Tauwetter in der Seitenstettengasse

Erstmals werden IKG-Präsident Ariel Muzicant und Landeshauptmann Jörg Haider zusammentreffen, um gemeinsam über Restitutionsansprüche der Kultusgemeinde zu verhandeln. Ist dieses Treffen ein schwerer taktischer Fehler? Oder ein notwendiges Übel? Und: Hätte es überhaupt Alternativen gegeben?
NU

Beide haben tunlichst vermieden, auf ein Bild zu kommen. Kein Handschlag, kein Schulterklopfen, nicht einmal ein versehentliches Zusammentreffen ist dokumentiert. IKG-Präsident Ariel Muzicant und der Kärntner Landeshauptman Jörg Haider gingen sich im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Weg – bislang. Denn Anfang Dezember werden die beiden Kontrahenten erstmals aufeinandertreffen. Anlass: die Forderung der israelitischen Kultusgemeinde nach einer Entschädigung für in der NS-Zeit entzogenes Gemeindevermögen. Ve rhandlungsvolumen: sieben Milliarden Schilling. Verhandlungspartner: ein von der Landeshauptleutekonferenz nominiertes Vierergremium, bestehend aus dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl, dem Niederösterreicher Erwin Pröll, seinem oberösterreichischen Kollegen Josef Pühringer – und dem Kärntner Jörg Haider.

Es wird ein historisches Treffen. Muzicant hat jeglichen Kontakt mit der FPÖ stets kategorisch ausgeschlossen. Mit welchen Verhandlungsergebnis auch immer die Repräsentanten der Länder und der IKG auseinandergehen werden – im Zentrum des Interesses wird die Begegnung zwischen den beiden Männern stehen. Ein Tabubruch, dokumentiert in Bildern, auf Film, in allen Zeitungen.

Bilder, die Jörg Haider gut brauchen wird können. Denn die Anerkennung der österreichischen jüdischen Gemeinschaft blieb im seit jeher verwehrt. Ist das auch der Grund, warum ausgerechnet er vom amtierenden Präsidenten der Landeshauptleute, Erwin Pröll, in das Verhandlungsgremium nominiert wurde? Erweist Pröll Haider damit einen kleinen, koalitionären Freundschaftsdienst?

In St. Pölten ist anderes zu erfahren. Pröll gehe es allein darum, Vertreter aller in den Ländern regierenden Parteien in die Gespräche einzubinden. Nur so sei gewährleistet, dass sich alle an das Verhandlungsergebnis halten. „Wir haben alle Probleme mit Haider“, kommentierte Wiens Bürgermeister Michael Häupl die seltsame Menage süffisant.

Ungewöhnlich war auch der Modus der Absegnung des Ve rhandlungsmandats durch den Kultusvorstand, angesetzt für den Abend des 6. November. Die Diskussion wurde durch einen Artikel in der Abendausgabe der „Presse“ ad absurdum geführt. In diesem stand – exklusiv – bereits das Ergebnis der Debatte: „Muzicant erstmals zu Gesprächen mit Haider bereit“. Der Autor ist ein Journalist mit bekannt guten Kontakten zum Präsidenten der IKG. Hat Muzicant auf diese Art und Weise versucht, das Ende einer unangenehmen Diskussion vorwegzunehmen? Oder wollte er nur verhindern, dass die Kultusgemeinde an dieser Frage zerbricht? „Ich treffe eben nicht nur bequeme Entscheidungen“, rechtfertigt sich Muzicant. „Ich bin sicher nicht bereit, die noch lebenden Opfer aus persönlichen Gründen im Stich zu lassen.“

Persönliche Gründe hätte Muzicant zuhauf. 15 bis 20 Klagen laufen derzeit laut Auskunft seines Anwalts Gabriel Lansky gegen Haider („Dreck am Stecken“). Fest steht, dass das Treffen Haider/Muzicant für heftige Diskussion innerhalb der Kultusgemeinde sorgt. Auch N U möchte seinen Beitrag zu einem offenen, demokratischen Diskurs beitragen. Im folgenden lesen Sie eine Auswahl an Meinungsbeiträge, die in der Woche vor unserem Erscheinen auf unserer Homepage www.nunu.at eingelangt sind.

 

Martin Engelberg

Der Kultusvorstand hat anlässlich der Regierungsbildung beschlossen, mit den schwarzen Ministern der neuen Regierung nur auf Beamtenebene zu verhandeln, mit den Blauen gar nicht. Darüber hinaus hat sich Muzicant in den letzten zwei Jahren in eine – zum Teil sehr persönliche – Auseinandersetzung mit Haider begeben. Um nicht missverstanden zu werden: Ohne Zweifel muss der politische Kampf der IKG – zumindest zu einem gewichtigen Teil – der FPÖ und Haider gelten. Aber es ist zu hinterfragen, ob diese Auseinandersetzung so persönlich und kleinkriegerisch vonstatten gehen musste. Endgültig problematisch wird es aber, wenn man sich einmal für eine Vorgangsweise entschied, zwei Jahre lang ausschließlich so handelte, und dann plötzlich – ohne „vertrauensbildenden Maßnahmen“ – seine Position um 180 Grad wendet.

Dies kann nur die Lauterkeit, die Integrität, die Klugheit und die richtige Wahl der Strategie des Präsidenten und der ganzen Gemeinde in Frage stellen.

Ich wurde in den letzten Tagen wiederholt darauf angesprochen, warum ich in der Sitzung des Kultusvorstandes am 6. 11. 2001 nicht gegen das Treffen zwischen Haider und Muzicant gestimmt habe. Ich möchte dies auch hier nochmals begründen. Ich habe die Strategie Muzicants in den Restitutionsverhandlungen immer wieder kritisiert, habe auch dagegen gestimmt und wurde dafür von ihm auch entsprechend denunziert. Auch andere haben mir vorgeworfen, manchmal die Opposition gegen den Präsidenten vor das Wohl und die Interessen der Gemeinde zu stellen. Letzten Dienstag war es einmal umgekehrt. Hätte der Kultusvorstand gegen das Tre ffen gestimmt, nachdem uns ja bereits die Mittwochausgabe der „Presse“ mit der Schlagzeile auf der Seite eins „Muzicant erstmals zu Gespräch mit Jörg Haider bereit“ vorlag, hätten wir den Präsidenten und uns endgültig lächerlich gemacht. Ebenso kontraproduktiv und der Sache schadend hielt ich deshalb auch einen Misstrauensantrag gegen den Präsidenten.

 

Roman Grinberg

Ja, ich denke Ariel Muzicant hat die richtige Entscheidung getroffen. Einerseits sei es jedem gestattet, seine Meinung auch zu ändern (hoffentlich nicht zu oft). Andererseits steht Muzicant sicherlich unter enormem Druck – sowohl von Seiten der Öffentlichkeit, der Medien als auch innerhalb unserer Gemeinde. Und dieser Druck ist nicht zu unterschätzen.

 

Robert Liska

Ich war von Anfang an dafür, die Restitutionsproblematik unpolitisch und einvernehmlich mit der Regierung zu lösen. Ich bin überzeugt, dass wir uns damals die Verhandlungspartner in der Regierung aussuchen hätten können. Wir haben uns gegen meine Stimme dazu entschlossen, eine politische Haltung einer pragmatischen vorzuziehen. Nun sollen wir re tten, was für uns noch zu retten ist. Und wir müssen uns die Partner und die Verhandlungsparameter vorschreiben lassen.

Ich bin entschieden gegen diese Demonstration der Rückratlosigkeit und Käuflichkeit.

Ich lege Wert auf die Feststellung, die Sitzung aus Protest verlassen zu haben. Der Eindruck, das dies einem Mißtrauensvotum gegen unser Präsidium gleichkommt, entsteht damit zu recht. Doch auch das soll im demokratischen Diskurs schon vorgekommen sein.

 

Michael Schnarch

Theoretisch ist es denkbar, dass trotz aller gerechtfertigten Vorbehalte gegen Jörg Haider ein Treffen dann nötig ist, wenn bejahrten Opfern des Holocausts nach über fünfzig Jahren des Wartens noch rechtzeitig ein kleiner Teil Gerechtigkeit widerfahren soll und kann. Wenn dem aber so ist, weswegen diese öffentliche Konfliktaustragung bis zum heutigen Tage? Warum erfährt man das alles aus der Presse? Wer wurde vorher gefragt und wer wurde vorher informiert?

Sollten diese Gruppen etwa vor vollendete Tatsachen gestellt worden sein?

 

Ludwig Rubin

Die FPÖ war und ist eine rechtspopulistische Partei mit starkem antisemitischen Wählerpotential. Zurecht werden Vertreter dieser Partei im Ausland wie eine ansteckende Krankheit gemieden. Auch die IKG hat sich bisher zu dieser Linie bekannt. Es ist mir unverständlich, warum eine totale Kehrtwendung in der Haltung zur FPÖ so plötzlich erfolgt.

Auch Gespräche mit Haider sind keine Garantie für einen positiven Abschluß der Restitution.


Paul Haber

Es steht für mich außer Frage, dass der Präsident der IKG, einer Körperschaft öffentlichen Rechts, mit einem offiziellen Amtsträger und Repräsentanten der Republik, der Länder und Gemeinden verhandeln muss, wenn es um die Vertretung der Interessen der IKG geht – solange die Wahl dieser Repräsentanten demokratisch und rechtsstaatlich einwandfrei zustande gekommen ist, und solange diese Repräsentanten die Regeln der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit einhalten.


Michael Hirsch

Meiner Meinung nach sollte Ariel Muzicant nicht mit Haider zusammenkommen. Es wird dann heißen: „Wenn es ums Geld geht, treffen sich die Juden auch mit ihren Widersachern.“


Rudolf Taschner

Die Redaktion von NU überrascht mich mit der Botschaft eines Tre ffens des Präsidenten der Kultusgemeinde mit dem in Kärnten regierenden Gottseibeiuns und der Bereitschaft zu einem Gespräch, also sicher nicht zum Düll – kein Schuß wird knallen. Ist dies nicht ein fast grotesk-kabarettistischer Zug des Österreichischen: die Emphase begeilt sich an ihrer Ästhetik und entschwindet im Realpolitischen zur Lächerlichkeit?


Erwin Javor

Hätte es in Österreich keine Judenvernichtung gegeben, wäre Haider jetzt nicht Eigentümer, sondern ein tüchtiger Holzfäller des Bärentales.

 

Harry Bergmann

Muzicant ist in diesem Spiel kein Spieler, sondern bestenfalls eine Personalunion aus Spieler und Ball. Die Roten und Schwarzen wollen sich nicht nachsagen lassen, dass sie allein den Juden das Geld nachwerfen, also muss ein Blauer an den Tisch. Wie gut, dass sich gerade Haider als einzigen Landeshauptmann anbietet. Da braucht man nicht herumschmiedeln, da kann man gleich schmieden. Ich bin ganz und gar nicht der Meinung, dass es zur österreichischen Realität gehört, zur FPÖ eine Gesprächsbasis finden zu müssen. Das ist mir der Neutralität zu viel. Da steht – jetzt muss man wohl sagen – stünde eine immerwährende Abgrenzung der IKG als Positionierung besser zu Gesicht.

 

Alexander Friedmann

Wenn einer seine Informationen nur aus der „Presse“ bezieht, muss er zwangsläufig seine Fragen so formulieren, wie N U es tut. Wenn einer aber weiß, wie es sich wirklich verhält, und dennoch solche Fragen an die Öffentlichkeit richtet, wird er sich nicht nur vorwerfen lassen müssen, dass er demagogisch manipuliert, sondern auch, dass er offenbar bemüht ist, parteipolitisches Kleingeld aus dem jüdischen und darüber hinaus demokratischen Unglück (nämlich dass dieses Land keinen Schritt wagt, ohne auf Haider zu schielen) zu lukrieren. Im Kultusvorstand vom 6.11.01 war mindestens ein Redakteur von N U anwesend. Mindestens er weiß, wie es sich wirklich verhält. Warum stellt eigentlich niemand die Frage: „ Wieso mutet die Landeshauptleutekonferenz der IKG und ihrem Präsidenten eigentlich zu, Haider als Mitverhandler am Restitutionstisch zu akzeptieren?“

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