Robert James Fischer – Genie und Rüpel, Jude und Antisemit

Robert James „Bobby“ Fischer war ein bemerkenswerter US-amerikanischer Schachspieler. Seine Siege, sein Leben und seine antisemitischen und antiamerikanischen Äußerungen machten Schlagzeilen.
Von Anatol Vitouch

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Kennen Sie Bobby Fischer? Wahrscheinlich schon. Vor dem medialen Aufpoppen des Namens Magnus Carlsen war Robert James Fischer, der am 9. März 1943 in Chicago geborener 11. Weltmeister der Schachgeschichte, wohl der einzige Schächer, dessen Bekanntheit weit über den verschworenen Kreis der Aficionados hinausreichte.

Wie Bobby Fischer den Kalten Krieg gewann lautet der Titel eines Buches, das sich mit dem 1972 im isländischen Reykjavik ausgefochtenen WM-Kampf zwischen Fischer und dem Russen Boris Spasskij beschäftigt. Der US-Amerikaner siegte und brach damit die seit den 1940er-Jahren währende Hegemonie Russlands. Auf einmal war das Spiel auch im Westen „in“. Jede Zeitung, die etwas auf sich hielt, hatte plötzlich eine Schachspalte und unzählige Gelegenheitsspieler rafften sich auf, endlich die algebraische Notation zu lernen, um Fischers Zügen folgen und aus seinen Siegen lernen zu können.

Dabei stand die WM ’72 gleich zu Beginn unmittelbar vor dem Abbruch. Fischer hatte die erste Partie verloren, war zur zweiten gar nicht erst erschienen und hatte bereits seinen Rückflug in die USA gebucht. Erst ein persönlicher Anruf Henry Kissingers, der sich bei Fischer als „schlechtester Schachspieler der Welt vorstellte“ und ihn im Namen der Nation aufforderte, den Wettkampf gefälligst zu gewinnen, machte dem exzentrischen Genie Eindruck. Fischer tat wie befohlen und fügte den Sowjets eine empfindliche symbolische Niederlage zu.

Die individuelle Rollenverteilung schien jedoch eher dem Skript einer Lubitsch-Komödie als einem patriotischen Propagandafilm entnommen. Da war einmal der ruhige und weltgewandte Spasskij, ein Bonvivant und passionierter Tennisspieler, insgesamt alles andere als ein gedrillter proletarischer Sowjetmensch. Und auf der anderen Seite der neurotische, manierlose Fischer, ein ungebildetes Großmaul aus Brooklyn, das nicht einmal die Highschool abgeschlossen hatte und Spasskij mit seinen Allüren in den Wahnsinn trieb. Während Fischer beständig neue Beschwerden zu Bestuhlung, Spielmaterial oder Beleuchtung einbrachte und jedes Mal mit Abbruch drohte, wenn seine Forderungen nicht sofort erfüllt wurden, verschwendete Spasskij seine Nerven darauf, die russische Delegation zum Nachgeben zu bewegen, weil er einen kampflosen Sieg als Schande empfunden hätte – und verlor.

Mutter-Sohn-Beziehung
Fischers familiäre Herkunft war aus US-amerikanischer Sicht ein rotes Tuch. Seine Mutter, Regina Fischer, eine in der Schweiz geborene und in St. Louis aufgewachsene Jüdin, war eine linke politische Aktivistin, die in den 60er-Jahren vorübergehend in die DDR auswanderte. Das FBI legte ein 900 Seiten starkes Dossier über sie an, weil sie verdächtigt wurde, eine russische Spionin zu sein. Schließlich hatte sie Bobbys offiziellen Vater, den Deutschen Hans-Gerhardt Fischer ausgerechnet bei ihrem Medizinstudium in Moskau kennengelernt. Zwar dürfte Fischers biologischer Vater laut Ermittlungen des FBI der jüdisch-ungarische Mathematiker Paul Nemenyi gewesen sein, was den Geheimdienstlern bestimmt nicht weniger verdächtig war.

Fischers Verhältnis zu seiner alleinerziehenden Mutter war von Jugend an äußerst schwierig. Allerdings wird man ihr kaum vorwerfen können, sich nicht für ihren Sohn eingesetzt zu haben. Ihre Kontakte ermöglichten dem erst 15-Jährigen eine erste Reise zum Moskauer Zentralschachklub. Dort blamierte er seine Gastgeber, indem er eine Gage dafür verlangte, gegen die russische Großmeisterriege anzutreten und brach in wüste Beschimpfungen aus, als man ihm diese verwehrte.

Einer bekannten Anekdote nach soll der junge Fischer einmal während eines wichtigen Turniers gefordert haben, seine Mutter müsse sofort in ein anderes Hotel umziehen, weil sie ihn in den Wahnsinn treibe. Als seinem Wunsch entsprochen wurde, war Fischer noch unzufriedener: Nun wohnte sie am anderen Ende der Stadt und war somit nicht verfügbar, wenn er sie spontan benötigte. Erst als ein nicht zu nah und nicht zu fern gelegenes Quartier gefunden war, besserte sich Fischers Laune und er gewann das Turnier überzeugend.

Vielleicht war es also tatsächlich der in den 60er-Jahren vollzogene endgültige Bruch mit seiner Mutter, der Fischers Leben langsam aber sicher entgleisen ließ. Nach seinem Sieg in Reykjavik konnte ihn jedenfalls niemand davon überzeugen, ans Schachbrett zurückzukehren. Fischer tauchte unter, nahm an keinen Turnieren mehr teil und torpedierte das für 1975 gegen Anatoli Karpow angesetzte Match um den WM-Titel mit einem Forderungskatalog von nicht weniger als 179 Punkten als Bedingung für sein Antreten. Karpow wurde kampflos zum Weltmeister erklärt, und das nicht-russische Interregnum auf dem Schachthron war für lange Zeit beendet.

Das nächste Mal tauchte Fischer, der sich zeitlebens weiterhin für den legitimen Weltmeister hielt, erst 1992 in Jugoslawien auf. Dort spielte und gewann er ein Revanchematch gegen seinen alten Rivalen Boris Spasskij, womit er das damalige US-Embargo brach und sich eine zehnjährige Gefängnisstrafe bei Rückkehr in seine Heimat einhandelte. 2001 goss er, dessen Verfolgungswahn nun immer klarer zutage trat, dann noch zusätzlich Öl ins Feuer, als er den terroristischen Angriff auf das World Trade Center in einem Radio-Interview frenetisch als Schlag gegen die jüdische Weltverschwörung bejubelte.

Der Rest war Agonie: Fischer verschlug es von Budapest, wo er in den 90ern versteckt lebte, bis auf die Philippinen. Schließlich wurde er in Japan mit gefälschtem Pass aufgegriffen und entging einer Auslieferung nur, weil Island ihm, wohl aus alter Verbundenheit, humanitäres Asyl gewährte. Am 17. Januar 2008 starb Robert James Fischer und wurde auf einem kleinen isländischen Friedhof nahe der Stadt Selfoss begraben. Er wurde 64 Jahre alt, genau so viele, wie das Schachbrett Felder hat.

Kurz vor seinem Tod verlangte Fischer nach einem Foto seiner Mutter, das er in der Hand hielt, als er starb. Es heißt, er habe sich noch vor ihrem Tod in den 1990er-Jahren telefonisch mit ihr versöhnt.

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