Unmöglich, Pazifist zu sein

Von Eva Menasse

Wer einen Säugling zu Hause hat, der kommt nicht mehr ins Kino. Auch die liebevoll von der besten Freundin vorbeigebrachten DVDs verstauben seit der Geburt des Söhnchens im Regal. Wessen man sich aber nirgendwo entziehen kann, ist die empörend einseitige Berichterstattung über den Nahen Osten. „Israel greift an zwei Fronten an“, hieß es zu Beginn in der „Süddeutschen Zeitung“ – Henryk Broder wies darauf hin, dass es heißen müsste: „Israel verteidigt sich an zwei Fronten“, aber hat ihn irgendjemand gehört?

„Auch heute wieder hinterließen israelische Bomben in Beirut ein Bild des Schreckens“, berichten die deutschen TV-Nachrichten. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals solche Ausdrücke im Irakkrieg (gegen den wir Europäer doch alle so einmütig waren!) verwendet wurden, obwohl die Amerikaner in Bagdad gewiss auch „Bilder des Schreckens“ hinterlassen haben. In deutschen Zeitungen wird zwar auf den Meinungsseiten das ganze komplizierte Dilemma dieses Krieges durchbuchstabiert, doch die Schlagzeilen vorne sprechen überall dieselbe tendenziöse Sprache. Es scheint nichts anderes zu berichten zu geben, als das, was Israel tut, Israel, der Täter. Israel greift an, Israel wirft Bomben, Israel fliegt Einsätze – „Israel riegelt den Südlibanon ab“ – mit mindestens ebenso viel Berechtigung könnte man titeln: „Israel nimmt Terroristen-Hochburg ein“. Klingt irgendwie anders, oder?

Berichtet wird, dass Israel eine sofortige Feuerpause ablehnt und welche Bedingungen es an einen UNO-Einsatz knüpft, der Libanon hingegen „scheint nur aus Frauen und – vorzugsweise toten – Kindern zu bestehen“ (Tjark Kunstreich). Warum gibt man der Hisbollah viel weniger medialen Raum? Weil deren hysterischer Fanatismus, der nur aus den Worten Vergeltung, Vernichtung, Märtyrertod besteht, in europäischen Wohnzimmern zu sehr befremdet? Weil uns unsere eigene westliche Ohnmacht zu sehr deprimiert, ja ängstigt, da es so offensichtlich für die UNO und andere Vermittler bei Hisbollah und Hamas nichts zu vermitteln gibt?

Imre Kertész, der ungarische Nobelpreisträger, spricht bereits von „Euro-Antisemitismus“. Den Israelis wird unterschwellig sogar übelgenommen, dass sie weniger Opfer beklagen als die so genannte Zivilbevölkerung im Libanon. Wer stärker ist, muss schuld sein. Doch wenn Israel kein hochaggressives Militär, nicht Bunker für einen Großteil der Bevölkerung hätte, wäre es längst von der Landkarte verschwunden – genau was die Verbrecher, die ihre eigene Bevölkerung als Schutzschild verwenden, anstreben.

„Krieg ist Scheiße“, schrieb die deutsche Publizistin Renée Zucker unlängst und redet damit einem völlig sinnentleerten Luxus-Pazifismus das Wort, der allerdings weitverbreitet ist unter allen, die aus sicherer Ferne kommentieren und nicht in nordisraelischen Bunkern schmoren. Denn wie sagte, in höchster Verzweiflung über die Lage ihres Landes, die israelische Autorin Zeruya Shalev: „Es ist schwierig, Pazifist zu sein, wenn jemand dich töten will.“ Es ist nicht schwierig, es ist unmöglich.

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