Seltsame Allianzen

Mit dem Antiislamismus haben viele Rechtsaußen-Parteien auch ihren Antisemitismus abgelegt. Israel gilt ihnen als Bollwerk gegen die islamische Welt. Manch bürgerlicher Denker sympathisiert mit diesen Ideen – aber auch Extremisten und Terroristen.
Von Petra Stuiber und Barbara Tóth

Der prominente deutsche Publizist Henryk Broder etwa. Oder ein Internetportal mit kruden Verschwörungstheorien und dem Titel „The Gates of Vienna“. Der niederländische Rechtsnationalist Geert Wilders sowieso. Und Anders Behring Breivik. Auf der Suche nach einer Erklärung für die terroristische Tat des Norwegers durchkämmten Medien, Polizei und Analysten seine über tausend Seiten lange Rechtfertigungsschrift und fanden viele prominente Namen aus den unterschiedlichsten europäischen Ländern.

Bei aller offensichtlichen Verwirrtheit, die Breivik in seinem Pamphlet zur Schau stellte, ist es dennoch ein bezeichnendes Dokument. Breivik hat auf der Suche nach einer Basis für sein Tun das Internet nach allem, was nach Antiislamismus riecht, durchkämmt – und dabei, unfreiwillig oder nicht, eine erschreckende Dokumentation mitgeliefert.

Breiviks Machwerk zeigt nämlich, dass Antiislamismus kein Phänomen der extremen Rechten mehr ist, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Vor allem auch, weil jene Parteien, die die Ängste gegen den Islam am stärksten schüren, inzwischen auf ein älteres, bewährtes Feindbild verzichten: Israel und das Judentum. In der verqueren Logik der neuen europäischen Rechtsparteien gilt Israel plötzlich als Verbündeter im Kampf gegen die Islamisierung, als letztes Bollwerk Europas gegenüber der fremden Macht. Was aber bedeutet das, wenn Parteien wie die Front National, Vlaams Belang oder FPÖ mit Judenfeindlichkeit plötzlich nichts mehr zu tun haben wollen und dafür lieber Israel vor dem Islamismus beschützen wollen?

„Das Geschäft mit der Angst wird weitergeführt – dazu läuft es zu gut“, meint der Rechtsextremismus- Experte des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands (DÖW), Heribert Schiedel. Insgesamt 70-mal hat sich Breivik in seinem Konvolut auf Österreich bezogen. Schiedel hat sich die Stellen genau angesehen, besonders jene, in denen Breivik auf eine „Wiener Schule“ verweist. Der geständige Attentäter zitierte dabei vor allem den Anti-Islam- Blog „Gates of Vienna“ und artverwandte Beiträge.

Eine rechtsgerichtete „Wiener Schule“ im wissenschaftlichen Sinne sei das freilich nicht, sagt Schiedel. Vielmehr handle es sich um eine „neue, elitäre Ausformung der politischen Rechten, die esoterisch angehaucht ist“. Dazu gehört etwa auch der von Breivik als „Mentor“ bezeichnete norwegische Rechts-Blogger Peder Jensen, der unter dem Pseudonym „Fjordman“ jahrelang gegen die vermeintliche „Islamisierung Europas“ gehetzt hatte und sich nun erschüttert gibt. Oder der britische Blogger Paul Ray, ehemaliger Anführer der „English Defence League“, die gegen Zuwanderer hetzt, den Breivik in seinem Manifest ebenfalls als „Inspiration“ bezeichnete.

Die Vertreter dieser selbsternannten „Wiener Schule“ glaubten an die Apokalypse, verursacht vom Islam. Insofern seien die „Counter- Djihadisten“ auf den ersten Blick eben nicht antisemitisch – im Gegenteil, sie suchten sogar den Kontakt mit der Rechten in Israel, „weil sie Israel als letzte Speerspitze des Westens gegen den Islam ansehen“ (Schiedel).

Vor einem Jahr veröffentlichten Heinz-Christian Strache, Vlaams- Belang-Vorsitzender Filip Dewinter, Kent Ekeroth von den „Schwedendemokraten“ und andere rechtslastige Vertreter anlässlich einer gemeinsamen Konferenz in Israel die „Jerusalemer Erklärung“. Darin legten sie die neue Marschrichtung fest. „Israel als einzige wirkliche Demokratie im Nahen Osten ist uns wichtiger Ansprechpartner in dieser bewegten Weltregion. (…) Ohne jede Einschränkung bekennen wir uns zum Existenzrecht des Staates Israel innerhalb sicherer und völkerrechtlich anerkannter Grenzen. Ebenso ist das Recht Israels auf Selbstverteidigung gegenüber allen Aggressionen, insbesondere gegenüber islamischem Terror, zu akzeptieren“, verlautbarten sie. Und nicht ohne Absicht beriefen sich die Rechtsaußen- Politiker in der Erklärung dann auch auf ihr Glaubensmanifest, in dem das Wört „jüdisch“ nicht mehr fehlen darf. Sie stünden für den „Wertekanon der westlichen Zivilisation, der auf dem geistigen Erbe der griechisch-römischen Antike, der jüdisch-christlichen kulturellen Werte, des Humanismus und der Aufklärung basiert“. Der Feind, das sei, „nachdem die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts überwunden wurden“, nun der „fundamentalistische Islam“.

Gleichwohl werden in dieser Erklärung auch die „Juden im Exil“ erwähnt, die nicht in Israel leben. „Das ist eine Instrumentalisierung und Kategorisierung, die sehr wohl antisemitische Anklänge hat“, sagt Experte Schiedel, denn damit werde indirekt auch klargemacht, dass Juden in Israel – und nirgendwo sonst – zu leben hätten.

Absurderweise seien die muslimischen Djihadisten und die christlich-fundamentalistischen Anti-Djihadisten genau in dem Punkt, den Nahost-Konflikt ausschließlich als religiöse Auseinandersetzung zu sehen, einer Meinung. Getragen werde die Bewegung vom „rechten Flügel des Konservativismus, in Österreich von der Braunzone der ÖVP“, analysiert Schiedel, „wir sprechen von Rechts-Konservativismus, nicht von Rechtsradikalen im herkömmlichen Sinn.“ Lange habe die Wissenschaft geglaubt, diese gebildeten, intellektuell argumentierenden Leute, oftmals Akademiker und auch an Universitäten tätig, seien schon unter Jörg Haider zur FPÖ abgewandert. „Da haben wir uns geirrt“.

Auf „Gates of Vienna“ ist auch Elisabeth Sabaditsch-Wolff aktiv. Die österreichische Diplomaten- Tochter, die in den 90er-Jahren für den damaligen Vizekanzler Wolfgang Schüssel arbeitete und sich in den letzten Jahren in diversen rechten Foren und bei Parteiveranstaltungen europäischer Rechter als „Islam-Gegnerin“ hervortat (und wegen Herabwürdigung der Religion nicht rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt wurde), hatte Straches Jerusalemer Reise mit eingefädelt. Sie koordiniert das „Netzwerk Karl Martell“, das alle islamfeindlichen Organisationen bündeln soll.

Breiviks Kontakte sind verwirrend. Denn er pflegte offenbar auch Umgang mit „klassischen“ Neonazis – und die verachten die neuerdings Israel-affinen Rechtskonservativen, denen Breivik huldigte. Anti-Djihadisten seien, nach Neonazi- Meinung, nicht konsequent genug in ihren Schlüssen, erklärt Schiedel: Denn die sind davon überzeugt, Muslime würden nur „vorgeschickt“, um das Europa der Ethnien zu zerstören – und zwar von den „Globalisten“, hinter denen niemand anderer stecke als die „amerikanische Ostküste“. Schiedel: „Globalisten ist ein antisemitischer Code. Er bedeutet, die Juden steckten hinter der Islamisierung.“ Unlogisch sei das in dieser Denk-„Schule“ nicht, glaubt Schiedel. „Dahinter steckt die Verschwörungstheorie, das ,internationale Kapital‘ wolle alle gleichmachen, um billige Sklavenarbeiter zu bekommen, die man dann nach Belieben unterdrücken kann.“

Neonazis, die extreme Rechtspolitiker für ihre Israelzuneignung verachten, Rechtsaußen-Politiker, die sich mit Israel verbrüdern und anderen, ohne mit der Wimper zu zucken, vorwerfen, sie seien Antisemiten – die neuen Allianzen in der Welt der Ideologien sind gewöhnungsbedürftig. Mit dem Satz „Ich liebe Hitler“ sorgte der britische Designer und Wahlfranzose John Galliano für einen Skandal. Wer verurteilte ihn scharf? Ausgerechnet die französische Politikerin Marine Le Pen, Vorsitzende der allgemein als rechtsextrem eingestuften französischen Partei Front National. „Untragbar“ nannte sie sein Verhalten.

Was steckt hinter dieser Kehrtwende der europäischen Rechten? Hat Antisemitismus als politischer Faktor in Westeuropa ausgedient? Rabbi Arthur Hertzberg, einstiger Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses und Autor von Standardwerken über den Antisemitismus, erklärte es dem Nachrichtenmagazin „profil“ so: „In der mehr oder minder geschlossenen weißen und christlichen Welt hatte das Feindbild Jude eine ganz konkrete Funktion. Die jüdische Religion war die konkrete Negation des Christentums. In den mittlerweile ethnisch durchmischten und säkularisierten Gesellschaften hingegen verliert der Jude seine zentrale Stellung als Feindbild.“ Nicht mehr Antisemitismus dient als sinnstiftende Abgrenzungsideologie, sondern der Antiislamismus, (das hat die populistische Rechte als erstes erkannt) eignet sich dafür viel besser. Mehr noch: Wer sich heutzutage immer noch antisemitischer Stereotypen bedient, entlarvt sich als vorgestrig, nicht mehr auf der Höhe der Zeit.

Jörg Haider hatte das früh erkannt. Politisch groß geworden war er damit, dass er immer wieder gezielt antisemitische Codes aussandte; Botschaften, die von der Wehrmachtsgeneration bis zu der von ihr noch geprägten Enkelgeneration verstanden wurden, der offiziellen österreichischen Geschichtsdarstellung zum Trotz. Inzwischen ist diese Tradition der innerfamiliären Geschichtsprägung weitgehend erloschen. Später schwenkte Haider dann um, auf das Schüren von Ängsten gegenüber Fremden ganz generell. Zeitzeugen sind in den seltensten Fällen noch am Leben, der Zweite Weltkrieg ist für einen erstmals wahlberechtigten 16-jährigen Österreicher in etwa so weit entfernt wie der Erste Weltkrieg für seine Elterngeneration, Israel ein Land, das er auf der Landkarte im Idealfall zuordnen kann und das Wort „Jude“ ist ihm vielleicht noch ein wenig peinlich, aber lange nicht mehr so sehr, wie es seinen Eltern noch vor 30 Jahren war. Der muslimische Bub, der neben ihm in der Schule sitzt, der aber ist real.

Islamophobie und Antiislamismus haben für ihre Vertreter außerdem einen enormen Vorteil gegenüber dem Antisemitismus: Sie sind gesellschaftlich nicht annährend so geächtet, die Sensibilisierungsschwelle ist niedrig. Mit kaum einer anderen Botschaft dringen rechte Politiker so mühelos in die Mitte der Gesellschaft vor. Nur zwei Beispiele: Den Satz „So führt eine direkte Linie von der Al Kaida im Irak und der Intifada in Palästina zu den Jugendlichen mit ‚Migrationshintergrund‘ in Neukölln und Moabit“ stammt nicht von Le Pen, Wilders oder Strache, sondern vom bereits erwähnten jüdischen Publizisten Henryk M. Broder. Die Aussage, der Islam sei „ein destruktiver, nihilistischer Todeskult“, traf nicht ein Untergrund-Rechter, sondern die in Somalia geborene Feministin und Intellektuelle Ayaan Hirsi Ali. Ähnliches lässt sich auch in den Büchern des SPD-Mitglieds Thilo Sarrazin, ehemaliger Finanzsenator von Berlin und Ex- Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, nachlesen.

Bleibt die Frage: Wie bekämpft man diese Entwicklung, die der österreichische Publizist Robert Misik einmal so beschrieb: „Aufgrund von 9/11 und angesichts der Veränderungen unserer Gesellschaften durch Migration wurden antiislamische Ressentiments nicht nur verbreiteter, sondern auch hoffähiger. Um die Zirkel radikaler Spinner bildeten sich konzentrische Kreise normaler Bürger, die zwar nicht alle Postulate der Moslemhasser vertreten, doch manche ihrer Meinungen teilen und selbst die bizarrsten Wortmeldungen tolerieren. Durchaus angesehene Zeitungen gaben ihnen Raum, ihre Positionen zu vertreten.“ Die „Frankfurter Rundschau“ sieht in Broders Schriften sogar das „Entrebillet für den aggressiven Antiislamismus“. Misiks Forderung: Man sollte „Broder & Co. nicht einfach so damit durchkommen lassen.“

Eine Aussage, die zu einer zum Teil an den Grenzen der Polemik und des guten Geschmacks geführten Auseinandersetzung zwischen Misik und Broder führte, ein publizistischer Schwertkampf, der die Feuilletons bewegte, aber vermutlich an den meisten Wählern Straches und seiner politischen Gesinnungsbrüder in anderen Ländern vorbeiging.

Dass sich auch die FPÖ-Politikerin Sabaditsch-Wolff, wie „Fjordman“ oder der Brite Paul Ray, vom Osloer Attentäter Breivik, dem Verehrer der „Wiener Schule“, distanziere, tue nichts zur Sache, meint Rechtsextremismus-Experte Schiedel. Auch er befindet – wie Misik – man könne es sich nicht „so leicht machen“: „Diese Leute führen einen paranoiden Diskurs. Und dieser Diskurs hat einen paranoiden Täter strukturiert und seinem Verfolgungswahn ein Gefäß gegeben.“

Wer diesen Diskurs weiterführe, sagt der Experte, „kann nun, nach Oslo, nicht mehr sagen, er habe nicht geahnt, wohin das führen kann.“

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