Vom Match IKG gegen Chabad Lubawitsch

Von Martin Engelberg

In diesen Wochen und Monaten finden wichtige Fußballspiele statt: Europacup, Champions League, Europameisterschaften. Es geht um gewaltige Summen Geldes, Nationalstolz, nachgerade um die finanzielle und emotionale Existenz von Dutzenden Millionen Menschen. Da darf eine Analyse der wichtigsten Partie in unserer Gemeinde nicht fehlen – das Match lautet: IKG gegen Chabad Lubawitsch.

Aufstellung: Die Position des Teamchefs ist von größter Bedeutung. Strategisch denken muss er können. Alles bis ins kleinste Detail durchdenken, die Stärken und Schwächen der eigenen Spieler und jene des Gegners kennen und berücksichtigen. Ein Gespür haben für seine Leute und die anderen. Gscheit muss er sein, ruhig und besonnen, Schreihälse sind out. Dieses Duell entscheidet Rabbiner Bidermann fraglos für sich und sein Team. Ein glattes 0:1.

Hinsichtlich der Atmosphäre, des menschlichen Umgangs trifft mit dem IKG-Team ein Blinder nicht auf einen Einäugigen, sondern mit Chabad Lubawitsch auf einen besonders gut Sehenden. Einen menschlichen Umgang mit den Spielern, Angestellten, Fans, Zuschauern gibt es im IKGTeam nicht. Feinfühligkeit, Sensibilität, etwas, was man unter Fußballern „Neschume“ nennt, liegt im IKG-Team außerhalb des Wahrnehmungsbereichs, wie UV-Licht für das menschliche Auge. Hier punktet Chabad Lubawitsch voll: Spieler und Fans werden intensivst menschlich betreut. Man lädt sie nach Hause ein, steht ihnen in der Not bei, versorgt sie und spricht dabei fast nie direkt über Fußball. Was Wunder: Die Spieler sind beseelt und einsatzfreudig wie keine anderen, die Fans enthusiastisch und unterstützend und werden zahlenmäßig immer mehr. Fazit: ein Schuss aufs leere Tor – es steht 0:2.

Sehr stark unterscheidet sich auch die Vereinsstrategie in den beiden Teams: Das Team IKG scheut keine Mühe und Kosten. Spieler mit besten Namen werden akquiriert, fühlen sich aber dann oft nur als Staffage. Es werden enorme Summen Geldes in immer neue Trainingszentren, Stadien, Nachwuchsförderungen gebuttert, auch wenn viele dann leer stehen. Chabad Lubawitsch agiert genau umgekehrt: Die Spieler stammen ausschließlich aus den eigenen Nachwuchszentren, sind bestens trainiert, beseelt von ihrer Aufgabe. Es geht darum, die Menschen für Fußball zu begeistern. Finden sich dann welche, die spielen wollen, kommt auch das Geld für die notwendigen Einrichtungen. Langfristig viel erfolgreicher: Chabad Lubawitsch. Es steht bereits 0:3.

Ganz anders verhält es sich bei der Flexibilität der beiden Teams. Hier sind die Möglichkeiten des Chabad-Lubawitsch-Teams, welches an einem sehr orthodoxen und letztlich rigiden Fußballspiel festhält – fest- halten muss! – ,eingeschränkt. Da werden im Vergleich die IKG-Kicker, unter Mithilfe des geistigen Oberhauptes, mit der Fähigkeit zu breiten Spagaten, mitunter zu südamerikanischen Ballesterern. Der Anschlusstreffer für IKG: 1:3.

Auch hinsichtlich der demokratischen Struktur der beiden Vereine liegt das IKGTeam voran. Wenn auch die derzeitige Vereinsführung vielleicht nicht unbedingt als Lehrmeister demokratischen Verständnisses anzusehen ist, haben die Vereinsmitglieder alle vier Jahre die Chance, eine neue Führung zu wählen. Der Entscheidungsträger bei Chabad Lubawitsch ist jedenfalls außer Reichweite. Ein weiteres Tor für IKG: 2:3.

Die jeweiligen Spielstile könnten unterschiedlicher nicht sein: Hier die Bulldozer der IKG – Kugel nach vorn, dreschen – wir wissen zwar nicht wie und was, sind aber schneller dort: Der Trainer befindet sich selbst auf dem Spielfeld, er ist gleichzeitig auch Kapitän und Schiedsrichter (die Mitspieler eher Staffage). Er haut sich ordentlich rein und scheut auch das eine oder andere Foul nicht. Frei nach dem Motto: „Der Feind ist überall und muss entsprechend bekämpft werden.“ Dort die Techniker von Chabad Lubawitsch:

feinster Spielaufbau, immer totales Understatement. Dem Trainer gelingt es sogar, dem Gegner glaubhaft zu machen, dass seine Mannschaft gar nicht gewinnen will, man möge sie nur ab und zu – und jedenfalls lediglich in der eigenen Spielhälfte – mit dem Ball spielen lassen. Man ist freundlich, äußerst nett zu allen und pflegt sogar Kontakt zu den gegnerischen Spielern. Das Spiel ist beherzt, technisch auf hohem Niveau. Bei aller Leichtigkeit und Freude am Spiel fällt eine unglaubliche Entschlossenheit auf. Fast ohne es zu merken scorten wieder Chabad Lubawitsch – 2:4.

Und jetzt zum tatsächlichen Spielverlauf: Es geht einigermaßen chaotisch zu. Dramatische, ja historische Situationen, für die sich sogar die in- und ausländische Öffentlichkeit interessiert, wechseln mit Momenten, die geprägt sind von dilettantischem Gekicke. Es gibt üble Fouls und dann wieder Verbrüderungen. Ständig laufen völlig unmotiviert und unkontrolliert neue Spieler aufs Feld, andere verschwinden. Permanent gefährliche Eigentor-Situationen. Auf dem Spielfeld wird geschrien, gelacht, geweint, aber auch gegessen und getrunken. Immer wieder beginnen sich Spieler, auch gegnerische, miteinander zu unterhalten. Angeblich sollen auch schon welche inmitten des Spiels in die Kantine gegangen sein. In Fußballersprache: „Es tit sach eppes“ (Es spielt sich einiges ab) auf dem Spielfeld. Bis – für die IKGler völlig überraschend – die ersten Chabad-Lubawitsch-Tore fallen.

Der Chabad-Lubawitsch-Trainer fragt: „No und wenn einer plötzlich allein vor dem Tor steht, soll er vielleicht kein Tor schießen?“. Es kommt aber noch besser: „Warum spielen wir überhaupt gegeneinander?“, fragt er. „Warum spielen wir nicht alle auf ein Tor?“ Chabad Lubawitsch spielt bereits auf dem ganzen Spielfeld. Einige IKGler lassen sich überzeugen und wechseln die Mannschaft. Zunehmende Teile des Publikums sympathisieren zunehmend mit Chabad Lubawitsch. Das aber ist den IKGlern zu viel. Spielregeln gelten forthin überhaupt keine mehr, totaler Kampf ist angesagt. Man versucht, mit allen Mitteln den Chabad Lubawitschern die Leiberln auszuziehen und wegzunehmen.

Bei Redaktionsschluss war das Spiel gänzlich unübersichtlich geworden. Von Neuaustragung, neuen Regeln, Spiel in zwei verschiedenen Stadien usw. war die Rede. Das Publikum begann abzuwandern und wandte sich anderen Sportarten zu.

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