Tel Aviv beginnt in der Rotenturmstraße

Israelisches Street-Food boomt in Wien. Über ein Phänomen, das Wien diesen Sommer verändern wird.
PROGNOSE: BARBARA TÓTH
FOTOS: MILAGROS MARTÍNEZ-FLENER

„Katharina!“ „Katharina!!!“ „Katharina!!!???“ Man darf nicht scheu sein, wenn man im Miznon hinterm Stephansplatz essen gehen will. Bestellt und bezahlt wird bei der Kassa an der Bar, abholen muss man sich sein Gericht dann selbst. Sofern man es nicht überhört, wenn der eigene Name durchs Lokal zuerst ausgerufen, dann geschrien, am Ende im Chor gekreischt wird. Weil die Musik, die ist in diesem Lokalimport aus Tel Aviv auch sehr laut.

Das ist alles sehr ungewohnt für Wien, aber das Miznon, übersetzt „Kantine“, funktioniert. Die jüdisch-mediterrane Küche des israelischen Starkochs Eyal Shani trifft den Geschmack der Stunde. Sie ist international und authentisch, unkompliziert und komplex zugleich. Und vor allem sehr lässig. Shani serviert im Grunde kreativer als sonst gefüllte Fladenbrote, dazu im Ganzen geschmorten Karfiol oder Broccoli, die völlig unprätentiös eingewickelt im Backpapier auf den Tisch kommen. Oder auf den Schoß.

Miznon eröffnete in der Schulerstrasse 4 im Dezember. Kurz darauf folgte Hungry Guy am Rabensteig 1, unweit vom Sababa in der Rotenturmstraße 19 und gleich um die Ecke des Wiener Oriental-Food-Klassikers, dem Maschu Maschu am Rabensteig 8. Tel Aviv, so scheint es, beginnt ab sofort gleich hinterm Stephansdom Richtung Schwedenplatz.

Während das Miznon bereits die fünfte Filiale Eyal Shanis ist (drei gibt es in Tel Aviv, eine in Paris), ist das Hungry Guy genuin wienerisch. Eyal Guy, ein in Wien lebender Psychotherapeut mit israelischen Wurzeln und gastronomischer Vorerfahrung (er führte das Levante) wollte eigentlich schon im Oktober eröffnen, aber dann dauerte der Umbau des ehemaligen Hemdenfachgeschäftes länger und so räumte das Miznon den Großteil der „Pita! Pita!“-Aufregung ab.

Israels Fusionsküche

Das „Pita-Match“ sei eröffnet, witzelte der Kurier, Der Standard schwärmte von der lockeren Atmosphäre, die mit neo-israelischen Foodstil – genau so nennt sich die aus den zahlreichen Ethnoküchen Israels zusammengeschmolzene Fusionsküche – in Wien Einzug hält. Nur Die Presse war ein wenig irritiert über das fehlende Geschirr und so viel „Abercrombie& Fitch“-Atmosphäre (die US-Textilkette spielt auch sehr laute Musik). Wobei, im Hungry Guy ist sie leiser als im Miznon. Und Teller kann man auf Wunsch bestellen.

Was im Winter noch nicht recht zündete, wird im Sommer das Stadtbild der östlichen Innenstadt verändern, wenn die Pitas dann draußen gegessen werden, im Stehen, auf der Parkbank, oder einfach dort, wo gerade ein Platz frei ist, so wie es gedacht ist.

Was Miznon und Hungry Guy von den Klassikern wie dem Maschu Maschu und Sababa unterscheidet ist, dass Falafel und Hummus hier nicht mehr im Zentrum stehen. Beim Hungry Guy sind es, je nach Laune und Inspiration der internationalen Köche, Fish & Chips mit Aioli, scharfe Kalbfleisch- Bällchen mit Sauerkraut, Chili con Carne mit einer Art Mole Poblano (Wurzelsauce mit etwas Schokolade) oder Brathuhn vom einem sehr eindrucksvollen Rotisserie-Grill mit einer Sauce aus confiertem Wurzelwerk, Artischocken und Topinambur. Eyal Guy verkauft auch Brathuhn und Pita einzeln über die Gasse.

Beim Miznon sind es zart schmelzende Rindsrippchen, klassischer, faschierter Burger oder Roastbeef, oder köstliches Ratatouille mit Tahin-Sauce und Ei. Geplant sind aber auch typische Wiener Füllungen wie Tafelspitz oder Gulasch. In Paris serviert das dortige Miznon laut Eigenwerbung auch das beste Boeuf bourguignon und ist – anders als in Wien – koscher.

Die Pita ist also nicht mehr als ein kulinarischer Rahmen für alles, was Menschen vor Ort schmeckt und was sie als Happen gerne wegtragen würden.

Tel Aviver Lebensstil

Noch jemand beobachtet die Eroberung Wiens durch Tel Aviver Lebensstil mit großer Freude: Haya Molcho. Molcho, Jahrgang 1955, Mutter von vier Söhnen und als Köchin Autodidaktin, brachte den entspannten Tel Aviver Lebensstil als Erste nach Wien. 2009 eröffnete sie ihr erstes Lokal, das Neni am Naschmarkt. Seitdem ist ihr Neni-Imperium stetig gewachsen. Dazu gehören der Tel Aviv Beach am Donaukanal, Neni in Berlin, Neni im 25hours Hotel, Neni am Tisch für Gourmet-Spar – und nun, als jüngste Verlängerung ihres Gastro-Imperiums, die ganz neue Neni- Kochschule in Wien-Gumpendorf.

In dem winzigen, wunderschönen Gassenlokal in der Lehárgasse lernen verzagte Österreicher, dass es in Ordnung ist, wenn man den Salat ohne Besteck anrührt und Fleisch vom Lamm gleich mit den Händen runterlöst und isst. Das ist eben „Balagan!“. Das Wort stammt aus dem Russischen und heißt übersetzt so viel wie Durcheinander, in Wien würde man es mit „Pallawatsch“ übersetzen. Mehr kulinarisches Balagan, auf den Straßen und in den Küchen der Stadt, kann Wien sicherlich nicht schaden.

 

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