Stricken am Mythos

Nicht nur Kanzler Wolfgang Schüssel wusste sich im Jubiläumsjahr ins beste Licht zu rücken. Ein historischer Vergleich zeigt: Jede Regierung nutzte die Staatsvertragsfeiern zur Konstruktion historischer Identität.
Von Barbara Toth

Von Bruno Kreisky kann sogar Wolfgang Schüssel noch etwas lernen: Als im Jahr 1970 das 15-jährige Staatsvertragsjubiläum erstmals unter roter Kanzlerschaft gefeiert werden sollte, zögerte er nicht lange und instrumentalisierte das Datum für sich: Der Sonnenkönig wählte just den 27. April für seine erste Regierungserklärung und “okkupierte” damit gewissermaßen das Ereignis ganz für seine Politik. Prompt vermutete der damalige “Presse”-Chefredakteur Otto Schulmeister – nicht zu Unrecht -, dass ein “Spielplanwechsel” bevorsteht. Seine Befürchtung: Österreich könnte “sozialdemokratisiert” werden und der “Figl-Raab-Part des Gründungsmythos unauffällig gelöscht” werden. Dreißig Jahre später drehte der erste ÖVP-Kanzler seit den sechziger Jahren, Wolfgang Schüssel, das Rad der Zeit wieder zurück: Ganz klar wurden Leopold Figl und Julius Raab als “Gründungsväter” der Republik ins Zentrum gerückt – auch, um die historische Legitimation der Wenderegierung zu stärken. Beide Beispiele zeigen: Wenn Jubiläumsfeiern anstehen, wurde immer nicht nur der Geschichte gedacht, sondern auch Geschichte gemacht. Spätestens mit dem Ende der Großen Koalition war es auch mit dem parteiübergreifenden Konsens zur Nachkriegsgeschichte vorbei. Seitdem ringen eine “rote” wie eine “schwarze” Version um Vorrang im öffentlichen Bewusstsein. Im Jubiläumsjahr 1975 wurde der rot-schwarze Kampf um die vergangenheitspolitische Hegemonie zuerst am Büchermarkt ausgetragen: Kreisky brachte im Jahr 1975 sein Buch “Neutralität und Koexistenz” heraus, in dem er den SPÖ-Anteil am Staatsvertrag hervorhob. Die ÖVP konterte in der Person Karl Heinz Ritschels, Chefredakteur der “Salzburger Nachrichten”, der zwei Bücher über den “Staatsvertragskanzler” Julius Raab vorlegte. 1980 wiederum organisierte die ÖVP ein eigenes Symposium, um die Meriten Raabs und Figls zu würdigen, währenddessen sich Kreisky am 15. April als “Zeitzeuge” in einer Gedenkveranstaltung am Vöslauer Flughafen feiern ließ. Historischer Katzenjammer herrschte hingegen 1990: Binnen eines Jahrzehnts wurden die politischen Pflöcke, auf denen sich die Nachkriegsinterpretation des Staatsvertragsmythos gründete, obsolet. Das Ende des Kalten Krieges und der Zerfall der Sowjetunion stellten die Neutralität in Frage. Die Waldheim-Debatte brachte die “Opferthese” endgültig zu Fall. Die Politik zog sich aufs Folkloristische zurück: 1990 wurde Gmunden am Traunsee als Ort der Feierlichkeiten ausgesucht, weil es den geografischen Mittelpunkt Österreichs darstellt – besser lässt sich die Hilflosigkeit der Politik im Umgang mit dem Jubiläum nicht versinnbildlichen. Die “Wende” bot der ÖVP dafür erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik die Chance, die Staatsvertragsfeiern in Alleinregie zu gestalten. Im “kleinen” Jubiläumsjahr 2000 münzte Schüssel die zentralen Staatsvertragscodes “Freiheit und Unabhängigkeit” auf die aktuelle politische Sanktionszeit um. 2005 kam dann die große Inszenierung samt Besuch hochrangiger Vertreter der vier Signatarstaaten. Auch diese Idee war nicht neu: Schon zum 10., 25. und 30. Staatsvertragsjubiläum hatte man einen Amerikaner, Franzosen, Russen und Engländer zu Gast in Wien. Webtipp www.staatsvertrag.at

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