Restitution war niemals nur eine Frage des Geldes

Von Eric Frey

Von Anfang an stand der Versuch im Vordergrund, mit finanziellen Geste n einen Akt der historischen Aufarbeitung und Versoehnung zu setzen – eine Art aussergerichtlicher Tatausgleich.

 

Der deutschen Wiedergutmachung nach 1945 ueber die Schaffung des oesterreichischen Nationalfonds nach dem Bedenkjahr 1988 bis zur Entscheidung der Schweiz, angesichts massiven internationalen Drucks Milliarden Schweizer Franken fuer NS-Opfer und andere politisch Verfolgte zur Verfuegung zu stellen, war beiden Seiten immer bewusst, dass das begangene Unrecht durch Geld nie aufgewogen werden kann.

Aber durch die Zahlung sollte die grosse Kluft, die durch das Verbrechen entstanden ist, ueberbrueckt werden, wuerden Opfer und deren Angehoerigen ein Gefuehl der Wiedergutmachung erhalten, waehrend die Nachkommen der Taeter die Geste nutzen koennen, ein wenig der grossen moralischen Last, die auf ihnen lastete, abzubauen.

Bis vor kurzem war die Restitutionsdebatte in Oesterreich ein solch positiver Beitrag zur Vergangenheitsbewaeltigung. Der Nationalfonds war ein e ntscheidender Schritt zur der Umsetzung der nach der Waldheim-Wahl von Franz Vranitzky und anderen eingeleiteten Neubewertung der NS-Vergangenheit; die ausbezahlten 80.000 Schilling haben Tausende 1938 Gefluechteten ihrer alten Heimat wieder etwas naeher gebracht.

Mit dem NS-Zwangsarbeiterfonds, zu dem die oesterreichische Wirtschaft entscheidend beizutragen hat, wurde die materielle Ausbeutung des NS-Regimes und die daraus entstandenen Vorteile fuer ganze Branchen bewusst gemacht und zumindest teilweise abgerechnet.

 

Doch dieser Zugang zur Restitution hatte immer eine Schwachstelle: Eine fuer beide Seiten befriedigende Endabrechnung von Schuld und Suehne ist nicht moeglich; wird sie angestrebt, bricht der ganze moralische Zweck des Unternehmens zusammen.

Diese Gefahr ist in der dritten Phase der Entschaedigungsverhandlungen, die gerade begonnen hat, besonders akut. Hier geht es um die 1938 und danach geraubten Vermoegenswerte, die nach heutigem Wert Dutzende Milliarden Schilling ausmachen. Die von der Bundesregierung in Aussicht gestellten 150 Millionen Dollar oder 2,4 Milliarden Schilling sind hier keinesfalls genug und koennen bestenfalls dazu dienen, Tausenden Wiener Familien bewusst zu machen, dass sie in ehemals juedischen Wohnungen leben.

Doch eine signifikante Steigerung dieses Betrages ist selbst bei der besten Verhandlungsfuehrung durch die Israelitische Kultusgemeinde und die beteiligten US-A nwaelte nicht zu erwarten. Keine Bundesregierung kann es sich leisten, in Zeiten der Sparpakete grosse Summen fuer einen solchen abstrakten Zweck aufzuwenden, und das juristisch-politische Pulver von Ed Fagan & Co. wurd e zum Grossteil schon in der Zwangsarbeiterentschaedigung verschossen.

Viele 1938 geraubten Werte lassen sich heute nicht mehr bewerten: Die Geschaefte, die zur Freude der Konkurrenz geschlossen wurden, die Fabriken, die es heute in dieser Form nicht mehr gibt. Selbst die nicht ausbezahlten Versicherungspolizzen lassen sich rein rechnerisch nicht fair bewerten. Die Wirtschaft, die kaum ihre drei Milliarden Schilling fuer den Zwangsarbeiterfonds zusammenzukratzen schafft, ist zu praktisch keinen weiteren Zahlungen bereit. Am leichtesten funktioniert die Restitution bei der Kunst: Hier ist der Restitutionsprozess am weitesten fortgeschritten, doch entsteht hier eine weitere Verzerrung: Die Shoah scheint zu einem grossen Bilderraub verniedlicht zu werden.

Am Ende des jetzigen Verhandlungsprozesses droht uns ein Szenario, in dem das offizielle Oeterreich mehr zahlt, als es die grosse Mehrheit fuer gerechtfertigt haelt, und die Nachkommen der Opfer die Entschaedigung noch immer nicht fuer ausreichend betrachten. Der aussergerichtliche Tatausgleich waere dann gescheitert, die Versoehnung mit Hilfe von Restitution missglueckt.

Das bedeutet nicht, dass wir auf eine Verfolgung rechtlicher und finanzieller Ansprueche verzichten soll — auch dies wuerde zu keiner befriedigenden Loesung fuehren. Es gibt keine Alternative zu weiteren Verhandlungen. Doch beide Seiten werden sich damit abfinden muessen, dass es auch sechs Jahrzehnte nach der Shoah kein Happy End geben kann.

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