

„Hollywood ist der Ort, an dem die Menschen sich verwandeln: von Schauspielern in Filmstars, von Menschen in Lichtgestalten. Aus Hollywood kommen Träume – und die werden in unsere Köpfe projiziert.“ Dieses Zitat des bedeutenden Kameramanns und Oscarpreisträgers Michael Ballhaus, versinnbildlicht sehr deutlich den Zauber, den die „Traumfabrik“ seit nunmehr einhundert Jahren auf die Menschen ausübt. Hollywood, eine Erfolgsstory, geschaffen von einer Gruppe junger Juden.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert kehrten sie der Armut und Tristesse ihres Lebens in Polen, Weißrussland oder Deutschland den Rücken, in der Hoffnung, eine neue aussichtsreiche Existenz beginnen zu können. Aus Groschenromanen hatten sie von Amerika erfahren – und vom Amerikanischen Traum: Jeder Mensch könne sich durch moralische Lebensweise, durch harte Arbeit und eigene Willenskraft sein Leben verbessern. Das Streben nach Glück würde dort jedem zugestanden und ist in der Unabhängigkeitserklärung der USA festgeschrieben.

Harry Cohn (Columbia), Samuel Fuchs (Fox), Shmuel Goldfisch (Goldwyn), Louis B. Mayer (MGM), Harry, Albert, Sam und Jack Warner (Warner Bros.), Carl Laemmle (Universal) und Adolph Zukor (Paramount) waren die Studiogründer und Film-Mogule. Ihrem Gespür und ihrem Tatendrang ist die Entwicklung der Filmbranche zu einem aufregenden, weltumspannenden Erfolgsprodukt zu verdanken.

Die auf den ersten Blick recht unterschiedlichen Männer erwiesen sich als homogene Gruppe. Alle waren Juden, die meisten mit osteuropäischen Wurzeln, in bitterer Armut aufgewachsen, mit der Erfahrung des Scheiterns, des Elends und ohne väterliches Vorbild. Und sie alle wollten sich bedingungslos von ihrer Vergangenheit abwenden, sie wollten Amerikaner sein. Durch ihren Drang nach Anpassung hatten sie vielleicht ein besonderes Gefühl für die Hoffnungen, Träume und Ziele der Einwanderer, der Arbeiter, des jungen, urbanen, multiethnischen Publikums, denen der Zugang zur Kultur oder zu gesellschaftlichem Status verwehrt war.

Zum Film kamen die jüdischen Pioniere zufällig. Sie verdienten ihr Geld im Pelzhandel oder durch Gelegenheitsarbeiten. Die Wundermaschine Edisons hatte noch gar nicht begonnen, Wirkung zu zeigen. Die jungen Einwanderer aber erkannten den Wert der Amüsierhallen und das Potenzial der bewegten Bilder, die ein erschwingliches Vergnügen für die armen Leute waren. Sie funktionierten die Spielsäle in Vorführhallen um, in denen sie kurze Filme zeigten. Das Rezept war, wie es der große Filmpionier und Gründer von Universal, Carl Laemmle, formulierte, einfach: „Nimm Eintritt von den Leuten und bring sie zum Lachen, alle wollen lachen.“

Ihre Armut sahen sie als Chance. Für ihren Start brauchten sie kaum Kapital. Im aufkeimenden Filmgeschäft gab es keine sozialen Schranken, sie wurden als gleichwertig anerkannt. Mit Tatkraft und Geschäftssinn konnten die jüdischen Einwanderer mit wenig Geld viel erreichen, auf einem der wenigen Gebiete, das nicht von der Elite der weißen angelsächsischen Protestanten beherrscht war. Fleiß und Einsatz bringen Erfolg – eben den Amerikanischen Traum. Den Erfolg muss man nur wollen, war ihr Credo.

Diesen Traum, ihr Idealbild von Amerika, ihr Idealbild der Familie, haben sie später in ihren Filmen festgehalten: beständige Beziehungen, starke, anständige Väter, hingebungsvolle Hausfrauen und Mütter, respektvolle und gut erzogene Kinder. Dieses Idealbild des American Way of Life, wie sie sich es vorstellten, hatten sie in ihrer Kindheit nicht einmal annähernd erfahren. Ihre eigenen Väter waren berufliche und familiäre Versager, konnten ihren Kindern keine Wärme und Liebe geben, sie waren daher früh erwachsen geworden. Schon als Jugendliche sind sie in ein komplett neues Leben aufgebrochen und das sollte radikal anders sein, als das alte, nichts sollte mehr daran erinnern. So setzten sie den American Way of Life für sich um: Für die Studiobosse war Familie etwas Heiliges, die klassische Familie, in der sich der Mann um alles kümmert und die Ehefrau zu Hause bei den Kindern bleibt.

So kam es auch, dass jene Männer, die so gar nichts an Familienleben erlebt hatten, ihre Studios wie Familienbetriebe führten. Dort gab es ein enges Gefühl der Zusammengehörigkeit. Aus ihrem Verlangen nach Sicherheit entstand der Wunsch, sich eine Fantasiewelt zu schaffen, die auf den eigenen Träumen und Überzeugungen beruhte: Tugend, Familie, Loyalität, Tradition, Amerika! Um Assimilation waren sie geradezu verzweifelt bemüht. Für die sogenannte etablierte amerikanische Gesellschaft blieben die Juden dennoch Außenseiter. Der Film schien das einzige Mittel zur Anerkennung in einer Gesellschaft, an der sie mit allen Mitteln teilhaben, dazugehören wollten.

Für die nichtjüdische bürgerliche Gesellschaft blieben Filme aber nichts weiter als Kuriositäten und vor allem eine Brutstätte für das Laster, für das die Juden verantwortlich gemacht wurden. Die Integration blieb ihnen verwehrt, sie mussten immer mit dem quälenden Gefühl der Benachteiligung und des Außenseitertums kämpfen. Ihr Bedürfnis, in das Innere der Gesellschaft vorzustoßen, spornte sie an, immer mehr zu bieten. Man schrieb sich auf die Fahnen, Qualität zu bieten, nach Perfektion zu streben, Kunst um der Kunst willen zu schaffen, wie das Motto von MGM lautete – Ars gratia artis. Carl Laemmle, der Gründer von Universal sagte dazu in einem Interview: „Mir lag viel daran, mir einen Namen zu machen, der für das Beste an Unterhaltung stehen würde, was man irgendwo auf der Welt finden konnte.“

Anfang des 20. Jahrhunderts begann der Weg von der Ostküste in den Westen. In New York hatten sich unter der Leitung von Thomas Edison zwei Filmgesellschaften zusammengeschlossen, um mit allen Patentrechten bestückt den Filmmarkt unter ihre Kontrolle zu bringen. So verlagerten die jüdischen Produzenten kurzerhand ihre Herstellung nach Kalifornien. Die Konstellation dort war wie geschaffen für dieses Metier. Das Leben lief im Vergleich zur Ostküste zwar provinziell ab, dafür aber umso unkomplizierter. Es gab weniger Vorbehalte gegen Juden. Das Bauland war billig und vor allem das Wetter spielte immer mit – man konnte das ganze Jahr über Dreharbeiten im Freien durchführen. In Hollywood, einem Vorort von Los Angeles, fanden die Produzenten ihr Eldorado. Als wenige Jahre später das Monopol Edisons für ungültig erklärt wurde, waren die Wege für den Erfolg schon längst geebnet. Die großen Studios konnten gebaut, Filme wie am Fließband produziert werden, das Geschäft boomte.

Getrieben von der Angst, dass ihnen alles wieder genommen werden könnte, der Angst vor Einsamkeit, wurden Geschäfte prinzipiell untereinander gemacht. Dass Juden lieber mit Juden arbeiteten, schürte den Antisemitismus, es entstand – auch in Kalifornien – Unmut. Filme wurden als schmutziges Zeug verunglimpft. Die jüdischen Filmemacher seien arrogant, laut und schrill und würden die Mädchen verderben. Auch weiterhin blieb ihnen der Zugang zu guten Schulen und Clubs verwehrt, was die jüdischen Filmmogule dazu brachte, sich einen eigenen Club zu gründen, den Hillcrest Country Club. Groucho Marx sagt dazu den vielzitierten Satz: „Ich möchte nicht Mitglied eines Clubs sein, der mich aufnimmt.“

Die etablierte nichtjüdische Gesellschaft blickt weiterhin mit Geringschätzung auf Hollywood herab. Der erste Tonfilm „The Jazz Singer“ zeigt das komplexe Verhältnis zwischen der assimilierten Lebensweise und der Vergangenheit. Kein anderer Film macht die Schwierigkeit, mit sich ins Reine zu kommen, besser deutlich. Das Judentum steht für die Vergangenheit, das Showgeschäft für die Zukunft. Gefangen zwischen altem und neuem Leben gerät der Jazzsinger in einen Gewissenskonflikt. Am Broadway hat er Karriere gemacht und nun soll er ausgerechnet am höchsten jüdischen Feiertag, dem Jom Kippur, an dem Arbeit für Juden verboten ist, dort auftreten. Doch in diesem Film gibt es ein Happy End: Der Jazzsinger kann zu Jom Kippur in der Synagoge singen, die Premiere seiner Show wird auf den nächsten Abend verschoben. Die wichtigste Botschaft dieses Films ist das Credo der jüdischen Produzenten: Amerika kann uns neu definieren, neu erschaffen. In diesem ersten Tonfilm finden die Spannungen zwischen Pflicht und Ehrgeiz, alt und neu, Judentum und Amerika den klarsten, exemplarischen Ausdruck.

Filmemachen wurde zur Metapher für das eigene Leben, für die imaginäre Verwandlung, der dieses Leben unterworfen wurde. Die jüdischen Filmmogule lebten ihre Filme. Ihr Reichtum war ihr Weg in die vornehme Gesellschaft, es war ihr Weg, sich aus dem osteuropäischen Judentum heraus- und nach Amerika einzukaufen. Die Söhne der Studiobosse bekamen eine gute Ausbildung, die Rolle der Töchter blieb auf den Haushalt beschränkt, die Familien lebten wie Vögel im goldenen Käfig. Das gesamte Leben wurde zur Inszenierung. Privater Umgang diente in erster Linie dazu, den eigenen Status zur Schau zu stellen, nur der Erfolg zählte, eine stehende Redewendung spricht von der „Generation von Polen zum Polo“. Die Nachahmung der Ostküsten- Aristokratie sollte die Tore zur Gesellschaft aufstoßen, doch haftete dem Showgeschäft weiterhin ein Makel an. Auch wenn sich die jüdischen Filmmogule mit dem Wilshire Boulevard Temple eine eigene Synagoge schufen, die von einem Filmausstatter mit gigantischen biblischen Szenen ausgestattet wurde und einen eigenen Rabbiner für sich hatten, fühlten sie sich dem Filmbusiness mehr verpflichtet als dem Judentum. Selbstverständlich wurde an Tagen, an denen laut jüdischer Religion keine Tätigkeit verrichtet werden darf, wie am Schabbat oder Jom Kippur, gearbeitet. Das größte Fest, das in den Studios groß gefeiert wurde, war Weihnachten, das wichtige jüdische Pessachfest mit seinen feierlichen Sederabenden wurde nicht begangen.

Ihr schwieriger Umgang mit der eigenen Religion führte dazu, dass sich abgesehen vom „Jazzsinger“ in kaum einer Hollywood-Produktion der 1920er- und 30er-Jahre jüdische Charaktere finden. Obwohl die Produzenten, viele Schauspieler und Regisseure Juden waren, wollten sie alles Jüdische aus ihrem Bild Amerikas löschen und ausblenden. Erst das Aufkommen des Nationalsozialimus und der Holocaust sorgen dafür, dass eine Diskussion über die Darstellung von Juden im Film beginnt. Vorerst ringen sie sich nur sehr zögerlich durch, in Filmen gegen den Nationalsozialismus aufzutreten. Jedenfalls helfen sie – auch durch großzügige finanzielle Hilfe – mit, Juden aus ihren Heimatorten die Flucht in die USA zu ermöglichen. Vielen jüdischen Schauspielern und Regisseuren gelingt es, Hollywood zu erreichen, vielen steht dort eine große Karriere bevor. Der Holocaust allerdings wird in den Filmen erst spät thematisiert. In den frühen 50er-Jahren setzte der republikanische Senator Joseph McCarthy mit seiner erbarmungslosen Kampagne gegen Kommunisten die Studiochefs unter Druck. Juden und Kommunisten wurden in dieser Hetzjagd in einem Atemzug genannt. Hollywood wurde zum idealen Opfer, die Filmmogule von ihrer Angst eingeholt. Viele von ihnen wollten sich nicht verdächtig machen, sondern sich als besondere Patrioten hervortun. So schwärzten viele Studiobosse ihre Kollegen an oder denunzierten sie. Mit diesem dunklen Kapitel geht auch das Goldene Zeitalter Hollywoods zu Ende, den Söhnen der Studiogründer sind die Fußstapfen ihrer Väter zu groß. Nach einer Klage erklärt der Oberste Gerichtshof der USA die Trennung der Studios von den Kinoketten. Das bestehende Studiosystem wird aufgelöst, zusätzlich sorgt der Siegeszug des Fernsehens für den Niedergang der Filmindustrie.

Doch nur vorübergehend. Denn mit Produzenten wie Lew Wasserman oder Regisseuren wie Billy Wilder oder später Steven Spielberg und Woody Allen, deren Filme große Begeisterung auslösen, erholt sich die Industrie und wieder sind es oft Filme mit den Inhalten der Gründerväter, die für Furore sorgen: Aus ärmlichen Verhältnissen kommend, kämpft man um Erfüllung eines Traums und gelangt schließlich zum Erfolg – Happy End garantiert. Heute gehören die Studios in Hollywood riesigen Medienkonzernen, eine gigantische Unterhaltungsindustrie, die global agiert. „Hollywood ist der imaginäre Ort, an dem Träume Gestalt annehmen, die Traumfabrik der Welt und doch auch nur das Synonym für einen lukrativen Wirtschaftszweig der USA, die Filmwirtschaft“, sagt der Filmwissenschaftler Jan Christopher Horak. Geprägt wurde die Traumfabrik von den großen jüdischen Produzenten der Gründerjahre. Sie wollten vor allem nicht als die Geschäftemacher gesehen werden. Ihrem Einfallsreichtum und ihrer Fantasie durfte nichts im Weg stehen, die Regisseure betrachteten sie als Befehlsempfänger. So begann der Produzent Harry Cohn zu toben, als die Schauspielerin Shelley Winters schwärmte, Frank Capra sei das Meisterwerk „Es geschah in einer Nacht“ zu verdanken. „Ich habe den Film gemacht. Capra hat nur Regie geführt. Vergessen Sie nie, dass der Produzent der wichtigste Mann bei einem Film ist!“

Lebendig bleibt bis heute der Traum. Die Kreativität einer Gruppe osteuropäischer Juden, die vor einhundert Jahren in Amerika ihr eigenes Leben neu erfinden wollte und damit bis heute die Fantasie der Menschen beflügelt. Dass das in Europa nicht möglich war, beschreibt der deutsche Regisseur Wim Wenders – nicht ganz ohne Enttäuschung – in einem Essay: „Keine andere Kultur hat heutzutage so viel Macht wie die des Bildes. Bücher, Zeitungen, Theater … nichts kommt auch nur annähernd heran an die Macht der bewegten Bilder, des Kinos und des Fernsehens. Warum ist nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt ‚ins Kino gehen‘ synonym mit ‚einen amerikanischen Film sehen‘?! Weil die Amerikaner schon vor langer Zeit begriffen und das radikal umgesetzt haben, womit die Menschen bewegt werden, womit man sie zum Träumen bringt. Der ganze ‚Amerikanische Traum‘ ist eine Erfindung des Kinos, den inzwischen die ganze Welt träumt.“

Wenders stellt die Frage: „Wer träumt den ‚Europäischen Traum‘? Überlässt Europa das Schlachtfeld der Bilder den anderen?“ Vielleicht ist diese Frage aber ganz einfach zu beantworten. Die (ost-)europäischen Juden haben ihren Traum nach Amerika mitgebracht. Dort – und vermutlich nur dort – konnten sie verwirklichen, was Europa ihnen verwehrt hat.

BIGGER THAN LIFE.
100 Jahre Hollywood. Eine jüdische Erfahrung

19.10.2011 – 15.04.2012

Jüdisches Museum Wien
Dorotheergasse 11
1010 Wien

Öffnungszeiten:
Sonntag bis Freitag, 10:00-18:00 Uhr
Samstag geschlossen

www.jmw.at; info@jmw.at

BIGGER THAN LIFE ist eine Ausstellung über eine der wichtigsten Kulturgeschichten des 20. Jahrhunderts und führt die BesucherInnen hinter die Kulissen.
Zu sehen sind wesentliche Filme, riesige, bisher noch nie gezeigte Filmplakate aus der Stummfilmzeit und überraschende Exponate.

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