Verstaubt bis zur Peinlichkeit

In der Auschwitz-Gedenkstätte präsentiert sich Österreich immer noch als erstes Opfer Hitlers. Eine zeitgemäße Darstellung der österreichischen Mittäterschaft am Nationalsozialismus fehlt. Eine Neuaufstellung scheitert an den Kosten – und am politischen Willen.
Von Irene Brickner und Peter Larndorfer (Fotos)

Dort, im Erdgeschoß eines jener roten Backsteinbauten, die im KZ als Häftlingsunterkünfte errichtet und von der polnischen Museumsverwaltung später zu Räumlichkeiten für die verschiedenen nationalen Ausstellungen umfunktioniert wurden, marschieren gleich am Eingang auf einem überdimensionalen Bild martialische deutsche Stiefel über eine Landkarte des 1945 wiederauferstandenen Alpenstaates. „11. März 1938. Österreich – erstes Opfer des Nationalsozialismus“, wird in riesigen Lettern auf Deutsch und Polnisch kundgetan.

Daneben wurde ein Banner installiert: „Die Darstellung der Jahre 1938 bis 1945 … entspricht nicht mehr dem historischen Selbstverständnis des heutigen Österreich … Der Perspektivenwechsel im Umgang mit der NS-Vergangenheit soll in einer Neugestaltung der Gedenkstätte zum Ausdruck gebracht werden, die derzeit konzipiert wird“, lässt darauf das „Generalkonsulat Kraków“ wissen. „Es erschien uns am besten so“, erinnert sich der damalige österreichische Generalkonsul in Polen, Emil Brix, der an der Anbringung dieses Beipacktextes am 15. November 2005 beteiligt war, „man konnte diese Schau doch nicht weiterhin unkommentiert stehen lassen.“

Doch dabei ist es seither geblieben. An der 1978 auf Initiative Bundeskanzlers Bruno Kreisky von Justizminister Christian Broda eröffneten Schau wurde bisher nichts geändert: Schlecht beleuchtet und recht verstaubt gibt sie weiterhin das Geschichtsbild der Vor-Waldheimzeit wieder. Mit einem Blick, der politisch von links kommt: Viel Platz für den Antifaschismus schon vor dem „Anschluss“, im Spanischen Bürgerkrieg und gegen den autoritären Ständestaat.

Ein weiterer Schwerpunkt kommt dem politischen Widerstand von Österreicherinnen und Österreichern in der NS-Zeit zu, vor allem im Lager Auschwitz – mit männlichen Häftlingen als Kämpfer und weiblichen Häftlingen als Helferinnen. Breite Erwähnung finden auch die Befreiung und die Wiederauferstehung der österreichischen Nation. Nur eine einzige Vitrine hingegen erinnert an die rund 11.000 Jüdinnen und Juden, die in Auschwitz ermordet wurden – ihre genaue Zahl ist immer noch unbekannt: Zu sehen ist das Ewige Licht, umrahmt von Taletim und einem halbverbrannten Gebetbuch in ungarischer und hebräischer Sprache. Nur erwähnt werden die getöteten Roma und Sinti: Die zentrale Rolle von Auschwitz als Vernichtungsstätte im Rahmen des organisierten Völkermords steht ebenso wenig im Mittelpunkt der Schau wie die Auseinandersetzung mit dem österreichischen Mitläufertum in der NSZeit und Nazitätern österreichischer Herkunft.

Dies sind auch die Hauptkritikpunkte von Brigitte Bailer-Galanda an der Ausstellung. Die Leiterin des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DöW) betrachtet eine den tatsächlichen Ereignissen adäquate Darstellung der Opfer sowie die „Einbeziehung der Täterseite“ als die großen Herausforderungen und Dringlichkeiten einer Neugestaltung. Österreich nehme hier eine Sonderrolle ein, betont sie. Kein anderes Land, das in Auschwitz eine nationale Ausstellung hat, sei bei der historischen Aufarbeitung derart stark mit diesen beiden Thematiken konfrontiert. Sie spricht hier von „beachtlichem Forschungsbedarf“.

Dass das offizielle Österreich bisher keinen Schritt in diese Richtung unternommen habe, sei sträflich, meint die DöW-Chefin. Denn das ehemalige KZ Auschwitz und das dortige Museum würden „von alljährlich immer mehr Menschen besucht“. 1,2 Millionen Besucher seien es etwa 2007 gewesen, mit einer Verdopplung der Zahlen nach dem Beitritt Polens zur EU. „Das macht den Zustand der Auschwitz-Gedenkstätte im Grunde zunehmend zu einem außenpolitischen Problem“, meint die Expertin.

Außerdem gehöre die Österreich-Ausstellung zusammen mit jener der (Ex)-UdSSR und Ex-Jugoslawiens zu einer der drei letzten nicht erneuerten nationalen Schauen auf dem Gelände des einstigen größten KZ-Komplexes der Nationalsozialisten. Seit 2001 wurden dort sieben länder- und themenspezifische Gedenkstätten überarbeitet und neu eröffnet: Neben jenen Tschechiens und der Slowakei, Ungarns, Frankreichs, Belgiens und der Niederlande auch eine, die an die ermordeten Roma und Sinti erinnert.

Immerhin hat sich aber inzwischen auf konzeptueller Ebene etwas getan. Zusammen mit den Historikern Bertram Perz und Heidemarie Uhl hat Bailer-Galanda ihre Analysen und Überlegungen zur Ausstellungserneuerung in einen Projektendbericht gepackt, der seit Juni 2008 vorliegt. Finanziert vom Nationalfonds der Republik auf Initiative von dessen Leiterin Hannah Lessing, findet darin eine pointierte Auseinandersetzung mit der Geschichte der Gedenkstätte statt.

Etwa mit den Impulsen und Hemmungen, die für das Projekt von den Konflikten innerhalb der Linken ausgingen. Diese, so Bailer-Galanda, seien untrennbar mit der Person des ehemaligen Auschwitz- Häftlings und Funktionärs des Internationalen Auschwitz-Komitees (IAK), Hermann Langbein, verbunden gewesen. Als Langbein 1958 aufgrund seines Protestes gegen den Geheimprozess gegen den ungarischen Politiker Imre Nagy aus der Kommunistischen Partei Österreichs ausgeschlossen wurde, versandeten die damals bereits konkreten Gedenkstättenpläne für zwanzig Jahre: „Langbein wurde jahrelang nicht mehr nach Polen hineingelassen.“

Auch den Gründen für die einseitig „martyrologische“ Ausrichtung des Ausstellungskonzepts gehen die Endberichtautoren nach. Bestimmend sei hier der Anspruch gewesen, „historische Aufklärung mit sinnstiftender Wertevermittlung zu verbinden“ – unter anderem mit der Absicht, der Jugend Orientierung zu geben. Doch diese Absicht sei Hand in Hand mit dem „Missbrauch von Gedenkstätten für staatliche Symbolpolitiken“ gegangen. Langbein selbst hatte das später erkannt: „Im österreichischen Gedenkraum in Auschwitz haben wir übrigens Fehler gemacht: Da ist nur der Widerstand, Widerstand – aber dass es Österreicher gab, die in entscheidender Funktion in Auschwitz in der SS tätig waren, kommt nicht vor. Das müsste repariert werden“, sagte er 1993.

Diese Reparatur steht heute, 16 Jahre später, konkret an. Dazu notwendig, so Bailer-Galanda, sei „ein Vertrag zwischen einem österreichischen Ministerium oder einer von ihm beauftragten Stelle mit dem Museum in Auschwitz“ – sowie „an die 800.000 Euro“. Was den Vertrag angeht, sehen weder Brix – inzwischen in der kulturpolitischen Abteilung des Außenministeriums tätig – noch Waltraud Ortner aus dem Kabinett des Bundeskanzlers ein großes Problem: Man werde sich schon einigen.

Schwieriger lässt sich die Geldfrage an. Konkrete Zusagen gibt es für die Neugestaltung bisher noch keine. „Am besten wäre, wenn nach den Wahlen und einer Regierungsbildung der Ministerrat die Auschwitz-Ausstellungserneuerung beschließt“, schlägt deshalb Hannah Lessing vor: „Das wäre ein Finanzierungsaufruf an alle Player gleichermaßen.“

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