Süßer als Wein

Die Skulptur „Adam und Eva“ von Susi Singer (1891–1955). Nach ihrer Heirat mit Josef Schinnerl gründete die Künstlerin 1925 eine eigene Werkstätte für Keramik in Grünbach am Schneeberg, die sie bis zu ihrer Emigration in die USA 1937 erfolgreich führte. © FUHRER

Kosher Sex? Gibt es das? Was bedeutet „Love Me Kosher“? Das Jüdische Museum Wien beschäftigt sich in einer Ausstellung mit dem Thema Judentum und Sex und zeigt, dass Lust und Leidenschaft keinesfalls im Widerspruch zum Glauben stehen.

Von Julia Windegger und Danielle Spera

Sex und Religion schließen sich üblicherweise aus, passen nicht zusammen. Im Judentum ist das anders: Sexualität stellt einen geradezu himmlischen Akt dar, der lustvoll genossen werden soll. Voraussetzung ist die Ehe zwischen zwei heterosexuellen Menschen und die Einhaltung der Gesetze zur Familienreinheit.

Gleich zu Beginn der Tora heißt es: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt.“ (1. Buch Mose 2, 18) Die Hochzeit (hebr. „chatuna“) gilt im Judentum als eine Verbindung von zwei verwandten Seelen. In der Ketubba, dem Hochzeitsvertrag, der im Judentum vorgeschrieben ist, wird der Mann verpflichtet, seiner Frau Nahrung und Unterkunft zur Verfügung zu stellen – und Vergnügen zu bereiten. Die sexuelle Befriedigung ist also Teil dieses Vertrags. Im Judentum hat die Frau das Recht auf eine erfüllte Sexualität und darauf, dass sie vor dem Mann zum Genuss kommt.

Dass der Anfang des Lebens eine zwischenmenschliche Beziehung voraussetzt, proklamiert schon die Tora: „Gott segnete Adam und Eva und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet die Erde.“ Sexualität ist somit ein natürlicher Bestandteil des Lebens. Love Me Kosher präsentiert mittels außergewöhnlicher Objekte aus den Sammlungen des Jüdischen Museums Wien und Leihgaben verschiedener nationaler und internationaler Institutionen Einblicke in diese sinnliche und beglückende Welt.

Die Reise durch die Ausstellung beginnt mit dem Paradies als Ursprung allen Lebens. André Heller stellt zum ersten Mal seine Aquarelle aus und entführt uns an einen magischen Ort der Sinnlichkeit und Freude. Der Künstler schafft mit seinem Werk eine Vorstellung des Garten Edens auf Erden.

Wiener Debatten

Die Ausstellung porträtiert Wien als Zentrum der Sexualwissenschaft um 1900. Hier schlug auch die Geburtsstunde von Sigmund Freuds Psychoanalyse. Andererseits war die Stadt geprägt von Bigotterie. Diese Ambivalenzen führten zu fruchtbaren Debatten, die sich vor allem im kulturellen Bereich zeigten: In der Literatur von Schnitzler bis Salten; auf Wiener Bühnen von Kabarett bis Operette; in der Fotografie und der bildenden Kunst; und nicht zuletzt nahm sich das neue Medium Film des Themas an.
Auch im Roten Wien manifestierte sich das Wirken zahlreicher Jüdinnen und Juden, die sich mit dem Thema Sexualität auseinandersetzten: So gründeten Jüdinnen im Jahr 1877 einen Wohltätigkeitsverein, der junge Frauen vor dem Weg in die Prostitution behüten sollte. Wenige Jahre später wurden viele auf diesen Gebieten aktive Jüdinnen und Juden verfolgt, vertrieben, deportiert und ermordet. Und mit ihnen verschwanden auch zahlreiche der modernen Ansätze für lange Zeit: Während das NS-Regime Sexualität als gewaltsame Waffe der Erniedrigung und Zerstörung einsetzte, finden sich unter Verfolgten und Inhaftierten auch Beispiele von Liebe und Sexualität als Überlebensstrategien und Schimmer der Hoffnung.

Außergewöhnliche Fragen

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann langsam der Aufbau einer neuen Gemeinde in Wien. Der Zuzug überlebender Jüdinnen und Juden aus den verschiedensten Ländern brachte neue Bräuche und Sitten mit sich. Weitere Umbrüche brachten die 1960er und 1970er Jahre. Feminismus, Diskussionen über Abtreibung und Homosexualität sowie die Erfindung der Pille machten auch vor der Jüdischen Gemeinde nicht halt. Weiterhin war die Sexualwissenschaft durch zahlreiche jüdische Forscherinnen und Forscher geprägt. In der Medizin sorgte Carl Djerassi mit der Entwicklung der „Pille“ für eine Revolution, während die Holocaust-Überlebende Ruth Westheimer sich sowohl alltäglichen als auch außergewöhnlichen Fragen eines breiten Publikums zur Sexualität widmete. Auch in der Populärkultur sorgen weiterhin unzählige jüdische Künstlerinnen und Künstler für eine Auseinandersetzung mit dem Thema. Um die stetige Neuverhandlung der religionsgesetzlichen Grundlagen zu zeigen, erläutern in der Ausstellung die aktuell in Wien tätigen Rabbiner ihre Ansichten zum Themenbereich Sexualität und Religion.

Auch wenn es im Judentum heute eine große Diskrepanz zwischen den strengen Moralvorstellungen der Orthodoxie und dem offenen Leben des liberalen Judentums gibt, freut man sich über den positiven Stellenwert der Sexualität in der jüdischen Tradition. Hier kann man auch auf das Schir Ha Schirim, das Hohelied im Tanach verweisen. Es ist definitiv eines der schönsten Liebeslieder der Geschichte, auch wenn darüber diskutiert wird, dass es darin eher um die Liebe zwischen Mensch und Gott gehen soll als um die Leidenschaft zwischen zwei Geliebten:

„Mit Küssen seines Mundes bedecke er mich. /
Süßer als Wein ist deine Liebe.
Schön bist du, meine Freundin, ja du bist schön, zwei Tauben sind deine Augen.
Schön bist du mein Geliebter, verlockend. Frisches Grün ist unser Lager.
Der Geliebte ist mein / und ich bin sein; / er weidet in den Lilien.
Ich komme in meinen Garten, meine Schwester, meine Braut.
Ich pflücke meine Myrrhe samt meinem Balsam, esse meine Wabe samt meinem Honig, trinke meinen Wein samt meiner Milch.
Esst, Freunde, trinkt und berauscht euch an der Liebe!“


Julia Windegger ist Co-Kuratorin der Ausstellung.

„Love Me Kosher“
Jüdisches Museum Wien
Bis 13.11.2022

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