Schabbat für die ganze Welt

Tel Aviv, 16. April 2020: Im Gegensatz zur Telefonzelle ist die öffentliche Testzelle mobil. Foto: ©Xinhua / Action Press / picturedesk.com

Im Schatten der Corona-Pandemie gaben sich die Israelis alle Mühe, auf Fernumarmungen, Luftküsse, virtuelle Handschläge, Ellbogenstöße, Fersenkicks und Salutieren umzustellen. Erfahrungen aus der Einzelhaft.

Nathan Scharansky, ehemaliger Kabinettsminister und Geschäftsführer der Jewish Agency, meldet sich zu Wort. Er habe als „Zionshäftling“ neun Jahre in sowjetischen Gefängnissen verbracht, weil er sich für die Auswanderung der Juden nach Israel stark gemacht hatte, davon 405 Tage in Isolationshaft.  „Ich habe Erfahrung, wie man Isolierung überlebt“, erklärt Scharansky in einem Kurzfilm und gibt fünf Ratschläge:

1. Mach dir klar, warum du isoliert bist. Ich bin Soldat. Ich habe eine Aufgabe. Wir stehen in einem weltweiten Krieg. Das muss unser Verhalten bestimmen.

2. Täuscht euch nicht, indem ihr glaubt, dass alles bald wieder vorbei ist. Enttäuscht werden macht schwach. Ich wusste, dass es nicht von mir abhängt, wann ich freigelassen werde. Aber ich wusste auch, dass es an mir liegt, ob ich ein freier Mensch bleibe. Macht Pläne und setzt sie um! Nehmt euer Leben in die Hand!

3. Verliert euren Sinn für Humor nicht! Solange ich über mich und andere lachen kann, bin ich ein freier Mensch.

4. Erinnert euch an euer Hobby! Oder probiert neue aus, jetzt ist die Zeit, das Leben zu genießen. Er selbst hatte übrigens im Gefängnis gegen sich selbst im Kopf Schach gespielt, „um den Verstand nicht zu verlieren“. Und wurde dabei so gut, dass er später sogar einmal Schachweltmeister Garry Kasparov besiegte.

5. Vergesst nicht, dass wir ein Volk sind. Fühlt die Verbindung mit allen, die in Zion wohnen und mit all denen, die noch nicht in Zion wohnen.

Blütezeit für Witze

Während die Welt darauf wartet, dass „die schlauen Juden“ ein Wundermittel gegen Covid-19 erfinden, scheinen Israelis vor allem Scharanskys Ratschlag in Sachen Humor besonders ernst zu nehmen. Krisenzeiten sind gut für Witze:

„Hast du deinen Geldbeutel oder deine Brille verloren? Ruf einfach bei Mada (Israels Rettungsdienst, Anm.) an und klage über Fieber. Die werden dir helfen, dich an alle Orte zu erinnern, an denen du in den vergangenen Tagen warst.“

Oder: „Eigentlich ist es gar nicht so langweilig zu Hause. Es ist interessant, wie es kommt, dass in einer Packung Reis 7456 Körner sind, in einer anderen Packung aber 7489.“

Oder: „An einer der typischen Falafelbuden hängt ein Schild auf Arabisch und Hebräisch: ‚An alle, die sich über den neuen Geschmack des Schwarmas und der Falafel in der letzten Zeit beklagt haben: Macht euch keine Sorgen! Der Grund dafür ist, dass unsere Mitarbeiter sich die Hände waschen. Mit Gottes Hilfe wird der ursprüngliche Geschmack bald wieder zurückkehren.‘“

Aus dem Ehealltag

Grundsätzlich wird in Israel keine Gelegenheit verpasst, zusammenzukommen. Doch das Gesundheitsministerium schränkte die Teilnahme an Beerdigungen und Hochzeiten drastisch ein.

„Gibt es eine Möglichkeit, dass das Gesundheitsministerium Hochzeiten auch rückwirkend absagt?“, fragt jemand per Facebook, die Antwort darauf gab Nathan Scharansky in seinem Beratungsvideo: „Das Gesundheitsministerium betont, dass nur die Hochzeiten abgesagt sind. Wer verheiratet ist, macht weiter wie bisher.“

Israels umstrittener Premierminister Benjamin Netanjahu hat durch die Coronakrise eine neue Aufgabe gefunden. Er klärt sein Volk auf, wie es sich verhalten soll: richtiges Niesen, richtiges Schnäuzen, richtiges Begrüßen, richtiges Abstandhalten.

„Bibi, Schalom!“, schreibt daraufhin jemand per WhatsApp, „gestern hast du erklärt, wir sollten zwei Meter Abstand einer vom anderen halten. Unser Bett ist aber nur 1,80 Meter breit. Meine Frau weigert sich, auf dem Boden zu schlafen. Was sollen wir tun?“

Ein anderer meldet sich aus der Isolierhaft: „Meine Frau und ich sind in Quarantäne. Nach zwei Tagen haben wir angefangen, miteinander zu reden. Sie ist eigentlich eine sehr nette Frau.“

Zeit der Erlösung

Am Parlament vorbei hat Israels Regierung dem Inlandsgeheimdienst Schin Beit erlaubt, Mobiltelefone zu verfolgen, um so Leute warnen zu können, die mit Coronavirus-Patienten in Berührung gekommen sind. Freilich gibt es darüber heftige Diskussionen in der Gesellschaft, den Medien und auch unter Juristen. Die Witzindustrie wiederum fragt sich: „Wie setzt sich die Furcht der Israelis vor dem Coronavirus zusammen?“ Antwort: „Aus einem Prozent Todesangst und 99 Prozent Angst davor, dass jemand meinen peinlichen Terminkalender veröffentlicht.“ Pessimisten, die in Israel traditionell Seltenheitswert haben, munkeln derweil: „Wartet nur, wenn wir mit ‚Covid-19‘ fertig geworden sind, werden die Chinesen ganz unversehens mit ‚Covid-19s plus‘ dastehen.“

Auf die Frage, wie lange die Bevölkerung in Quarantäne bleiben müsse, lautete die Antwort von Israels ultraorthodoxem Gesundheitsminister: „Wir beten und hoffen, dass der Messias vor Pessach kommen wird, und damit die Zeit unserer Erlösung. Bald werden wir in Freiheit ausziehen. Der Messias wird kommen und uns von allen Problemen dieser Welt erlösen.“ Dass ausgerechnet der Gesundheitsminister in Zeiten einer Pandemie zu so einer Antwort in der Lage ist, hat freilich unter Israelis, die „eine Bewältigung dieser Krise allein von der Wissenschaft“ erwarten, große Empörung ausgelöst.

Es ist nur schwer auszumachen, wie ernst sich ultraorthodoxe Rabbiner selbst nehmen, wenn sie erklären, „Ich mache keinen Spaß“, um dann ausführlich und umständlich auszuführen, wie man ein Gebräu aus Zimt, Kardamom und Ingwer zubereitet. „Das macht pfff“, erklärte einer seinen Schülern, „und die ganze Grippe flieht. Du wirst kein Corona haben dein ganzes Leben lang – und auch danach nicht, nach der Auferstehung von den Toten. Das ist geprüft und getestet!“

Loblied aufs Klopapier

Es gibt aber auch eine positive und erfreuliche Seite der Corona-Seuche, wie ein Israeli Mitte März feststellte. „Der nächste Schabbat wird der erste Schabbat in der Geschichte des Staates Israel sein, an dem es keinen öffentlichen Verkehr, keine Autos, keine Arbeit, keine Restaurants, keine offenen Läden, keine Bars und keine Clubs, kein Kino, keinen Strand und keinen Fußball geben wird, an dem jede Familie in Israel zuhause um den Tisch sitzen und die vorgeschriebenen drei Mahlzeiten gemeinsam einnehmen wird. Keiner muss sich irgendwohin beeilen. Denn wohin sollte man auch gehen?“ Überhaupt scheinen die Frommen Israels die Gelegenheit zu nutzen, darauf hinzuweisen, dass „alles von oben kommt“. „Der Heilige, gelobt sei Er, beherrscht die Welt. Er hat durch ein Virus, das man kaum mit dem Mikroskop erkennen kann, der ganzen Welt einen Schabbat verordnet.“

Ohne Religion ist das Leben in Israel undenkbar. Der Höhepunkt der Coronavirus-Pandemie fiel ausgerechnet in die Zeit vor dem Pessachfest. Irgendwo tief im Unterbewusstsein wissen Israelis, dass Gott sich der Existenz des Volkes Israel verpflichtet hat. In der Praxis bedeutet das, dass bei jeder existenziellen Bedrohung, die das jüdische Volk im Laufe der Geschichte erfahren hat, bislang immer die Bedrohung oder derjenige, der das auserwählte Volk bedroht hat, vernichtet wurden. Dem Volk Gottes dagegen wurde jedes Mal ein neues Fest verordnet – wie an Purim, Pessach oder Chanukka sehr gut zu sehen ist. Vor diesem Hintergrund ist die folgende Nachricht zu verstehen, die in den sozialen Netzwerken die Runde machte: „Wir werden Corona überleben. Da mache ich mir keine Sorgen. Aber denkt nur einmal an die Urenkel der Urenkel unserer Urenkel. Die werden jedes Jahr gezwungen werden, sich zwei Wochen lang in ihren Häusern einzuschließen und nur aus Dosen zu ernähren. Dabei müssen sie dann Loblieder aufs Klopapier singen und mit anderen eigenartigen Bräuchen des Corona-Festes der Wunder gedenken, die der Heilige, gelobt sei Er, an den Kindern Israels vollbracht hat.“

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