Stammzellenforschung aus der Sicht des Judentums

Während Österreich unter Berufung auf Christentum und Moral Stammzellenforschung sehr restriktiv handhabt, sind israelische Wissenschaftler dank jüdischer Medizinethik weit voraus. Ein Institut in Haifa liefert Stammzellenlinien in alle Welt.
Von Katja Sindemann

Ein Rabbi auf die Frage, wann Leben beginnt: „S‘ Lebe beginnt, wenn die Kinder aus dem Haus und der Hund tot.“

Von Zeit zu Zeit ist Stamm­zellen­forschung ein heißes Thema in den Medien. Angstbilder von gefährlichem Genmais und Fran­ken­­steinmonstern wabern durch die Köpfe. Gleichzeitig wird Patienten Hoffnung auf zukünftige Therapiemöglichkeiten gemacht. Stammzellenforschung geschieht zu dem Zweck, in Zukunft Krankheiten wie Parkinson oder Multiple Sklerose heilen zu können, indem Patienten spezialisierte Zellen (Blut-, Nervenzellen etc.) übertragen werden, die krankes Gewebe ersetzen sollen (siehe INFO-BOX).
Diese spezialisierten Zellen werden aus Stammzellen gezüchtet. Allerdings wird die Gewinnung von Stammzellen in vielen Ländern aus religiösen und ethischen Gründen sehr restriktiv gehandhabt. Stammzellen werden hauptsächlich aus überzähligen Embryonen gewonnen, die bei künstlicher Befruchtung überbleiben, oder aus dem Gewebe abgetriebener Föten.
Verboten oder erlaubt?

In Österreich ist die Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus überzähligen Embryonen verboten – im Unterschied zu vielen EU-Ländern, wo es erlaubt ist. Auch in Israel ist es erlaubt, unter Berufung auf die jüdische Medizinethik.

Dem ist voranzustellen, dass das Judentum neuen medizinischen Entwicklungen positiv gegenübersteht, wenn die potenziellen Nutzen die Bedenken überwiegen. Die Schlüssel­frage ist, ab wann der Embryo beseelt ist und welchen Status ein Fötus hat. Der Talmud und die Halacha antworten darauf, dass der Embryo zwar ab dem Zeitpunkt der Befruchtung als „potenzielle Person“ gilt, dass er jedoch bis zum vierzigsten Tag einen geringeren halachischen Status besitzt. Daher
kann er in diesem Zeitraum abgetrie­­­ben werden, wenn Gefahr für das Leben der Mutter besteht. Konkret geht es bei der Stamm­zellengewinnung um Embryonen, die bei einer künstlichen Befruchtung (IVF-Behandlung) gewonnen werden. Um die Erfolgschancen zu erhöhen, werden Frauen hormonell stimuliert, sodass mehrere Eizellen heranreifen, die mit dem Samen des Mannes im Reagenzglas befruchtet werden. In Österreich werden den Frauen nur zwei bis drei befruchtete Eizellen in die Gebärmutter eingesetzt, um Mehrlings­schwangerschaften zu vermeiden. (In den USA werden nach wie vor vier bis fünf Eizellen eingesetzt, weshalb Mehr­lingsschwangerschaften stark zu­genommen haben, mit allen Konsequenzen für die Eltern.)

Was soll nun mit den übrigen befruch­teten Eizellen geschehen? Immerhin weltweit hunderttausende. In Öster­­reich werden die überzähligen Präembryonen vernichtet. Etliche werden auf Wunsch und Kosten der Eltern eingefroren, um späteren Befruchtungsversuchen zu dienen. Im Judentum ist es möglich, an diesen Präembryonen zu forschen. Laut Urteil des ehemaligen sefardischen Oberrabbiners Israels Mordechai Elijahu oder des aschkenasischen Oberrabbiners von Tel Aviv Chaim David Halevi besitzt der Präembryo einen Sonderstatus, da er außerhalb des Mutterleibs nicht lebensfähig ist. Theoretisch müsste er zerstört werden. Das „Bioethics Advisory Committee“ der „Israel Academy of Science and Humanities“ ist im August 2005 zu dem Schluss gekommen, dass es besser ist, an dem Präembryo zu forschen und damit potenziell lebensrettenden Nutzen zu gewinnen, als ihn zu zerstören.

Therapeutisches Klonen

Auch das Forschen an erwachsenen Stammzellen, an vorhandenen Zell­linien oder an Stammzellen, die aus ab­­­­ge­triebenen Föten gewonnen werden, ist im Judentum erlaubt. Das Bioethik-Komitee zieht auch die Möglichkeit in Betracht, Stammzellen durch therapeutisches Klonen zu gewinnen, da dabei kein Embryo im herkömmlichen Sinn entstehen würde. Therapeutisches Klonen heißt, aus der Körperzelle eines Patienten Embryonen zu klonen, aus denen embryonale Stammzellen gewonnen werden.

In Österreich ist die Frage, ob Therapeutisches Klonen verboten oder erlaubt ist, nicht eindeutig geregelt. In den meisten EU-Ländern ist es verboten. Die katholische Kirche sieht darin ein Verstoß gegen den göttlichen Willen.
Jüdische Autoritäten sehen in der Klontechnik eine Repro­duk­tionsmöglichkeit im Fall von Un­­fruchtbarkeit, aber auch als Hilfe für Eltern, die Träger einer genetischen Krankheit sind. So ist bei vielen askenasischen Juden die Tay-Sachs-Krankheit verbreitet, die zum Tod des Kindes führt. Das Risiko einer Übertragung könnte vermieden werden, wenn nur ein Elternteil sein Erbgut zur Verfügung stellt. Allerdings weisen viele jüdische Gelehrte auf die Problematik hin, dass die Klontechnik noch nicht ausgereift ist. Der Oberrabbiner von Großbritannien Jonathan Sacks verurteilt Klonversuche am Menschen als gefährlich und unverantwortlich.

Stammzellenexport aus Israel

In Haifa wird im Rambam Medical Center an embryonalen Stammzellen geforscht. Ein IVF-Paar hatte dafür überzählige, 5 Tage alte Embryos ge­­spendet. Wissenschaftler haben z. B. aus den Stammzellen Herzmuskel­zellen gezüchtet und diese Schweinen mit einem Herzschlagdefekt injiziert. Der Herzschlag normalisierte sich in 11 von 13 Fällen. Da in Deutschland die Gewinnung von embryonalen Stammzellen verboten ist, kaufen deutsche Forscher diese in Haifa ein. Das Rambam Medical Center ist eine von drei Forschungsstätten weltweit, die embryonale Stammzellen abgeben.

Dialog Gentechnik

In Österreich ist seltsamerweise die Frage, ob Forschung an embryonalen Stammzellen erlaubt ist, „nicht eindeutig geregelt“. Alle EU-Länder erlauben es, bis auf Irland. Die Plattform „dialog<>gentechnik“ will hier über die heikle und komplexe Materie ausgewogen informieren. Einer der Gründer, Prof. Karl Kuchler, Biochemiker an der Medizinischen Universität Wien, weist auf die Wichtigkeit der Stammzellforschung für betroffene Patienten hin.
Er schränkt jedoch ein: „Die Hoff­­­­nun­gen sind derzeit noch überzogen. Es ist noch zu früh, um über Therapieerfolge zu sprechen oder gar welche zu versprechen.“ Er berichtet: „In Kalifornien hat Arnold Schwarzenegger zum Beispiel Stammzellforschung mit einem Sonderprogramm in Höhe von 3 Milliarden Dollar gefördert.“ Kuchler weiter: „In Österreich müssen überzählige befruchtete Embryonen nach einer bestimmten Zeit ‚entsorgt‘, also vernichtet werden.“ In Großbritannien haben Kliniken vor kurzem eine Aufräumaktion unter den tausenden von eingefrorenen Embryonen gemacht. Wenn die Eltern nicht antworteten oder kein Interesse mehr an ihren „Eisbärchen“ hatten, wurden die überzähligen Embryonen vernichtet. In den USA bieten christliche Institute unfruchtbaren Paaren an, solche eingefrorenen Embryonen zu adoptieren.

Der Artikel beruht auf: Yves Nordmann, Der Beginn menschlichen Lebens. Aspekte der jüdischen Medizinethik. In: Lebensanfang und Lebensende in den Weltreligionen. Beiträge zu einer interkulturellen Medizinethik, hg. Ulrich H. J. Körtner, Günter Virt, Dietrich von Engelhardt, Franz Haslinger (Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 2006), 280 S., ISBN: 3-7887-2173-1.

WISSEN: STAMMZELLEN

Stammzellen können sich endlos
teilen und zu unterschiedlichen
Zelltypen (Herz-, Muskel-, Leber­­zellen) entwickeln. Stammzellen kommen im Embryo vor sowie beim Erwachsenen zur Bildung von Gewebe. Ziel der Stamm­zellenforschung ist es, durch Über­tragung von gezüchteten, passenden Zellen erkranktes oder abgenütztes Gewebe zu ersetzen. Erste Heil­­­erfolge wurden bereits erzielt. Man hofft, in Zu­kunft Leukämie, Diabetes, Rheuma, Parkinson und Multiple Sklerose mit Stammzellentrans­plantation behandeln zu können. Derzeit wird erforscht, welche Faktoren Stammzellen veranlassen, sich zu einem bestimmten Zelltyp zu entwickeln. Durch Forschung an embryonalen Stammzellen erhofft man sich Erkenntnis über die Entwicklung des Embryos, um zukünftig Fehlgeburten und Entwicklungsstörungen zu verhindern.

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