Und die Synagoge wurde zum Feuerwehrhaus

In Hohenems zeigt ein bemerkenswertes Museum die Geschichte der Juden in der Gemeinde. Die Darstellung eines jüdischen Mikrokosmos, in dem sich die Geschichte der Juden Mitteleuropas widerspiegelt. Die Migration ist ein wichtiges Thema: Nach den Juden kamen die Italiener, viel später dann die Türken nach Hohenems. Ihnen ist derzeit eine Sonderausstellung gewidmet.
Von Rainer Nowak

Ein Frankfurter Museumsdirektor in einer Ein-paar-Tausend-Seelen-Gemeinde? Das ist noch vorstellbar. Ein jüdisches Viertel in einer kleinen Stadt in Österreich? Gut, das kann es gegeben haben. Geschichte, die aufgearbeitet wird? Auch ihre dunkle Seite? Soll vorkommen, wenn auch selten. Aber ein jüdisches Museum mit Frankfurter Direktor mit zeitgeschichtlich und politisch brisanten Sonderausstellungen? Klingt nicht sehr wahrscheinlich, gibt es aber: In Hohenems steht das vermutlich bemerkenswerteste jüdische Museum Mitteleuropas. Direktor Hanno Loewy erzählt die 300 Jahre dauernde Geschichte mit einer sonoren Erzählerstimme wie einst Axel Corti – er kann kleine lebendige Geschichten mit Aussagekraft oder die trockenen historischen Fakten darlegen. Dass etwa die jüdische Synagoge in den 50er Jahren zum Feuerwehrhaus mutierte, als späte Umsetzung eines alten Plans in der NS-Zeit. Oder dass die Geschichte der Juden in Hohenems rund 300 Jahre dauerte. Sie begann 1617 mit der Ansiedelung der ersten Juden, weil die Reichsgrafen zu Hohenems ihre Stadt wirtschaftlich nach vorne bringen wollten. Und sie endete 1942, als die letzte jüdische Bewohnerin der alten Textilstadt, die alte Frau Rosenthal, ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und dort ermordet wurde. Damit hätte die Geschichte der Juden auch geendet, wenn sich nicht Jahre später einige Hohenemser an die einzigartige jüdische Landgemeinde erinnert und gewollt hätten, dass sich auch andere erinnern. In den 80er Jahren wurde diskutiert, was aus dem alten Gebäude, der Villa Rosenthal, werden soll. Ein hübsches Standesamt vielleicht? Oder doch ein fremdenverkehrstaugliches Alpenmuseum? Die Stadt Hohenems hatte die von der Fabrikantenfamilie erbaute Villa Heimann-Rosenthal schon 1983 erworben. 1986 wurde der „Verein Jüdisches Museum Hohenems“ gegründet. Und tatsächlich gelang es den Aktivisten, das Haus durchzusetzen. 1989 wurde der Historiker Kurt Greussing beauftragt, ein Museumskonzept zu erarbeiten, das die Geschichte der Juden in Vorarlberg unter der Perspektive des Verhältnisses zwischen Minderheit und Mehrheit veranschaulicht und dem Museumsbenutzer zugänglich macht. Das Museum wurde als „begehbares Buch“ konzipiert. Bewusst wurde auf den Ankauf von Judaika verzichtet, die keinen unmittelbaren Bezug zur Hohenemser Geschichte hatten, wie Loewy erklärt. Man wollte kein Museum sein, das Judentum für Anfänger erklärt, sondern eine Darstellung der Juden von Hohenems als Teil der lokalen Bevölkerung.

Die wenigen Objekte, die noch von der jüdischen Gemeinde Hohenems erhalten geblieben sind, zeugen auch von der Tilgung dieser jüdischen Spuren in Vorarlberg. Ein Sprachlabor stellt die auch in Vorarlberg gesprochene jiddische Sprache vor. Im Dachgeschoß erzählen Zeitzeugen von ihren Erinnerungen an das jüdische Hohenems. 1992 wurde dem neu gegründeten Museum der Österreichische Museumspreis verliehen. Ein Raum ist der Musik des Hohenemsers Salomon Sulzer (1804 – 1890) eines Erneuerers der Synagogenmusik, gewidmet. Zu seinem 200. Geburtstag wird ihm im Herbst eine Sonderausstellung gewidmet. Viel versprechender Titel: Kantormania. 2006 denkt man eine Ausstellung über die Alpen und Juden als Beziehungsgeschichte an – mit leichtem Augenzwinkern, wäre das Haus doch fast ein Alpenmuseum geworden.

Loewys aktuelle Sonderausstellung – in Kooperation mit Eva Grabherr von der Projektstelle für Zuwanderung und Integration in Vorarlberg – widmet sich einem jüngeren, nicht jüdischen Thema. Das jüdische Viertel war bereits Ende des 19. Jahrhunderts von seinen Bewohnern teilweise aufgegeben worden. (Nach den Staatsgrundgesetzen von 1867 und dem darin garantierten freien Niederlassungsrecht ging die Bevölkerung der jüdischen Gemeinde in Hohenems rapid zurück.) In die leer stehenden Gebäude zogen unter anderem die ersten italienischen „Gastarbeiter“, die Messerschleiferfamilie Collini, ein, die heute mit ihrem international operierenden Metallverarbeitungsbetrieb der größte Arbeitgeber im Ort ist. Später sollten viele folgen, die sich im Textilviertel ansiedelten, von der Polentagasse sprach man dort. In eben diese Gasse kamen in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts neue „Gastarbeiter“: Türkische Familien zogen in die einst jüdischen Häuser ein. Und um ihr Leben in der Fremde dreht sich die Ausstellung – von der Darstellung ausgewählter Einzelschicksale bis hin zur klaren Bezugnahme auf das Migrationsschicksal der türkischen Einwanderer und der jüdischen Hohenemser, die eingewandert waren. Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass beide Minderheiten auch mit Anfeindungen konfrontiert waren. Ein jüdisches Museum mit einer Sonderausstellung über türkische Gastarbeiter? Auch das gibt es wohl weltweit nur in Hohenems.

 

INFO

Jüdisches Museum Hohenems

Villa Heimann-Rosenthal

Schweizer Straße 5, A-6845 Hohenems

T (0043) 05576/ 739 89-0

F (0043) 05576/ 77793

E-Mail: office@jm-hohenems.at

 

Öffnungszeiten:

Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 10 -17 Uhr

 

Eintrittspreise:

EUR 5,-/CHF 7,50

EUR 3,50/CHF 5,50 ermäßigt für Studenten,

Senioren

Kinder bis 12 Jahre frei

Gruppenermäßigung (ab 6 Personen)

EUR 4,- /Person, ermäßigt EUR 2,50 /Person

 

Führungen:

Museum: pro Person EUR 7,-

mindestens 10 Personen: EUR 70,-

Museum + Viertel: EUR 8,-

mindestens 10 Personen: EUR 80,-

Museum + Viertel + Friedhof: EUR 9,-

mindestens 10 Personen: EUR 90,-

Schülergruppen: pro Schüler EUR 2,50

Ermäßigungen für Club Ö1-Mitglieder

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